Urteilsanalyse
Prozessführungsbefugnis von WEG-Altklägern
Urteilsanalyse
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Für die bereits vor dem 1.12.2020 bei Gericht anhängigen Verfahren besteht die Prozessführungsbefugnis eines Wohnungseigentümers, der sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebende Rechte geltend macht, nach Ansicht des V. Senats des BGH über diesen Zeitpunkt hinaus in Anwendung des Rechtsgedankens des § 48 V WEG fort, bis dem Gericht eine schriftliche Äußerung des nach § 9b WEG vertretungsberechtigten Organs über einen entgegenstehenden Willen der WEG-Gemeinschaft zur Kenntnis gebracht wird.

29. Jun 2021

Anmerkung von
Richter am KG Dr. Oliver Elzer

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 13/2021 vom 25.06.2021

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Sachverhalt

B pflanzt im Jahr 2011 auf seinem Grundstück entlang der Grundstücksgrenze zu einer Wohnungseigentumsanlage 4 Zypressen mit einem Grenzabstand von unter 4 m. Wohnungseigentümer K verlangt seit dem Jahr 2017 gerichtlich deren Beseitigung, weil er meint, die Zypressen störten das gemeinschaftliche Eigentum. Fraglich ist, ob K nach dem 30.11.2020 wegen § 9a II WEG weiterhin prozessführungsbefugt ist.

Entscheidung: K ist prozessführungsbefugt!

Zwar sei nach Erlass des Berufungsurteils die Ausübungsbefugnis durch das Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz v. 16.10.2020 (BGBl I 2020, 2187), das gem. Art. 18 S. 1 WEMoG am 1.12.2020 in Kraft getreten sei, in § 9a II WEG neu geregelt worden, was zu beachten sei.

Das neue WEG enthalte aber keine Übergangsvorschrift, die regele, was für Altkläger gelte. Diese Lücke sei entsprechend §§ 48 V, 9a II WEG zu schließen. Für die bereits vor dem 1.12.2020 bei Gericht anhängigen Verfahren bestehe danach die Prozessführungsbefugnis eines Wohnungseigentümers, der sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebende Rechte geltend mache, über diesen Zeitpunkt hinaus fort, bis dem Gericht eine schriftliche Äußerung des nach § 9b WEG vertretungsberechtigten Organs über einen entgegenstehenden Willen der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zur Kenntnis gebracht werde.

Praxishinweis

Der BGH ist der Ansicht, das WEG weise für Altkläger eine unbewusste Lücke auf. Das sahen sowohl das gesamte Schrifttum - auch jene, die am Gesetzgebungsverfahren als Handelnder unmittelbar beteiligt waren - als auch die Gerichte bislang bundesweit anders. Die Sichtweise des V. Zivilsenats ist aber natürlich nicht unvertretbar – auch wenn eine lediglich aus richterlicher Sicht nicht oder nicht vollständig gelungene Regelung sich nicht als in dem Sinne planwidrig erweist, dass dies eine Schließung der Regelungslücke im Wege der Analogie rechtfertigen würde (siehe nur BGH GRUR 2020, 429 Rn. 33; BGH NJW 2015, 1176 Rn. 9).

Erwähnenswert sind die vom BGH benannten Analogien:

Dies betrifft zum einen § 48 V WEG. Es handelt sich dabei um eine Bestimmung, welches Verfahrensrecht anwendbar ist. Hier gibt es in Bezug auf Altkläger keine Lücke: Es ist altes Verfahrensrecht anwendbar. Die Norm ist darüber hinaus auf materielles Recht kaum analogiefähig. Denn hier regeln § 48 I-IV WEG, was der Gesetzgeber regeln wollte.

Zum anderen blickt der BGH auf § 9a II WEG. Diese Bestimmung lässt eine Vergemeinschaftung – die Entscheidung der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer, selbst der „Spieler“ zu werden – aber gerade nicht zu. Diese Möglichkeit ist bewusst „zu den Akten“ gelegt worden (nur in den Bauträgerfällen wird es anders sein, siehe nur Hügel/Elzer, WEG, 3. Aufl. 2021, § 9a Rn. 124).

Es ist daher nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber die behauptete Lücke in der Weise geschlossen hätte, die der BGH annimmt. Welche Norm aber sollen die Gerichte prüfen, wenn eine Gemeinschaft der Wohnungseigentümer einen Altkläger ausgrätscht und dieser sich gegen den entsprechenden Beschluss wehren will? Was sind ihre Tatbestandsvoraussetzungen? Was ist der Maßstab für die Frage, wann der Beschluss ordnungsmäßig ist?

Im Übrigen liegt nahe, dass die Gerichte fragen müssen, was gilt, und dass die Gerichte das Verfahren des Altklägers analog § 148 ZPO aussetzen sollten (siehe nur BGH NJW 2019, 1216 Rn. 25).

BGH, Urteil vom 07.05.2021 - V ZR 299/19 (LG Mannheim), BeckRS 2021, 10856