Urteilsanalyse
Prozessführungsbefugnis bei der Abwehr von Störungen des Gemeinschaftseigentums
Urteilsanalyse
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Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer kann Unterlassungsansprüche, die dem einzelnen Wohnungseigentümer zur Abwehr von Störungen im räumlichen Bereich seines Sondereigentums zustehen, nach einem Urteil des BGH vom 24.01.2020 auch dann nicht durch Beschluss an sich ziehen, wenn zugleich das Gemeinschaftseigentum von den Störungen betroffen ist.

6. Jul 2020

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Bub und Rechtsanwalt Nikolay Pramataroff
Rechtsanwälte Bub, Memminger & Partner, München, Frankfurt a.M.

Aus beck-fachdienst Miet- und Wohnungseigentumsrecht 12/2020 vom 02.07.2020

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Sachverhalt

Der Klägerin gehört eine Eigentumswohnung. Sie liegt direkt über einer von dem Beklagten gemieteten Einheit, die in der Teilungserklärung als Wohnung/Wohnraum ausgewiesen ist. Der Beklagte vermietet diese Wohnung an Personen weiter, die sich in einem nahegelegenen Klinikum einer Behandlung unterziehen. Von den Untermietern sollen Lärm- und Geruchsbelästigungen ausgehen. In der Eigentümerversammlung am 04.06.2014 beschlossen die Wohnungseigentümer u.a. die Beauftragung eines Rechtsanwalts zur Erhebung einer Klage auf Unterlassung von Verstößen gegen die Verpflichtungen eines Eigentümers aus der gesetzlichen Vorschrift des § 14 Nr. 1 WEG, dem gesetzlichen Rücksichtnahmegebot sowie Durchsetzung von Ansprüchen aufgrund von Verstößen gegen die Gemeinschafts- und Hausordnung.

Die beanstandeten Geruchs- und Lärmbelästigungen sind in dem Beschluss katalogmäßig aufgeführt. Beschlossen wurde überdies die Vergemeinschaftung der Durchsetzung von Ansprüchen, die Wohnungseigentümern zustehen, weil der Beklagte sie beleidigt habe und ihnen gegenüber tätlich geworden sei.

Die Klägerin nimmt den Beklagten mit der seit dem 06.06.2014 anhängigen Klage auf Unterlassung von Geruchs- und Lärmemissionen (Klageanträge 1 und 3) sowie der Nutzung der Wohnung als Pensionsbetrieb (Klageantrag 2) in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage mangels Prozessführungsbefugnis der Klägerin als unzulässig abgewiesen. Nach der Rechtsprechung des BGH sei der einzelne Wohnungseigentümer nicht mehr prozessführungsbefugt, wenn die Wohnungseigentümergemeinschaft die Unterlassungsansprüche der Wohnungseigentümer, die aus ihrem Miteigentum am Grundstück folgten, durch Beschluss an sich gezogen habe. So liege es hier. Zwar enthalte der Beschluss der Wohnungseigentümer vom 04.06.2014 einen Vorbehalt, wonach die Klägerin befugt sei, die bereits im eigenen Namen gegen den Beklagten eingeleiteten Verfahren fortzuführen. Dies beschränke sich aber auf Bedrohungen durch den Beklagten; solche seien nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits. Zudem komme eine Prozessführungsbefugnis der Klägerin (neben der Wohnungseigentümergemeinschaft) nur in Betracht, wenn sie eine unmittelbare und ausschließliche Störung ihres Sondereigentums abwenden wolle; eine solche liege aber nicht vor.

Die hiergegen gerichtete Berufung hat das Oberlandesgericht durch Beschluss zurückgewiesen. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin die Unterlassungsansprüche weiter.

Entscheidung

Die Revision hat zum überwiegenden Teil Erfolg.

Unbegründet sei sie allerdings hinsichtlich des Klageantrags zu 2. Das Berufungsgericht verneine die Prozessführungsbefugnis der Klägerin zu Recht, soweit sie von dem Beklagten verlange, die Nutzung der Wohnung als Pensionsbetrieb zu unterlassen.

Für Unterlassungsansprüche der Wohnungseigentümer aus dem Miteigentum an dem Grundstück bestehe keine geborene Ausübungsbefugnis des Verbands gemäß § 10 Abs. 6 Satz 3 Halbsatz 1 WEG, und zwar auch dann nicht, wenn Anspruchsgegner - wie hier - ein außerhalb der Wohnungseigentümergemeinschaft stehender Dritter sei. Die Wohnungseigentümergemeinschaft könne aber Beseitigungs- oder Unterlassungsansprüche wegen Störungen des Gemeinschaftseigentums gemäß § 1004 Abs. 1 BGB durch Mehrheitsbeschluss nach § 10 Abs. 6 Satz 3 Halbsatz 2 WEG an sich ziehen und sei dann allein zuständig für die gerichtliche Geltendmachung gegenüber dem Dritten.

Das sei hier mit dem am 24.11.2015 gefassten Beschluss geschehen. Mit diesem Beschluss, den der Senat selbst auslegen könne, seien auch die Unterlassungsansprüche der Wohnungseigentümer vergemeinschaftet worden, die sich auf eine mögliche zweckwidrige Nutzung der unter der Einheit der Klägerin liegenden Wohnung beziehen. Da erreicht werden solle, dass diese Wohnung weder direkt noch im Rahmen einer Zwischenvermietung an häufig wechselnde „Medizin- oder Krankenhaustouristen“ überlassen werde, gehe es um die Unterlassung der Nutzung der Wohnung als Pensionsbetrieb.

Der Beschluss der Wohnungseigentümer vom 24.11.2015 sei insoweit wirksam.

Dass auch Ansprüche der Wohnungseigentümer wegen Persönlichkeits- und Körperverletzungen sowie Ansprüche wegen Beeinträchtigungen des räumlichen Bereichs des Sondereigentums vergemeinschaftet worden seien, obwohl es insoweit an der Beschlusskompetenz fehle, führe entgegen der Ansicht der Revision nicht zur Nichtigkeit des gesamten Beschlusses. Die teilweise Aufrechterhaltung von wohnungseigentumsrechtlichen Beschlüssen entsprechend § 139 BGB komme zwar regelmäßig nur in Betracht, wenn nach dem tatsächlichen oder hypothetischen Parteiwillen zweifelsfrei davon auszugehen sei, dass der Beschluss auch als Teilregelung gefasst worden wäre. So liege es aber hier. Die Vergemeinschaftung der verschiedenen Ansprüche durch die Beschlussfassung sei in Anbetracht eines bereits von der Wohnungseigentümergemeinschaft gegen den Beklagten geführten Rechtsstreits und der dort geltend gemachten Ansprüche erfolgt. Das Ansichziehen auch der Ansprüche der Wohnungseigentümer auf Unterlassung einer zweckwidrigen Nutzung der Wohnung durch den Beklagten habe daher die Prozessführungsbefugnis der Gemeinschaft in diesem Verfahren begründen und der Abweisung der diesbezüglichen Klage als unzulässig entgegenwirken sollen. Die Aufrechterhaltung des Beschlusses hinsichtlich des Ansichziehens dieser Ansprüche entspreche vor diesem Hintergrund dem hypothetischen Willen der Wohnungseigentümer.

Die Vergemeinschaftung der Unterlassungsansprüche begründe die alleinige Zuständigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft für deren gerichtliche Geltendmachung und führe folglich dazu, dass die Klägerin nicht mehr prozessführungsbefugt sei. Sie sei allerdings nicht gezwungen, ihre Klage zurückzunehmen oder deren Abweisung als unzulässig hinzunehmen, sondern könne dem nachträglichen Fortfall der Prozessführungsbefugnis durch eine Erledigungserklärung Rechnung tragen.

Rechtsfehlerhaft verneine das Berufungsgericht hingegen die Prozessführungsbefugnis der Klägerin hinsichtlich der Ansprüche auf Unterlassung von Lärm- und Geruchsbeeinträchtigungen (Klageanträge 1 und 3).

Die Klägerin wende sich mit diesen Ansprüchen gegen unmittelbare Beeinträchtigungen ihres Sondereigentums in Gestalt von Lärm und Gerüchen, die in ihre Wohnung eindringen. Solche, den räumlichen Bereich des Sondereigentums betreffende Ansprüche könne die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer nicht durch Beschluss an sich ziehen. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer könne Unterlassungsansprüche, die dem einzelnen Wohnungseigentümer zur Abwehr von Störungen im räumlichen Bereich seines Sondereigentums zustehen, auch dann nicht durch Beschluss an sich ziehen, wenn zugleich das Gemeinschaftseigentum von den Störungen betroffen sei. In einem solchen Fall können nur die Ansprüche vergemeinschaftet werden, die auf die Abwehr der Störungen des Gemeinschaftseigentums gerichtet seien. Insoweit fehle es bereits an einer Rechtsgrundlage. Ist der räumliche Bereich des Sondereigentums betroffen, könne dem Wohnungseigentümer die Ausübungs- und Prozessführungsbefugnis für seine darauf bezogenen Abwehransprüche daher nicht entzogen werden. Den Wohnungseigentümern fehle die Beschlusskompetenz. Ein Wohnungseigentümer müsse in keinem Fall hinnehmen, dass ihm die Befugnis entzogen werde, gegen Störungen vorzugehen, die im räumlichen Bereich seines Sondereigentums auftreten. Es gehöre zu den unentziehbaren Rechten des Sondereigentümers, solche unmittelbaren Beeinträchtigungen abwehren zu können; das gelte unabhängig davon, ob und inwieweit sich die Störungsquelle auf andere Bereiche des Hauses auswirke.

Nach diesen Grundsätzen sei der Beschluss der Eigentümerversammlung vom 04.06.2014 - ebenso wie der ihn bestätigende und ergänzende Beschluss vom 24.11.2015 - mangels Beschlusskompetenz nichtig, soweit Ansprüche der Klägerin vergemeinschaftet worden seien, die die Unterlassung von Lärm- und Geruchsimmissionen im räumlichen Bereich ihres Sondereigentums zum Gegenstand haben. Folglich sei die Klägerin hinsichtlich dieser Ansprüche prozessführungsbefugt.

Praxishinweis

Der BGH hatte bereits entschieden (Urteil vom 05.12.2014 – V ZR 5/14, NJW 2015, 1020; Urteil vom 07.02.2014 – V ZR 25/13, NJW 2014, 1090; Urteil vom 04.07.2014 – V ZR 183/13, NJW 2014, 2861), dass für Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche – auch gegen Dritte (Urteil vom 13.10.2017 - V ZR 45/17, BeckRS 2017, 134711) – keine geborene Ausübungsbefugnis des Verbandes gemäß § 10 Abs. 6 Satz 3 HS. 1 WEG besteht - mit der Folge, dass solche Ansprüche von vornherein nur durch den Verband geltend gemacht werden können –, sondern lediglich eine gekorene Ausübungsbefugnis gemäß § 10 Abs. 6 Satz 3 HS. 2 WEG, da es sich insoweit nicht um gemeinschaftsbezogene Rechte der Wohnungseigentümergemeinschaft handelt.

Nunmehr entscheidet der BGH die umstrittene Frage, ob die Wohnungseigentümergemeinschaft den räumlichen Bereich des Sondereigentums betreffende Ansprüche an sich ziehen kann.

Nach einer Ansicht kann die Gemeinschaft solche Ansprüche jedenfalls dann an sich ziehen, wenn sämtliche Sondereigentumsrechte von den Störungen, die unterlassen werden sollen, betroffen sind (Ott ZWE 2015, 125).

Überwiegend wird hingegen die Ansicht vertreten, dass nur das Gemeinschaftseigentum betreffende Ansprüche der Wohnungseigentümer, nicht aber auf das Sondereigentum bezogene Ansprüche vergemeinschaftet werden können (Skaudradszun ZMR 2015, 515, 516; Schmid ZMR 2015, 250, 251; Becker ZWE 2007, 432, 438).

Der BGH folgt der letzten Ansicht. Dem ist zuzustimmen, denn für die Vergemeinschaftung von Unterlassungsansprüchen wegen Störungen, die im räumlichen Bereich ihres Sondereigentums auftreten, fehlt es an einer Rechtsgrundlage. Die allein in Betracht kommende Vorschrift des § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG bezieht sich nicht auf das Sondereigentum der einzelnen Wohnungseigentümer oder deren individuelle Mitgliedschaftsrechte (BGH, Urteil vom 13.10.2017 - V ZR 305/16, NJW 2018, 1254 Rn. 9). Soweit der räumliche Bereich des Sondereigentums betroffen ist, kann dem Wohnungseigentümer die Ausübungs- und Prozessführungsbefugnis für seine darauf bezogenen Abwehransprüche nicht entzogen werden, da den Wohnungseigentümern insoweit die Beschlusskompetenz fehlt (Müller in BeckOK, 01.02.2020, § 10 WEG Rn. 551.1; Elzer, FD-ZVR 2015, 366476). Das gilt auch dann, wenn die Störungen - hier die Lärm- und Geruchsimmissionen - zugleich im Bereich des Gemeinschaftseigentums auftreten (vgl. auch Dötsch, MietRB 2017, 77, 78).

BGH, Urteil vom 24.01.2020 - V ZR 295/16, BeckRS 2020, 10168