OLG Jena: Regress des Rechtsschutzversicherers gegen Anwalt des Versicherungsnehmers
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© Dirk-Carsten Günther
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Ein Rechtsanwalt muss nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Jena nicht von einer Klage oder einem Rechtsmittel abraten, solange die Rechtsverfolgung nicht als völlig oder offensichtlich aussichtslos erscheint. Habe eine Rechtsschutzversicherung erst einmal eine Deckungszusage für einen Prozess erteilt, gebe es keinen Anscheinsbeweis mehr, der dafür spricht, dass der Versicherte die Klage ohne Versicherung nicht gewagt hätte.

26. Jun 2020

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther
BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB, Köln

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 12/2020 vom 10.06.2020

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VVG § 86; BGB §§ 195199 IIII204 II280 I242675; EGBGB Art. 229 § 6 IIV 

1. Ein Rechtsanwalt muss nicht von einer Klage oder einem Rechtsmittel abraten, solange die Rechtsverfolgung nicht als völlig oder offensichtlich aussichtslos erscheint.

2. Hat eine Rechtsschutzversicherung eine Deckungszusage für einen Prozess erteilt, ohne dass diese durch falsche Angaben erlangt worden ist, so greift ein Anscheinsbeweis, der Versicherungsnehmer würde den Prozess bei Kenntnis der geringen Erfolgsaussichten und in Anbetracht des hohen Prozessrisikos nicht geführt haben, nicht ein.

3. Eine Deckungszusage stellt ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis dar, welches spätere Einwendungen und Einreden des Rechtsschutzversicherers ausschließt, die ihm bei Abgabe der Deckungszusage bekannt waren oder die er zumindest für möglich gehalten hat oder die er aufgrund des ihm bekannten Sachverhalts hätte erkennen müssen.

Sachverhalt

Die Klägerin, eine Schadensabwicklungsgesellschaft, verlangt von den beklagten Rechtsanwälten Schadensersatz aus übergegangenem Recht des Versicherungsnehmers der Rechtsschutzversicherung, die ihre Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten an sie abgetreten hat.

Der Versicherungsnehmer hatte die Beklagten mit einer Schadensersatzklage wegen fehlerhafter Kapitalanlageberatung mandatiert. Die Klägerin erteilte eine Deckungszusage sowohl für die gerichtliche Anspruchsverfolgung in erster Instanz als auch für ein Berufungsverfahren. Diese Klage war vom Landgericht und Oberlandesgericht wegen Verjährung abgewiesen worden.

Die Klägerin wirft den Beklagten vor, zunächst keinen ausreichenden verjährungshemmenden Güteantrag gestellt und nachher nicht von einer Klage über den verjährten Anspruch abgeraten zu haben.

Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen.

Rechtliche Wertung

Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen. Die Klägerin habe gegen die Beklagten keinen Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1675 BGB i.V.m. § 86 VVG.

Dass die Beklagten Zweifel an der «Richtigkeit» der von ihnen vertretenen Rechtsauffassung zur verjährungshemmenden Wirkung des Güteantrags und damit am Erfolg der Schadensersatzklage hegen mussten, sie aber gleichwohl dem Mandanten nicht von der Klage abgeraten haben, sei nicht pflichtwidrig gewesen. Ein Rechtsanwalt müsse nicht von einer Klage oder einem Rechtsmittel abraten, solange die Rechtsverfolgung nicht als völlig oder offensichtlich aussichtslos erscheint. Hänge beispielsweise ein Prozesserfolg von der Auslegung einer Willenserklärung oder eines Vertrags durch das Gericht ab, deren Ergebnis nicht sicher vorauszusehen ist, sei das Verfahren nicht aussichtslos.

Damit sei der vorliegende Fall vergleichbar, in dem es um die Auslegung bzw. Bewertung eines Güteantrags als «hinreichend individualisiert» ging. Diese Frage sei von verschiedenen Oberlandesgerichten unterschiedlich beurteilt worden. Darüber hinaus sei es einem Anwalt zuzubilligen, dass er bei einer nicht ganz eindeutigen Sach- und/oder Rechtslage zu Gunsten seines Mandanten versucht, mit einer für diesen günstigen Rechtsauffassung durchzudringen, sofern diese zumindest als vertretbar erscheint. Auch diese Voraussetzungen hätten hier vorgelegen, da die Beurteilung des Güteantrags als «hinreichend individualisiert» zumindest der Auffassung einiger Oberlandesgerichte entsprochen habe.

Auch hinsichtlich der Fortführung der ersten Instanz und wegen Einleitung des Berufungsverfahrens trotz zwischenzeitlich ergangener neuer BGH-Rechtsprechung (der BGH stellte mit Urteil vom 18.06.2015 - III ZR 198/14, BeckRS 2015, 11751 erhöhte Anforderungen an eine Individualisierung des im Güteantrag geltend gemachten Anspruchs) seien die Beklagten nicht schadensersatzpflichtig. Bezüglich einer etwaigen Pflichtverletzung, die darin liegt, dass sie dem Mandanten nicht unter Hinweis auf mangelnde Erfolgsaussicht zur Rücknahme der Klage geraten bzw. von der Einlegung der Berufung abgeraten haben, fehle es an einer Schadenskausalität.

Die Schadenskausalität beantworte sich nach der Frage, ob der Mandant einem Rat gefolgt wäre. Hierbei gelte grundsätzlich die Vermutung beratungsgemäßen Verhaltens. Habe eine Rechtsschutzversicherung - wie hier - eine Deckungszusage für einen Prozess erteilt, ohne dass diese durch falsche Angaben erlangt worden ist, so greife ein Anscheinsbeweis, der Versicherungsnehmer würde den Prozess bei Kenntnis der geringen Erfolgsaussichten und in Anbetracht des hohen Prozessrisikos nicht geführt haben, nicht ein. Denn auch für einen vernünftig handelnden, kostenempfindlichen Mandanten würde bei Vorliegen einer Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung das Wagnis einer nur geringen oder wenig Erfolg versprechenden Prozessführung als ergreifungswürdige Chance erscheinen.

Insoweit sei ein Rechtsschutzversicherer zu einer sorgfältigen Prüfung der Sach- und Rechtslage verpflichtet, bevor er eine Deckungszusage erteilt. Komme er dieser Prüfungspflicht nicht oder nur unzureichend nach, sei er an die Deckungszusage gebunden. Eine Deckungszusage stelle ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis dar, welches spätere Einwendungen und Einreden des Rechtsschutzversicherers ausschließt, die ihm bei Abgabe der Deckungszusage bekannt waren oder die er zumindest für möglich gehalten hat. Über diesen grundsätzlich für jedes Schuldanerkenntnis geltenden Einwendungsausschluss hinaus könne sich ein Versicherungsnehmer aber auch dann auf die Deckungszusage berufen, wenn der Rechtsschutzversicherer aufgrund des ihm bekannten Sachverhalts die Einwendungen hätte erkennen müssen. Ein solcher weitergehender Einwendungsausschluss rechtfertige sich aufgrund der besonderen Prüfungspflicht des Rechtsschutzversicherers.

Praxishinweis

Die Entscheidung des OLG Jena fügt sich in die Rechtsprechung anderer Obergerichte ein.

So hat ein Rechtsanwalt nach OLG Celle (NJW-RR 2010, 1400) im Verhältnis zum Versicherungsnehmer die ihm aus dem Mandatsverhältnis obliegenden Pflichten dann nicht verletzt, wenn er seinen Mandanten bei nicht völliger Aussichtslosigkeit über die nur geringen Aussichten eines Rechtsmittelverfahrens aufgeklärt hat. Da die von einem Rechtsschutzversicherer erteilte Deckungszusage – so OLG Celle weiter – ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis darstelle, sei er mit Einreden und Einwendungen, die ihm bei Abgabe des Anerkenntnisses bekannt waren, ausgeschlossen. Über die Erfolgsaussichten des Rechtsmittelverfahrens sei der Rechtsschutzversicherer informiert, wenn ihm der erstinstanzliche Beschluss sowie die Rechtsmittelbegründung abschriftlich vorlagen.

Auch das OLG Köln (r+s 2017, 472) wertet die Deckungszusage als deklaratorisches Schuldanerkenntnis mit der Folge, dass dem Versicherer Einwendungen verwehrt sind, die er kennt und mit denen er rechnet bzw. mit denen er rechnen musste (vgl. auch OLG Saarbrücken, NJOZ 2006, 945).

Dass eine Deckungszusage des Rechtsschutzversicherers, ohne dass sie durch falsche Angaben erlangt worden ist, die grundsätzliche Vermutung beratungsgemäßen Verhaltens quasi durchbricht, also der Anscheinsbeweis zu Gunsten des den Rechtsanwalt in Regress nehmenden Mandanten, bei vollständiger Risikobelehrung den Prozess nicht geführt zu haben, bei erteilter Deckungszusage nicht eingreife, hat bereits das KG (NJW 2014, 397) ausgeurteilt. Dem schließt sich das OLG Jena nunmehr an.

OLG Jena, Urteil vom 31.01.2020 - 9 U 845/18 (LG Gera), BeckRS 2020, 9286