Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. H. Philipp Esser, LL.M. (Chicago), Attorney at Law (New York), Schultze & Braun GmbH Rechtsanwaltsgesellschaft
Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 10/2020 vom 20.05.2020
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Sachverhalt
Die Entscheidung schließt an das Urteil EuGH C-548/18 vom 9.10.2019 an. Die BGL BNP Parisbas SA und die TeamBank AG Nürnberg streiten um die Freigabe gerichtlich hinterlegter Gelder.
Im März 2011 schloss die TeamBank einen Darlehensvertrag nach deutschem Recht mit der späteren Insolvenzschuldnerin ab, die luxemburgische Staatsangehörige war, ihren Wohnsitz in Deutschland hatte und Beamtin in Luxemburg ist. Als Sicherheit trat die Schuldnerin ihre gegenwärtigen und künftigen Lohn-, Gehalts- und Pensionsansprüche ab. Wie in Deutschland, am Ort ihres gewöhnlichen Aufenthalts, üblich, informierte sie ihren Arbeitgeber zunächst nicht (stille Zession). Im Juni 2011 schloss die Schuldnerin einen weiteren Darlehensvertrag mit der BGL BNP Parisbas ab, der ebenfalls die Abtretung der vorgenannten Forderungen vorsah. Entsprechend dem luxemburgischen Recht der zugrundeliegenden Forderung, nach dem eine wirksame Abtretung eine Anzeige an den Drittschuldner voraussetzt, informierte die BGL BNP Parisbas den Arbeitgeber hierüber im September 2012.
Nach Eröffnung des deutschen Insolvenzverfahrens der Schuldnerin im Februar 2014 hinterlegte die Treuhänderin die eingezogenen Gehälter der Schuldnerin beim deutschen Amtsgericht. Beide Banken forderten klageweise deren umfassende Freigabe. Das LG Saarbrücken gab der Klage der TeamBank statt, die BGL BNP Parisbas legte die Berufung ein.
Auf Vorlage des OLG Saarbrücken im Berufungsverfahren an den EuGH, ob Art. 14 Rom I-VO zur Frage der Drittwirkung bei Mehrfachabtretungen unmittelbar oder entsprechend anwendbar sei und – falls ja – welchem Recht diese unterlägen, entschied der EuGH, dass Art. 14 Rom I-VO für die Frage der Drittwirkung bei Mehrfachabtretungen weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar ist. Die hierfür früher maßgebliche deutsche Vorschrift in Art. 33 EGBGB war mit Einführung von Art. 14 Rom I-VO aufgehoben worden.
Entscheidung
Das OLG verwies zunächst auf die Entscheidung des EuGH, dass sich die Frage des anwendbaren Rechts auf Drittwirkungen bei mehrfachen Abtretungen von Forderungen weder unmittelbar noch entsprechend aus Art. 14 Rom I-VO ergebe. Daran anschließend führte das OLG aus, dass ohne entsprechende Kollisionsnormen des europäischen Rechts stattdessen deutsches internationales Privatrecht heranzuziehen und trotz der Aufhebung des Art. 33 EGBGB a.F. weiterhin auf die bisherige Regelung in Art. 33 Abs. 2 EGBGB abzustellen sei. Danach richte sich die Drittwirkung bei mehrfacher Abtretung einer Forderung nach dem Recht der abgetretenen Forderung (Forderungsstatut).
Insbesondere rechtfertige die Aufhebung des Art. 33 EGBGB a.F. nicht, infolgedessen auf das Recht am Sitz des Zedenten (Zedentenstatut) abzustellen. Vielmehr entspreche die Maßgeblichkeit des Forderungsstatuts der schon vor Art. 33 EGBGB gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung, an der auch der BGH weiterhin festhalte. Dies werde zudem den berechtigten Interessen des Schuldners gerecht, der so mehr Klarheit darüber erhalte, an wen er zu leisten hat. Aus dem Vorschlag der EU-Kommission für eine möglicherweise künftige Änderung des europäischen Kollisionsrechts zu dieser Frage könne derzeit noch nichts hergeleitet werden.
Somit gehe vorliegend nach maßgeblichem luxemburgischem Recht die zweite (spätere) Abtretung der luxemburgischen Forderung der zuvor in Deutschland erfolgten Abtretung vor, weil der spätere Zessionar hier zuerst den Drittschuldner benachrichtigt habe.
Zur Anwendung gelange das deutsche Internationale Privatrecht im Übrigen nicht aufgrund einer Annexzuständigkeit gem. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO a.F. (Eröffnung des Insolvenzverfahrens: 2014), sondern wegen rügeloser Einlassung der Beklagten gem. Art. 26 Abs. 1 S. 1 EuGVVO. Für eine Annexzuständigkeit gem. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO (a.F.) bedürfe es eines entsprechend engen Zusammenhangs mit dem Insolvenzverfahren. Dieser fehle in einem Rechtsstreit zwischen zwei Absonderungsberechtigten (Zessionaren) über deren Inhaberschaft an einer Forderung ohne Einbeziehung des Insolvenzverwalters.
Die Revision wurde zugelassen.
Praxishinweis
Die Entscheidung im Anschluss an den EuGH gibt gewisse Rechtssicherheit in einem sehr praxisrelevanten – vgl. verlängerter Eigentumsvorbehalt – aber rechtlich umstrittenen Problemfeld. Wie der Fall zeigt, geht es letztlich um die Frage, wem in der Insolvenz eine mehrfach abgetretene Forderung vorrangig zusteht. Typischer Fall: das Aufeinandertreffen von verlängertem Eigentumsvorbehalt zugunsten des Lieferanten und Globalzession zugunsten einer Bank. Vorliegend hatte die deutsche Bank, der die Forderung früher eingeräumt worden war, letztlich doch das Nachsehen, da der Drittschuldner nur im Rahmen der Zweitabtretung ebenfalls informiert worden war.
Dass das OLG hierbei auf Art. 33 Abs. 2 EGBGB a.F. zurückgreift, erscheint sinnvoll. Schließlich bleibt es so, mangels anderweitiger Vorgaben der EU, bei der Maßgeblichkeit des Forderungsstatuts, was jahrzehntelang dem in Deutschland geltenden Recht entsprach. Dabei steht eine Änderung des EU-Rechts gem. dem Vorschlag der Kommission zugunsten des Zedentenstatuts vss. in Kürze an, wurde aber bislang nicht beschlossen. Vor diesem Hintergrund ist es gut, dass das OLG keiner neuen Theorie den Vorzug erteilt hat, sondern es (vorerst) schlicht bei der Anwendung des bislang bestehenden Rechts belässt. Es bleibt zu hoffen, dass der BGH dem OLG folgt.
OLG Saarbrücken, Urteil vom 20.02.2020 - 4 U 109/17, BeckRS 2020, 2943