Urteilsanalyse
Pflichten des Rechtsanwalts bei der Signierung eines Dokuments
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Bei der Signierung eines ein Rechtsmittel oder eine Rechtsmittelbegründung enthaltenden fristwahrenden elektronischen Dokumentes gehört es nach einem Beschluss des BGH zu den nicht auf das Büropersonal übertragbaren Pflichten eines Rechtsanwalts, das zu signierende Dokument zuvor selbst sorgfältig auf Richtigkeit und Vollständigkeit zu prüfen. 

29. Apr 2022

Anmerkung von
Rechtsanwalt beim BGH Dr. Guido Toussaint, Toussaint & Schmitt, Karlsruhe

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 08/2022 vom 22.04.2022

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Sachverhalt

Der in erster Instanz unterlegene Beklagte hat fristgerecht Berufung eingelegt. Am letzten Tag der Berufungsbegründungsfrist ging beim OLG aus dem beA der Instanzbevollmächtigten des Beklagten ein qualifiziert signierter Schriftsatz ein, der mit „Berufungsbegründung“ überschrieben war, aber nur aus einer Seite bestand. Auf entsprechende Mitteilung der Geschäftsstelle des Berufungssenats ging am Morgen des Folgetags sodann die vollständige, fünfseitige Berufungsbegründung ein. Etwa eine Woche später hat der Beklagte die Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist beantragt. Aus der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags ergibt sich, dass die Rechtsanwältin des Beklagten am Morgen des Fristablaufstags die in die Anwaltssoftware eingestellte fertige Berufungsbegründung vor der Signierung auf Richtigkeit, Vollständigkeit und Fehlerfreiheit geprüft und ihre Sekretärin angewiesen hat, zunächst auf Seite 1 einen kleinen Tippfehler auszubessern, was diese auch weisungsgemäß erledigt hat. Anschließend hat die – sonst sehr zuverlässige, geschulte und erfahrene – Sekretärin für die Papierakte die geänderte Seite 1 ausgedruckt und sodann das Word-Dokument in ein PDF-Dokument umgewandelt, dabei aber übersehen, dass bei dem Print-to-PDF-Vorgang die Einstellung des vorangegangenen Druckvorgangs (Ausdruck nur der Seite 1) übernommen und daher ein nur aus der Seite 1 bestehendes PDF-Dokument erzeugt worden ist. Das in die Anwaltssoftware eingestellte neue Dokument ist dann von der Rechtsanwältin signiert worden, die zuvor lediglich die Umsetzung ihrer Korrekturanweisung überprüft hat.

Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen, weil es zu den Pflichten eines Rechtsanwalts gehöre, für einen mangelfreien Zustand des ausgehenden Schriftsatzes zu sorgen. Die Rechtsanwältin des Beklagten habe sich daher nicht darauf verlassen dürfen, dass das von ihrer Sekretärin erneut in die Anwaltssoftware zur Signatur eingestellte PDF-Dokument vollständig war; sie habe das Dokument, das sie nach eigenem Vorbringen geöffnet habe, vielmehr nochmals vollständig überprüfen müssen. Dann wäre ihr aufgefallen, dass das Dokument nur eine Seite umfasst habe.

Entscheidung: Unterlassung der Überprüfung des Dokuments auf Vollständigkeit vor Signierung war sorgfaltswidrig

Die hiergegen vom Beklagten erhobene (ohne weiters statthafte, §§ 574 I 1 Nr. 1, 522 I 4, 238 II 1 ZPO) Rechtsbeschwerde hatte keinen Erfolg.

Nach Ansicht des BGH entspricht die Annahme des Berufungsgerichts, die Rechtsanwältin des Beklagten habe sorgfaltswidrig gehandelt, als sie das ihr im zweiten Durchgang zur Signierung zugeleitete elektronische Dokument zwar geöffnet und auf Korrektur des im ersten Durchgang monierten Tippfehlers, nicht aber auf Vollständigkeit iÜ überprüft habe, den von der Rspr. entwickelten Grundsätzen. Danach gehöre es zu den Aufgaben eines Verfahrensbevollmächtigten, dafür zu sorgen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig erstellt werde und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingehe. Die Erstellung fristwahrender Rechtsmittel oder Rechtsmittelbegründungen gehöre dabei zu den Aufgaben, die ein Rechtsanwalt seinem angestellten Büropersonal nicht übertragen dürfe, ohne das Arbeitsergebnis auf seine Richtigkeit und Vollständigkeit selbst sorgfältig zu überprüfen; ein Rechtsanwalt handele daher schuldhaft, wenn er eine Rechtsmittelbegründungsschrift unterschreibe, ohne sie zuvor auf Richtigkeit und Vollständigkeit zu überprüfen. Dies gelte auch, wenn ein Schriftsatz zum zweiten Mal vorgelegt werde, weil der – bislang nicht unterzeichnete – Schriftsatz ein weiteres Mal in seinen eigenen Kontroll- und damit auch Verantwortungsbereich gelangt sei. Dies gelte im elektronischen Rechtsverkehr auch für die elektronische Signatur, die die gleiche Rechtswirkung wie eine handschriftliche Unterschrift habe. Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Signierung eines elektronischen Dokuments entsprächen daher ebenso denen bei der Leistung einer Unterschrift wie sie bei der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs per beA denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax entsprächen. Auch bei der Signierung eines ein Rechtsmittel oder eine Rechtsmittelbegründung enthaltenden fristwahrenden elektronischen Dokumentes (§ 130a III 1 ZPO) gehöre es daher zu den nicht auf das Büropersonal übertragbaren Pflichten eines Rechtsanwalts, das zu signierende Dokument zuvor selbst sorgfältig auf Richtigkeit und Vollständigkeit zu prüfen. Eine erneute Überprüfung sie hier auch nicht deshalb entbehrlich gewesen, weil die Instanzbevollmächtigte des Beklagten im ersten Durchgang das ihr zur Signierung zugeleitete Dokument vollständig überprüft und ihrer Sekretärin die Einzelanweisung erteilt hätte, den Tippfehler auf der ersten Seite der Berufungsbegründung zu korrigieren. Zwar sei nach stRspr des BGH ein der Partei zuzurechnendes Verschulden ihres Anwalts an der Fristversäumung grundsätzlich nicht gegeben, wenn der Rechtsanwalt einer Kanzleiangestellten, die sich bisher als zuverlässig erwiesen habe, eine konkrete Einzelweisung erteile, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte. Ursächlich für die Übermittlung des fehlerhaften Dokuments per beA sei hier aber nicht der Fehler der Kanzleiangestellten, sondern der Umstand, dass die Instanzbevollmächtigte des Beklagten es ungeprüft signiert und hierdurch eine neue Gefahr geschaffen habe.

Da der angefochtene Beschluss somit nicht den Anspruch des Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 I GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip) verletze, sei eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 II Nr. 2 ZPO) und die Rechtsbeschwerde folglich unzulässig.

Praxishinweis

In der „Papierwelt“ kann sich der Rechtsanwalt grds. darauf verlassen, dass seine einer zuverlässigen Bürokraft erteilte Einzelweisung, unverzüglich bei einem bereits unterzeichneten Schriftsatz eine einzelne Seite nach Korrektur eines Fehlers auszutauschen und den so korrigierten Schriftsatz an das Gericht weiterzuleiten, ordnungsgemäß ausgeführt wird (vgl. etwa BGH NJW-RR 2016, 126). Wie die besprochene Entscheidung zeigt, gilt dies für die „beA-Welt“ nicht, weil der Austausch einzelner Seiten eines bereits signierten Dokuments nicht möglich ist. Vielmehr bleibt nur die Möglichkeit, nach Ausbesserung ein vollständig neues Dokument zu erstellen, was dann (gfs. wiederum) vom Rechtsanwalt signiert wird. Die Entscheidung macht deutlich, dass der Rechtsanwalt in diesem Falle das Dokument insgesamt noch einmal auf Vollständigkeit überprüfen muss. Der im besprochenen Fall durch die Verwendung der Print-to-PDF-Funktion entstandene Fehler hätte iÜ wohl vermieden werden können, wenn das für die Versendung der beA erforderliche PDF(/A)-Dokument aus dem Word-Dokument nicht mittels der Druckfunktion, sondern durch einfaches Abspeichern der Datei in dem entsprechenden Format (speichern unter, Dateityp: PDF, Optionen: PDF/A-kompatibel) erstellt worden wäre.


BGH, Beschluss vom 08.03.2022 - VI ZB 78/21, BeckRS 2022, 7011