Urteilsanalyse
Pflicht zur Nutzung des ERV durch Verbands-Syndikusrechtsanwalt
Urteilsanalyse
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Ein Verbandssyndikusrechtsanwalt ist laut BAG zur aktiven Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs aus § 46g S. 1 ArbGG berechtigt und verpflichtet, wenn er in dieser Stellung gegenüber einem Gericht tätig wird. Die Einreichung von Erklärungen bei Gericht unter Verwendung des elektronischen Rechtsverkehrs sei eine Frage der Zulässigkeit, so das Gericht weiter. Die Wahrung der Form sei daher von Amts wegen zu prüfen.

30. Jun 2023

Anmerkung von
RAin Dr. Doris-Maria Schuster, Gleiss Lutz, Hamburg

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 25/2023 vom 29.06.2023

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ArbGG §§ 11 II 2, 46c46e Ia46g50 II6477; ZPO §§ 130130a130d233236 II 2, 519 IV575; ZPO aF 173 II; BRAO §§ 3131a4646c; ERVV §§ 6 - 10

Sachverhalt

Die Parteien streiten um Provisionsansprüche aus einem Arbeitsverhältnis. Die Beklagte ließ sich dabei vom Arbeitgeberverband vertreten. Der für den Arbeitgeberverband tätige Syndikusrechtsanwalt des Verbands legte Berufung ein. Dies geschah per Fax und später im Original. Zu einer Übermittlung des Schriftsatzes über den elektronischen Rechtsverkehr (ERV) kam es nicht. Der Kläger rügte daraufhin die Zulässigkeit der Berufung wegen der fehlenden Nutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA). Das LAG Hamm teilte mit, eine aktive Nutzungspflicht für (Verbands-)Syndikusanwälte zu bejahen und verwarf die Berufung der Beklagten als unzulässig. Für die Formwirksamkeit hätte die Berufung unter Nutzung des ERV eingelegt werden müssen. Die Beklagte erhob daraufhin Revisionsbeschwerde vor dem BAG.

Entscheidung

Das BAG wies die Revision als unbegründet zurück. Es teilt die Ansicht des LAG zur Unzulässigkeit der Berufung. Denn die Übermittlung eines Schriftsatzes durch Telefax und im Original genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen der § 64 Abs. 7 iVm. §§ 46g46c ArbGG. Die Berufung durch den Verbandssyndikusanwalt hätte gem. § 46c Abs. 3,4 ArbGG iVm. den Bestimmungen der Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung (ERVV) einer Übermittlung über das ERV bedurft, um formgerecht eingelegt und begründet zu werden. Nach § 46c Abs. 1 BRAO gelten für Syndikusrechtsanwälte die Vorschriften für Rechtsanwälte, soweit gesetzlich nichts Anderes geregelt ist. Andere gesetzliche Bestimmungen, die Syndikusanwälte von der Pflicht zur Nutzung des ERV entbinden, gibt es nach Ansicht des BAG nicht. Im Gegenteil zielen die §§ 46ff. BRAO darauf ab, die Tätigkeit des Syndikusrechtsanwalts als eine besondere Form der Ausübung des einheitlichen Berufs des Rechtsanwalts herauszustellen. Die Nutzungspflicht ergibt sich daher aus § 46g S. 1 ArbGG, der bestimmt, dass Schriftsätze, die durch einen Rechtsanwalt, eine Behörde oder von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln sind. § 46g ArbGG differenziere schon dem Wortlaut nach nicht zwischen Syndikusanwälten und Anwälten. Entscheidend sei die Rechtsstellung als Rechtsanwalt. Der Syndikusrechtsanwalt ist trotz seiner Anstellung im Unternehmen seit Inkrafttreten des Syndiskusrechtsanwältegesetzes ein Rechtsanwalt. Ferner verfügt er über einen Zugang zum beA, § 31a Abs. 6 BRAO. Damit ist ein sicherer Übermittlungsweg für die Übermittlung elektronischer Daten bereitgestellt, vgl. § 46c Abs. 5 iVm. §§ 31a Abs. 131 BRAO. Dies entspricht nach Ansicht des BAG auch dem Sinn und Zweck des § 46g ArbGG, der den erklärten Willen des Gesetzgebers ausdrückt, den ERV, unter anderem aus Kostengründen, zur Kommunikation mit den Gerichten zu etablieren. Soweit die Beklagte meinte, die Nutzungspflicht sei auf Fälle der prozessualen Vertretung durch einen Syndikusrechtsanwalt beschränkt, treffe aber nicht den Verbandssyndikusrechtsanwalt weil er lediglich Organ des prozessbevollmächtigten Verbands sei, überzeugte dieses Argument das BAG nicht. § 46g ArbGG sei keine Einschränkung zu entnehmen, wonach sich die Pflicht zur Nutzung des ERV nur auf unmittelbare Prozessbevollmächtigte beziehe. Es komme auf die bloße Rechtsstellung als Rechtsanwalt an. Ebendiese Rechtsstellung haben Syndikusrechtsanwälte.  

Praxishinweis

Das BAG bejaht eine aktive Nutzungspflicht des ERV für Syndikusrechtsanwälte auch dann, wenn sie in einem Gerichtsverfahren als Verbandsvertreter agieren. Das ist nur konsequent, weil Syndikusrechtsanwälte damit nicht nur versorgungsrechtlich, sondern auch in ihrer prozessualen Rechtsstellung den Rechtsanwälten gleichgestellt werden. Verbandssyndici, die sich die „Bürde“ der Nutzung des ERV nicht auferlegen wollen, steht es frei, von einer Zulassung als Syndikusrechtsanwalt abzusehen. Dann können sie, jedenfalls bis zum Inkrafttreten der Nutzungspflicht des ERV für Verbände am 01.01.2026, weiterhin Schriftsätze per Fax oder Post einreichen.

BAG, Urteil vom 23.05.2023 - 10 AZB 18/22 (LAG Hamm), BeckRS 2023, 12107