NJW-Editorial
Preisanhebung per Zustimmungsfiktion
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Die Inflation macht sich bemerkbar. Nun hat auch Amazon angekündigt, die Prime-Abos anzuheben. Auch wenn dies Wellen der Empörung durch die sozialen Medien spült – für den Juristen stellt sich die Frage: Geht das rechtlich?

18. Aug 2022

Während lange die Diskussion um Negativzinsen die Wirtschaftspresse beschäftigt hat, wendet sich das Blatt nun rapide: Das Gespenst der Inflation geht um im Euro-Raum und bringt auch die EZB zu Zinserhöhungen und Begleitmaßnahmen, die einerseits die Inflation eindämmen, andererseits die schwächeren Euro-Staaten nicht so stark belasten sollen, dass ihr Schuldendienst in Gefahr gerät. Beim Bürger ist die Inflation durch Preiserhöhungen für Konsumgüter und vor allem Energie längst angekommen. So richtig fühlbar wird sie aber jetzt in der Breite, wenn Amazon ankündigt, die Prime-Abos um bis zu 30 % (!) zu erhöhen.

So wie es aussieht, informiert das Unternehmen seine Kunden über die Preiserhöhung per E-Mail und bezieht sich dabei auf Nr. 5.2 seiner AGB. Darin ist umfassend geregelt, dass ­es die Preise bei Kostensteigerungen und Inflation erhöhen kann. Interessant ist dabei, dass diese Fassung ausweislich der verlinkten Internetseite ab dem 10.6.2022 gelten soll; Kunden wurden mit einer schlanken E-Mail vom selben Tag hierauf sowie darauf ­hingewiesen, dass die neuen AGB ab dem 11.7.2022 gelten und der Kunde bei Missfallen die Möglichkeit zur Kündigung hat.

Dazu stellen sich mehrere spannende juristische Fragen. In dieser Klausel hat Amazon evident die Entscheidung des BGH zur unzulässigen Zustimmungs­fik­tionsklausel in Banken-AGB (NJW 2021, 2273) verarbeitet. Der XI. Zivilsenat hat in dem Urteil angedeutet, dass die Zustimmungsfiktion in bestimmten Grenzen weiter Verwendung finden könne, wenn etwa eine Änderung der AGB aufgrund einer Änderung des Gesetzes notwendig werde. Alles, was jedoch in das Vertragsgleichgewicht und damit in das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung eingreife, könne mit einer bloßen Zustimmungs­fiktion nicht geändert werden (ausführlich Jordans/Rösler, BankPraktiker 2021, 240). Im Hinblick darauf wird zunächst zu diskutieren sein, ob die Entscheidung auch auf das Abo-Verhältnis des Prime-Kunden zu Amazon Anwendung finden kann. Sodann ist zu fragen, ob die Regelung in den AGB nicht schon deswegen Bedenken ausgesetzt ist, weil dem Kunden nur ein Kündigungsrecht eingeräumt wird, nicht aber auch ein Widerspruchsrecht, wie es bei den AGB der Kreditwirtschaft immerhin der Fall war. Weiter ist zu klären, ob die AGB-Regelungen von Amazon dieser Rechtsprechung auch formal Genüge tun und ob die konkrete Umsetzung der Preisänderung wieder – ins­besondere materiell – diesen AGB und der Rechtsprechung genügt.

Bei Amazon haben vermutlich keine deutschen AGB-Rechtler über das Vorgehen entschieden, sondern mit spitzem Bleistift kalkulierende Betriebswirte. Es dürfte spannend werden, ob sie sich mit dieser Vorgehensweise nicht verrechnet haben.

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Rechtsanwalt Prof. Dr. Patrick Rösler ist Vorstandsvorsitzender der FCH Gruppe AG und Professor für Bank- und Wirtschaftsrecht an der Allensbach Hochschule.