Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl
Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Berufsrecht 08/2021 vom 22.04.2021
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Sachverhalt
Der zur Rückabwicklung eines Pkw-Kaufvertrags unter Abzug einer Nutzungsentschädigung verurteilte Beklagte beantragte innerhalb der Berufungsfrist Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren. Der Senatsvorsitzende des Berufungsgerichts wies ihn am 18.07.2019 darauf hin, dass PKH nicht bewilligt werden könne, da innerhalb der Frist zur Einlegung der Berufung kein vollständiger Antrag gestellt worden sei. Der Beklagte habe sein Einkommen nicht hinreichend dargelegt. Innerhalb einer ihm gesetzten Frist zur Stellungnahme trug der Beklagte weiter vor. Mit am 02.09.2019 dem Beklagtenvertreter zugestellten Beschluss lehnte das Berufungsgericht die PKH-Bewilligung ab. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Beklagte die persönlichen und wirtschaftlichen PKH-Voraussetzungen erfülle. Jedenfalls habe die beabsichtigte Berufung keine Aussicht auf Erfolg.
Mit am 16.09.2019 eingegangenen Schriftsatz legte der Beklagte Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil ein und beantragte die Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist und vorsorglich in die Berufungsbegründungsfrist. Nach einem entsprechenden Hinweis verwarf das Berufungsgericht die Berufung und den Wiedereinsetzungsantrag schließlich als unzulässig. Es führte aus, der Antrag auf Wiedereinsetzung in die am 02.05.2019 abgelaufene Berufungsfrist sei unzulässig, da die zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist nicht gewahrt worden sei. Diese habe vorliegend nicht erst mit der Zustellung des ablehnenden PKH-Beschlusses vom 19.8.2019 begonnen, sondern bereits mit dem Zugang des Hinweises des Senatsvorsitzenden vom 18.07.2019. Dagegen legte der Beklagte Rechtsbeschwerde ein.
Entscheidung: Frist beginnt erst mit Zugang des PKH-Ablehnungsbeschlusses
Die Rechtsbeschwerde hatte Erfolg.
Der Beklagte sei schuldlos daran gehindert gewesen, die Fristen zur Einlegung und Begründung der Berufung zu wahren und habe rechtzeitig (§ 234 Abs. 1 und 2 ZPO) Wiedereinsetzung beantragt. Denn die Wiedereinsetzungsfristen hätten nicht bereits mit Zustellung des gerichtlichen Hinweises vom 18.07.2019 begonnen, sondern erst mit Zugang des PKH-Ablehnungsbeschlusses.
Eine Partei, die vor Ablauf der Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfrist lediglich einen PKH-Antrag stelle, sei bei noch laufendem PKH-Verfahren schuldlos verhindert, die Fristen einzuhalten, wenn sie vernünftigerweise nicht damit rechnen musste, dass ihr PKH mangels Bedürftigkeit versagt wird. Die Wiedereinsetzungsfrist nach § 234 Abs. 1 ZPO beginne grundsätzlich nicht vor der Bekanntgabe der PKH-Entscheidung des Gerichts.
Werde die beantragte PKH nach Ablauf der Rechtsmittelfrist versagt, bleibe der Partei nach der Bekanntgabe der Entscheidung noch eine Zeit von höchstens drei bis vier Tagen für die Überlegung, ob sie das Rechtsmittel auf eigene Kosten durchführen will. Im Anschluss an diese Überlegungsfrist beginne die zweiwöchige Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO für das Wiedereinsetzungsgesuch und die damit zu verbindende Einlegung des Rechtsmittels. Dies gelte auch dann, wenn das Gericht nicht die Bedürftigkeit der Partei, sondern die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung verneint hat.
Die Zweiwochenfrist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO beginne allerdings dann schon früher zu laufen, wenn für die Partei schon zuvor etwa aufgrund eines gerichtlichen Beschlusses erkennbar ist, dass ihr Antrag keinen Erfolg haben wird. In diesen Fällen dürfe der Antragsteller nur dann weiterhin auf eine PKH-Bewilligung vertrauen, wenn er vernünftigerweise davon ausgehen durfte, die Zweifel ausräumen zu können, und die gerichtliche Auflage ordnungsgemäß erfüllt.
Hier habe der Beklagte auch nach Erhalt des gerichtlichen Hinweises vom 18.07.2019 nicht damit rechnen müssen, dass ihm PKH mangels Bedürftigkeit verweigert wird. Nach der Art der Beanstandungen in diesem Hinweis und der ihm gewährten «Gelegenheit zur Stellungnahme» habe der Beklagte davon ausgehen dürfen, dass er seine Angaben verbessern kann. Dies habe er fristgerecht getan. Auf Basis vergleichbar Einkommens- und Vermögensverhältnisse sei ihm erstinstanzlich PKH ohne Ratenzahlung bewilligt worden. Dann könne der Rechtsmittelkläger bei im Wesentlichen gleichen Angaben zu den Vermögensverhältnissen aber erwarten, dass auch das Gericht des zweiten Rechtszugs ihn als bedürftig im Sinn des § 115 ZPO ansieht. Die Partei brauche nicht damit zu rechnen, dass das Rechtsmittelgericht strengere Anforderungen an den Nachweis der Bedürftigkeit stelle.
Das Vertrauen des Beklagten, die wirtschaftlichen PKH-Voraussetzungen – weiterhin – zu erfüllen, folge auch daraus, dass ihm derselbe Senat einige Zeit zuvor in einem anderen Berufungsverfahren auf der Basis der gleichen Unterlagen PKH bewilligt hatte. Darauf, dass dem Berufungsgericht die Akten des damaligen Verfahrens nicht mehr vorgelegen hätten, komme es für das (fortbestehende) Vertrauen des Beklagten in die PKH-Bewilligung nicht an. Daher habe er – trotz geäußerter Bedenken – nicht davon ausgehen müssen, dass derselbe Senat einige Monate später die beantragte PKH mangels Bedürftigkeit versagen wird.
Praxishinweis
Die Wiedereinsetzungsfragen, die sich stellen, wenn Prozesskostenhilfe erforderlich ist, um ein Berufungs- oder Rechtsmittelverfahren durchzuführen, sind für den Anwalt fehlerträchtig (siehe hierzu näher auch Fischer in Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021 ZPO § 117 Rn. 12 ff.). In der berichteten Entscheidung hat das Gericht zu Recht entschieden, dass ein berechtigtes Vertrauen des Antragstellers, die Zweifel an seiner Bedürftigkeit ausräumen zu können, auch dadurch begründet werden kann, dass das erstinstanzliche Gericht oder sogar das Berufungsgericht in einem anderen Verfahren auf vergleichbarer Faktenbasis Prozesskostenhilfe bewilligt hat.
BGH, Beschluss vom 09.03.2021 - VIII ZB 1/21, rechtskräftig (OLG Frankfurt a. M.), BeckRS 2021, 7058