Interview
Patentschutz in der Pandemie
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Der Impfstoff gegen das Corona-Virus ist immer noch noch ein knappes Gut. Deshalb fordern nach Indien und Südafrika auch die USA und das EU-Parlament, den Patentschutz auszusetzen. Geht das so einfach? Und gäbe es dann wirklich mehr Impfstoff für alle? Fragen an Prof. Dr. Christoph Ann, der unter anderem zum Erfinder- und Geheimnisschutz an der TU München forscht.

31. Mai 2021

NJW: Herr Professor Ann, beginnen wir unser Gespräch mit einer Hypothese und unterstellen, dass der Patentschutz für Corona-Vakzine zeitweise ausgesetzt wird. Was würde das für die Patentinhaber bedeuten?

Ann: Schwierige Frage, denn eigentlich sind das gleich mehrere Fragen: Den sogenannten TRIPS-Waiver gibt es bislang noch nicht. Er würde eine Änderung des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte des Geistigen Eigentums (TRIPS) erfordern, und eben das hat die US-Handelsbeauftragte Katherine Tai vorgeschlagen. Für eine echte Suspendierung von Patenten müsste also das TRIPS-Übereinkommen geändert werden, einer der drei Pfeiler der Welthandelsorganisation (WTO). Das geht nur einstimmig. Mit Blick sowohl auf den Sinn als auch auf den Erfolg einer solchen Maßnahme bin ich skeptisch. Mir scheint die Sache eher ein politischer Wiedergänger zu sein, denn die Diskussion über Patente kocht eigentlich bei jedem größeren Infektionsgeschehen hoch. Ende der 1990 er Jahre bei AIDS, als die südafrikanische Regierung Patente für antiretrovirale Medikamente bereits suspendiert hatte und sich dann schwertat, die darin liegende Enteignung vor südafrikanischen Gerichten zu verteidigen. Oder 2001 bei den Anthrax-Anschlägen in den USA, als die US-Regierung die Bayer AG mit der Drohung, ihre Patente auf das Präparat Ciprobay bzw. auf dessen Wirkstoff Ciprofloxacin notfalls auszusetzen, zu Preissenkungen bewegte. Das war vor allem deshalb pikant, weil dieselbe US-Regierung unmittelbar vorher südafrikanischen Druck auf amerikanische Unternehmen wie Pfizer als inakzeptabel kritisiert hatte. Nun steht das Thema wieder an, obwohl erstens die Probleme aller laufenden Impfkampagnen gar nicht beim Technologiezugang liegen und zweitens das TRIPS-Übereinkommen in Art. 30, 31 für Patente schon längst die Erteilung von Zwangslizenzen gestattet. Um nun auf Ihre Frage zurückzukommen, was das für Patentinhaber bedeuten würde: Rechtlich gesehen eine Enteignung, denn Patente genießen in allen großen Rechtsordnungen Eigentumsschutz. Das wiederum würde der Finanzierung der Arzneimittelforschung schaden, damit dieser wichtigen Forschung und damit allen Staaten und ihren Bevölkerungen, auch den Armen.

NJW: Gäbe es dann ausreichend Impfstoff für alle, oder gäbe es ihn wenigstens schneller?

Ann: Nein. Mehr Impfstoff gäbe es dadurch kurz- oder auch mittelfristig nicht, und schneller ginge damit erst einmal auch nichts; schon weil Neuverhandlungen des TRIPS-Übereinkommens schwierig sind und eher Jahre dauern werden als Monate. Dass so etwas schwierig und langwierig ist, räumt die US-Handelsbeauftragte Tai in ihrer Pressemitteilung übrigens auch selbst ein. Im Grunde ein Eingeständnis, dass es hier weniger um den Schutz der Welt vor Covid-19 geht als vielmehr um PR-mileage.

NJW: Inwieweit könnte man die betroffenen Pharmaunternehmen verpflichten, an dem erforderlichen Know-how-Transfer mitzuwirken?

Ann: Das ist die entscheidende Frage, die auch Médecins sans Frontières schon gestellt hat. Denn Knowhow-Transfer ist natürlich mehr als Technologiezugang. Davon spricht Frau Tai allerdings nicht, vielleicht weil schon absehbar ist, wie schwer die Abgrenzung dessen fiele, was transferiert werden soll und was nicht. Dass Wettbewerbern vor Ort Produktionsanlagen schüsselfertig übergeben werden müssten, wird niemand ernsthaft fordern. Dass das nicht allgemein akzeptiert würde, liegt einigermaßen auf der Hand!

NJW: Wer entscheidet über die Aussetzung des Patentschutzes, und wie läuft ein derartiges Verfahren ab?

Ann: Bislang soll die Aussetzung ja erst noch kommen. Wie sie dann aussehen soll, weiß jetzt natürlich noch niemand. Auf Basis eines entsprechend umgebauten TRIPS-Übereinkommens könnten so etwas wohl nur die Staaten regeln, die die auszusetzenden Patente erteilt haben und in denen sie gelten, orientiert allenfalls an der Feststellung eines Pandemie- oder Katastrophenfalls durch die Vereinten Nationen. Wobei: Speziell die USA fremdeln mit deren Zuständigkeiten meist ja eher.

NJW: Welche rechtlichen Möglichkeiten haben die Impfstoffhersteller, sich gegen eine Aussetzung des Patentschutzes zu wehren?

Ann: Das wissen wir auch noch nicht, aber Rechtsschutz müsste es natürlich geben; und zwar sowohl gegen die Aussetzung selbst als auch gegen die Höhe der Entschädigung, die die Aussetzung zwingend auslösen müsste. Aus deutscher Sicht ginge das gar nicht anders. Denn hier würde enteignet, und nach Art. 14 III GG geht eine Enteignung bekanntlich nicht ohne Entschädigung.

NJW: Die Hersteller der Corona-Impfstoffe haben erheblich von öffentlichen Fördermitteln profitiert. Deshalb sollen sie auch ihre Forschungsergebnisse öffentlich zugänglich machen, lautet ein gängiges Argument. Überzeugt Sie das?

Ann: Ist das so? Mir fehlen da ehrlich gesagt die Kenntnisse. Aber das Argument ließe sich grundsätzlich schon hören. Wobei immer zu fragen ist, wohin welche öffentlichen Mittel wofür und unter welchen Bedingungen geflossen sind. In den USA ist da wohl in einer ganz anderen Größenordnung als etwa bei uns gefördert worden, noch unter Donald Trump wohlgemerkt. Interessanterweise gibt es in den USA allerdings auch ganz andere Eingriffsmöglichkeiten für die Regierung. Private Unternehmen können danach zur Erbringung bestimmter Leistungen angewiesen oder mit ihren Bestellungen priorisiert werden. Während der Coronakrise geschah dies so auch. So wurde etwa General Motors verpflichtet, für 500 Mio. USD 30.000 Beatmungsgeräte zu bauen.

NJW: Gibt es Vorschläge von den Patentinhabern, um die Impfstoffherstellung auf möglichst viele Standorte zu verteilen?

Ann: Ich kenne keinen, was daran liegen mag, dass man Patente eben auch nicht überschätzen darf. Die Produktion hochwertiger Medikamente und Impfstoffe ist extrem komplex. Darum könnte die Aussetzung von Patenten auf Impfstoffe, Zusatzstoffe (Lipide), Formulierungen oder Herstellungsverfahren auch nicht die Probleme lösen, die wir aktuell haben. Weltweit ist das Problem derzeit gerade nicht der Technologiezugang, sondern sind es Produktionskapazitäten. Da tun wir uns sogar in Europa noch schwer. Und weil das so ist, gibt es auch zwei Staaten mit großer Herstellung, die bis heute so gut wie nichts exportiert haben: das Vereinigte Königreich, das zwar aus der EU nennenswert importiert, dorthin nach allem, was man lesen kann, aber nichts exportiert hat, und die USA, die nach meinen Informationen bislang nur im März 2021 ihre Nachbarstaaten in geringem Umfang beliefert haben, Kanada und Mexiko. In Indien konnte deshalb im April sogar kaum Astrazeneca-Vakzin produziert werden. Die USA verhinderten den Export von Impfstoffen und Materialien. Das scheint nun geklärt zu sein, aber der Fall zeigt, wo man ansetzen muss: Derzeit sicher nicht beim Patentschutz. Eine solche Forderung speziell aus den USA wirkt auf mich aktuell eher wie ein Placebo – mit enormer PR-Wirksamkeit, das muss man zugeben.

NJW: Wie würde ein guter Kompromiss aussehen?

Ann: Bis in den Herbst der Nordhalbkugel müssen wir nennenswerte Mengen Impfstoff auch in Gegenden liefern, in denen es keine heimische Produktion gibt. Das ist alternativlos. Impfstoff muss dabei auch in warmen Regionen gut handhabbar sein, also nicht Kühlung oder womöglich gar geschlossene Kühlketten erfordern wie das Vakzin von BioNTech/Pfizer. Curevac plant so etwas wohl, aber woher genau der Impfstoff kommt, ist im Grunde zweitrangig. Wichtig ist seine Qualität, denn gedient ist allen Menschen, ganz gleich wo, nur mit Impfstoffen, die hochwertig und hochwirksam sind. Weil der kurzfristige Aufbau von Fertigungen in aktuell unterversorgten Gebieten nicht realistisch ist, werden wir die laufende Krise noch mit den Instrumenten abfahren müssen, die uns jetzt zur Verfügung stehen, also mit Impfstofflieferungen von der Nord- auf die Südhalbkugel. Dann aber – und darauf kommt es an – darf das Thema bis zur nächsten Pandemie nicht wieder verschwinden! •

Prof. Dr. Christoph Ann, LL.M., studierte Jura in Bayreuth, Erlangen sowie in den USA. Nach Referendariat und Promotion war er zunächst als Anwalt tätig, wechselte dann aber in die Wissenschaft. 1998 wurde er an der Universität Tübingen habilitiert. Sein erster Ruf führte ihn 2000 an die Universität Freiburg i. Br.; von 2001 bis 2003 gehörte er als Richter im Nebenamt einer Patent- und Markenstreitkammer am LG Mannheim an. Seit 2003 ist Ann Inhaber des traditionsreichen Lehrstuhls für Wirtschaftsrecht und Geistiges Eigentum an der TU München.

Interview: Dr. Monika Spiekermann.