Urteilsanalyse
Pedelecs sind keine Kraftfahrzeuge im strafrechtlichen Sinne
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Pedelecs sind nach einem Urteil des OLG Karlsruhe vom 15.10.2020 strafrechtlich nicht als Kraftfahrzeuge einzuordnen, da der Ausnahme von Pedelecs vom straßenverkehrsrechtlichen Kfz-Begriff in § 1 Abs. 3 StVG auch entscheidende Bedeutung für die Auslegung des Kfz-Begriffs im Strafrecht zukommt.

30. Nov 2020

Anmerkung von 
Rechtsanwältin Ruth Anthea Kienzerle, Ignor & Partner GbR, Berlin

Aus beck-fachdienst Strafrecht 23/2020 vom 26.11.2020

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Sachverhalt

Nach den Feststellungen des LG stieß A als Fahrer eines Pedelecs, einem Fahrrad mit zuschaltbarem Elektromotor mit Nenndauerleistung von 250 Watt, der das Fahrrad ohne Trittleistung bis 6 km/h und mit Treten bis zu 25 km/h (mit-)antrieb, mit einer Fahrradfahrerin zusammen. Nach den weiteren Feststellungen des LG hatte A bei dem Zusammenstoß eine maximale BAK von 1,59 Promille. Die Beweise reichten indes nicht für die Annahme aus, A sei deshalb alkoholbedingt nicht mehr zum Führen des Fahrzeugs in der Lage gewesen. Das AG und LG sprachen A frei. Sie gingen auf Grundlage von § 1 Abs. 3 StVG davon aus, dass das Pedelec nicht als Kraftfahrzeug einzustufen und für die Beurteilung der absoluten Fahruntüchtigkeit der für Fahrradfahrer geltende Grenzwert von 1,6 Promille zugrunde zu legen war. Hiergegen wandte sich die StA mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision, die auch von der GenStA vertreten wurde.

Entscheidung

Das OLG verwarf die Revision der StA als unbegründet. Der Freispruch sei zu Recht ergangen. Hinsichtlich fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr (§ 316 Abs. 1 StGB) komme es darauf an, ob Pedelec-Fahrer bereits ab einer BAK von 1,1 Promille absolut fahruntüchtig seien, sodass sie auch ohne weitere Beweiszeichen als unwiderleglich ungeeignet zum Führen des Pedelecs anzusehen seien. Ein dahingehender Erfahrungssatz bestehe indes derzeit nicht.

Der für Kfz-Führer geltende Grenzwert von 1,1 Promille sei schon deshalb nicht auf Pedelec-Fahrer übertragbar, weil es sich bei Pedelecs nicht um Kfz im strafrechtlichen Sinne handele. Der rechtlichen Ausnahme von Pedelecs aus dem straßenverkehrsrechtlichen Kfz-Begriff gemäß § 1 Abs. 3 StVG komme auch entscheidende Bedeutung im Strafrecht zu. Es sei allgemein anerkannt, dass straßenverkehrsrechtliche Begrifflichkeiten wegen des gleichen Schutzzwecks der Verkehrssicherheit auch bei der Auslegung von Strafrechtsnormen, die den Straßenverkehr betreffen, heranzuziehen seien. Es entspreche daher ganz überwiegender Auffassung, dass der strafrechtliche Kfz-Begriff entsprechend der Legaldefinition im StVG zu bestimmen sei. Auch die Gesetzesbegründung für die Einfügung der Ausnahme in § 1 Abs. 3 StVG lege eine vereinheitlichende Auslegung des Kfz-Begriffs über den gesetzlichen Anwendungsbereich des StVG hinaus nahe. Ferner sprächen systematische Erwägungen für dieses Auslegungsergebnis, da die straßenverkehrsrechtliche Ahndung des Führens von Kfz unter Alkoholeinfluss (§ 24a StVG) nach der eindeutigen Regelung in § 1 Abs. 3 StVG auf Pedelecs keine Anwendung finde. Den gleichgerichteten strafrechtlichen Regelungen einen anderen Kfz-Begriff zugrunde zu legen, erscheine systemwidrig.

Ein Erfahrungssatz, dass Pedelec-Fahrer unterhalb der für Fahrradfahrer geltenden Grenze von 1,6 Promille BAK absolut fahruntüchtig seien, bestehe nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand nicht. Zwar gebe es Untersuchungen die andeuteten, dass Pedelecs u.a. wegen der höheren erzielbaren Geschwindigkeit, des höheren Gewichts und des durch die Anschubhilfe veränderten Fahrverhaltens an ihre Fahrer höhere Anforderungen stellten, als an Fahrradfahrer. Allein daraus lasse sich aber nicht auf einen bestimmten niedrigeren Promille-Grenzwert für Pedelec-Fahrer schließen. Untersuchungen der Auswirkung von Alkoholkonsum auf die Leistungsfähigkeit von Pedelec-Fahrern, die zu gesichertem Erfahrungswissen hinsichtlich der Grenzwertbestimmung für alkoholbedingte absolute Fahruntüchtigkeit geführt hätten, lägen derzeit noch nicht vor.

Auch hinsichtlich § 24a Abs. 1 StVG scheide eine Verurteilung aus, da Pedelecs nach der Legaldefinition in § 1 Abs. 3 StVG nicht als Kfz im Sinne dieses Gesetzes gelten.

Praxishinweis

Mit dem Urteil des OLG Karlsruhe liegt nun eine obergerichtliche Entscheidung dazu vor, dass Pedelecs nicht nur straßenverkehrsrechtlich sondern auch strafrechtlich nicht als Kfz einzustufen sind und für Pedelec-Fahrer derzeit der für Fahrradfahrer geltende Grenzwert von 1,6 Promille heranzuziehen ist. Das überzeugt.

Pedelecs unterscheiden sich von Mofas und anderen Kraftfahrzeugen entscheidend, da ihre elektromotorische Trethilfe bzw. Hilfsantriebsleistung oberhalb der auf 6km/h beschränkten Anschubhilfe nur bei gleichzeitigem Treten zum Antrieb beiträgt, sich die Unterstützung mit zunehmender Fahrzeuggeschwindigkeit progressiv verringert und unterbrochen wird, wenn eine Geschwindigkeit von 25 km/h erreicht ist, oder wenn der Fahrer nicht mehr tritt (s. schon BeckRS 2020, 16074). Pedelecs sind wegen dieser technischen Besonderheiten zwischen Fahrrädern und Mofas anzusiedeln und unterscheiden sich insoweit auch von E-Scootern. Dem trägt § 1 Abs. 3 StVG Rechnung, dessen Herausnahme von Pedelecs vom Kfz-Begriff, wie das OLG Karlsruhe überzeugend dargelegt hat, auch bei der strafrechtlichen Einordnung beachtet werden muss. Anderes gilt für E-Scooter, die seit dem 15.6.2019 unter die Verordnung über die Teilnahme von Elektrokleinstfahrzeugen am Straßenverkehr (eKFV) fallen. Die Ausnahmeregelung in § 1 Abs. 3 StVG greift bei ihnen nicht. Das BayObLG hat E-Scooter jüngst strafrechtlich als Kfz eingeordnet und die für Kfz-Führer geltende Promillegrenze von 1,1 Promille herangezogen (BeckRS 2020, 21388). Bei alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit sei das E-Scooter-Fahren unter § 316 StGB zu subsumieren und es liege ein Regelfall des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB vor.

OLG Karlsruhe, Urteil vom 15.10.2020 - 2 Rv 35 Ss 175/20 (OLG Karlsruhe), BeckRS 2020, 28773