Wollen Pflegebedürftige möglichst lange in ihrer häuslichen Umgebung bleiben und dort Pflegeleistungen erhalten, fehlt es bislang an passgenauen Leistungen der (gesetzlichen) Pflegeversicherung: Diese beschränkt sich auf nicht auskömmliche Sach- und Geldleistungen. Hinzu kommt der Mangel an Pflegekräften. Ein Ausweg war der Rückgriff auf privat finanzierte Pflegekräfte aus dem – meist osteuropäischen – Ausland. Trotz geringerer vereinbarter Arbeitszeit wurde häufig Einsatzbereitschaft „rund um die Uhr“ erwartet.
Ein solcher 24-Stunden-Dienst war schon immer klar rechtswidrig. Dementsprechend hat das BAG nun – nicht überraschend – entschieden, dass der Rückgriff auf 24-Stunden- Bereitschaftspflege kein gangbarer Weg ist (Urt. v. 24.6. 2021 – 5 AZR 505/20, Pressemitteilung 16/21): Bereitschaftsdienstzeiten zählen zur Arbeitszeit, so dass eine 24-Stunden-Bereitschaftspflege durch eine Pflegekraft schon arbeitszeitrechtlich ausscheidet. Auch sind Bereitschaftsdienstzeiten – unabhängig vom vereinbarten Vertragsstatut – auf Mindestlohnniveau zu vergüten. Daher sind derartige Pflegemodelle rechtskonform allenfalls bei wechselschichtigem Einsatz von mindestens zwei Pflegekräften zu erheblichen Mehrkosten durchführbar. Dies auch sehr zu Recht: Denn die hiesigen Pflegeprobleme durch rechtswidrige Ausbeutung osteuropäischer Billigpflegekräfte zu lösen, wäre ein eklatanter sozialpolitischer Missstand. In der Klemme sitzen damit allerdings die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen, und dieser sozialpolitische Missstand ist kaum weniger bedrückend.
Welche Lösungen sind vorstellbar? De lege lata liegt ein Ansatz in einer Änderung der praktizierten Einsatzbedingungen: So kann eine zeitliche Konzentration der Pflegeleistungen, verbunden mit bloßer Rufbereitschaft in Randzeiten (in denen z.B. auch Familienangehörige zur Verfügung stehen), das Problem entschärfen. Dass Rufbereitschaft nur ausnahmsweise den Arbeitszeitbegriff erfüllt, hat jüngst – mit verbleibenden Rechtsunsicherheiten – der EuGH (NZA 2021, 485) klargestellt. Nicht sicher reduziert würde damit die geschuldete Vergütung, denn das BAG (NZA 2018, 32) vollzieht – systemwidrig, da sich das MiLoG am Arbeitszeitbegriff des ArbZG orientiert – diese Differenzierung nicht trennscharf nach. Bei steigender Höhe des Mindestlohns könnte eine Diskussion darüber entstehen, ob eine fehlende Mindestlohndifferenzierung zwischen Vollarbeit und Bereitschaftsdienst/Rufbereitschaft wirklich sachangemessen und gerecht ist.
Mit dem aktuellen BAG-Urteil gewinnt die Debatte um Leistungsspektrum, Finanzierbarkeit und Fachkräftegewinnung in der Pflege erneut an Bedeutung – ein vielschichtiger Interessenkonflikt, dem sich der Bundesgesetzgeber in der kommenden Legislaturperiode wird stellen müssen. •