Interview
Plattformregulierung nur auf Papier
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Der Würzburger Anwalt Chan-jo Jun hat sich dem Kampf gegen Hass und Hetze im Netz verschrieben. Darum wird er auch selbst regelmäßig angefeindet. Jetzt hat er daraus Konsequenzen gezogen und seinen reichweitenstarken Twitter-Account deaktiviert. Hierzu und zu wirkungsvollen Maßnahmen gegen Hatespeech haben wir ihn befragt.

25. Aug 2022

NJW: Wie kam es dazu, dass Sie sich so intensiv gegen Hass und Hetze im Netz engagieren?

Jun: Schon im Jahr 2015 wunderten sich Medien sowie Juristinnen und Juristen darüber, dass so viele klar strafbare Inhalte auf Facebook verblieben. Zu der Zeit dachte ich, ich müsste nur kurz das Prinzip vorführen, dass die Haftung der Provider – also Plattformbetreibende – mit Kenntniserlangung beginnt und zur Strafbarkeit der Manager führen muss. Das führte in einem von mir geschaffenen Präzedenzfall zur Eröffnung des Ermittlungsverfahrens gegen Mark Zuckerberg und später zur Verankerung der Bußgeldandrohungen im NetzDG. Seither werde ich das Thema nicht mehr los.

NJW: Für Ihren Einsatz gegen Hasskriminalität haben Sie kürzlich den For..Net Media Award erhalten, ein Preis für Verdienste um die mediale Vermittlung der Digitalisierungsfolgen. Was bedeutet die Auszeichnung für Sie und Ihre Arbeit?

Jun: Rechtspolitisches Engagement sollte auch ohne Applaus auskommen. Eine Auszeichnung ist trotzdem ein freundlicher Lichtblick aus der Zivilisation inmitten der digitalen und inzwischen oft forensischen Schlammschlachten.

NJW: Obwohl der Gesetzgeber in den vergangenen Jahren nicht untätig war, sind die bisherigen Instrumente gegen Hatespeech nicht besonders wirkungsvoll. Woran liegt das?

Jun: Durch Jan Böhmermanns letzte Enthüllung mussten wir wieder lernen, dass die Polizei noch immer in vielen Bundesländern die Strafverfolgung bei Aussagedelikten schon bei der Anzeigenaufnahme vereitelt, ­indem die Anzeigenerstatter abgewimmelt werden. Wir haben dort kaum Fortschritte gemacht. Das gilt auch für die Regulierung der Plattformbetreiber, die nur noch auf dem Papier existiert und per Gentlemen’s-Agreement bis zum Inkrafttreten des Digital Services Acts ausgesetzt wurde. Ersichtlich wird das etwa daran, dass das Bundesamt für Justiz in fünf Jahren nicht ein einziges Mal die eigentlich für jedermann offenkundige systematische Verletzung der Moderationspflichten nachweisen konnte.

NJW: Wie läuft das denn in der Praxis konkret ab, wenn man sich wegen offensichtlich rechtswidriger Inhalte in sozialen Medien an die Netzwerke oder die Strafverfolgungsbehörden wendet?

Jun: Die Plattformbetreiber wenden nur jene ­deutschen Gesetze an, die mit ihren eigenen Gemeinschafts­standards übereinstimmen, bleiben aber oft untätig bei Beleidigungen, Bedrohungen oder Verleumdungen. Die Ermittlerinnen und Ermittler fragen höflich bei Facebook nach und werden dann auf den Rechtshilfeweg über Irland verwiesen – der stets fruchtlos verläuft. In dieser Situation unternehmen die Ermittlungsbehörden auch keine Anstrengungen, die Täterinnen und ­Täter über andere Spuren zu ermitteln, obwohl das oft möglich wäre. Wiederholungstäter merken dies und ­intensivieren ihre Taten sogar, weil sie unbehelligt ­bleiben.

NJW: Was wäre nötig, damit der Hass im Netz wirksam bekämpft werden kann? Effektivere Regelungskonzepte, mehr Personal, schärfere Sanktionen oder von allem etwas?

Jun: Hausaufgaben gibt es auf allen Ebenen: in der Politik und Justiz, bei Nutzerinnen und Nutzern sowie in der Zivilgesellschaft. Es fängt an bei einer mutigen Umsetzung des voraussichtlich im Herbst kommenden ­Digital Services Acts zur Plattformregulierung, aber das reicht nicht. Wir brauchen: Schlauere Polizeiarbeit auch im Bereich der Gefahrenabwehr, zivile Organi­sationen zur Opferberatung, Anpassung von Offline-­Delikte an virtuelle Begehungsformen, digitalisierte Mahnverfahren gegenüber Usern und Plattformen, kryptografische Quick-Freeze-Verfahren zur Datensicherung, Schadensersatzberechnungen für Persönlichkeitsrechtsverletzungen und vieles mehr. Es würde schon helfen, wenn sich die Politikerinnen und Politiker für die praxisnahen Lösungen interessieren und hierzu erkundigen würden. Für diesen Austausch stehe ich bereit.

NJW: Sie haben vor Kurzem Ihren Twitter-Account, auf dem Ihnen in nur kurzer Zeit fast 75.000 Personen folgten, deaktiviert. Was war ausschlaggebend für diesen Entschluss?

Jun: Der Tod der österreichischen Ärztin Lisa-Maria Kellermayr zeigte sehr schmerzhaft auf, wie hilflos wir gegenüber Hass und Bedrohung dastehen. So wie ich setzte sie sich aktiv für die Verbreitung sachlicher Informationen ein. Ich hatte jedoch zuletzt den Eindruck, dass auch meine juristischen Beiträge auf Twitter für einen objektiven Diskurs nicht mehr hilfreich waren, sondern vielmehr die Gräben vertieft haben. Dazu möchte ich nicht beitragen.

NJW: Sie geben damit eine immense Reichweite auf. Hat das auch Folgen für Ihre anwaltliche Tätigkeit, ­namentlich die Akquise?

Jun: Twitter war nie dafür da, Werbung für die Kanzlei zu betreiben, und wirkte sich darauf kaum aus. Davon abgesehen: Kanzleien im IT-Recht haben meist mehr Mandatsanfragen, als sie bearbeiten können – die ­Fragestellungen vermehren sich schneller als die entsprechenden Anwältinnen und Anwälte.

NJW: Ziehen Sie sich damit auch aus dem Thema zurück?

Jun: Ganz im Gegenteil: Jetzt müssen die Weichen für die Zukunft gestellt werden. Ich habe ein Team aus sieben Personen in der Pro Bono Practice, die zusammen mit der gemeinnützigen Organisation HateAid juristische und technische Konzepte im Kampf gegen Hatespeech entwickeln.

NJW: Wo werden Sie künftig Ihre gewohnt sachliche und unterhaltsame Aufklärung betreiben?

Jun: Auf YouTube betreibe ich weiterhin den Kanal ­„Anwalt Jun“. In den Videos geht es entsprechend der Kanalbeschreibung darum, rechtliche Hintergründe sachlich, aber spannend, bewertend, aber nicht abwertend zu erklären. Darüber hinaus bespreche ich mich in Videokonferenzen mit Politikerinnen und Politikern sowie Aktivistinnen und Aktivisten.

NJW: Sie sind nicht nur selbst im Netz regelmäßig angefeindet, sondern auch häufig verklagt worden. Fast immer haben Sie gewonnen. Warum gehen Ihre ­Gegner dennoch auf diese offensichtlich wirkungslose Weise gegen einen erfahrenen Medienanwalt vor?

Jun: Wer einen Kritiker mundtot machen will, braucht keine großen Erfolgsaussichten. Auch eine Abmahnung oder Kammerbeschwerde auf der Grundlage von „QuatschJura“ bindet bei mir Ressourcen bei seriöser Erwiderung. Die Abmahnanwältinnen und -anwälte ­bemühen sich oft nicht einmal um eine Subsumtion, sondern begnügen sich mit Schlagworten wie „Gleichheitsgrundsatz“ oder „Schädigungsabsicht“ als Begründung. Mit diesen sogenannten SLAPP-Klagen sollen Personen eingeschüchtert und aus der Öffentlichkeit verbannt werden.

NJW: Gäbe es rechtliche Mittel gegen das noch junge Phänomen solcher Klagen?

Jun: Die EU-Kommission hat schon einen Richtlinien-Entwurf vorgelegt, der sich auf gerichtliche Verfahren fokussiert. In Deutschland setzt das Problem allerdings schon beim missbrauchsanfälligen Abmahnwesen ein. Die abgemahnte Person soll für eine Musterabmahnung etwa 1.000 Euro bezahlen und zahlt das gleiche für die anwaltliche Verteidigung, hat dafür aber keinen Erstattungsanspruch. Im Vergleich dazu gibt es im Urheberrecht die Missbrauchsbegrenzung schon (§ 97a UrhG).

Chan-jo Jun absolvierte das Erste Staatsexamen in Würzburg. Als Bester seines Jahrgangs wurde er mit dem Wolfgang-Kuhlen-Preis ausgezeichnet. Danach arbeitete er einige Zeit für die Unternehmensberatung McKinsey. Nach Zweitem Staatsexamen und Zulassung als Anwalt war er vor allem im IT-Recht tätig. Heute sind in seiner Kanzlei für IT- und Wirtschaftsrecht 17 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte beschäftigt. Große Aufmerksamkeit erzielte Jun 2016 mit einer Strafanzeige gegen den Facebook-CEO Mark Zuckerberg und weitere Top-Manager des Netzwerks wegen Beihilfe zur Volksverhetzung (s. hierzu auch das Interview mit ihm in NJW-aktuell H. 48/2016, S. 12). Für sein Engagement gegen Hasskriminalität wurde Jun in diesem Jahr mit dem For..net Media Award ausgezeichnet.

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Interview: Tobias Freudenberg .