Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther
BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB, Köln
Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 16/2020 vom 06.08.2020
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Sachverhalt
Die Antragstellerin ist Inhaberin einer Gaststätte in Gelsenkirchen. Mit dem beklagten Versicherer hatte sie vor den Änderungen der Rechtslage in diesem Jahr, insbesondere vor dem 23.05.2020 – dem Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens einer Änderung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) angesichts der Corona-Pandemie – und auch vor der Verordnung über die Ausdehnung der Meldepflicht vom 30.01.2020, einen Versicherungsvertrag über eine Betriebsschließungsversicherung geschlossen.
Mit Blick auf die Schließung ihres Betriebes wegen des neuartigen Corona-Virus verlangt die Antragstellerin von der beklagten Versicherung mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nun Deckung aus diesem Vertragsverhältnis.
Das Landgericht Essen hatte den Antrag mit Beschluss vom 16.06.2020 (Az. 18 O 150/20) zurückgewiesen. Hiergegen wendete sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde.
Rechtliche Wertung
Die Beschwerde der Antragstellerin blieb ohne Erfolg. Das Landgericht habe – so der Senat – zu Recht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Insbesondere der von der Gastronomin geltend gemachte Anspruch auf Leistungen aus der Betriebsschließungsversicherung bestehe nicht. In den vereinbarten Versicherungsbedingungen habe eine Aufzählung der «versicherten» Krankheiten und Krankheitserreger stattgefunden, welcher eine abschließende Wirkung zukomme. Der Wortlaut «nur die im Folgenden aufgeführten (vgl. §§ 6 und 7 IfSG)» und die anschließende ausführliche Auflistung einer Vielzahl von Krankheiten und Erregern mache dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer – und auf dessen Auslegung komme es maßgeblich an – deutlich, dass der Versicherer nur für die benannten, vom Versicherer einschätzbaren Risiken einstehen wolle.
Der Hinweis auf die §§ 6 und 7 IfSG könne vor diesem Hintergrund nicht dahin verstanden werden, dass der Versicherer auch für eine spätere – hier nach Auffassung der Antragstellerin erfolgte – Erweiterung des Gesetzes Versicherungsschutz gewähren würde.
Praxishinweis
Dieser im Rahmen eines Verfahrens über den Erlass einer einstweiligen Verfügung ergangen Entscheidung zur Betriebsschließungsversicherung im Zusammenhang mit COVID-19 - es handelt sich, soweit ersichtlich, um die erste Entscheidung eines Versicherungssenates - ist zuzustimmen (siehe zur ausführlichen Besprechung der gesamten Thematik z.B. Günther/Piontek in r+s 2020, 242).
Sofern in Versicherungsbedingungen eine Aufzählung der «versicherten» Krankheiten bzw. Krankheitserreger vorgenommen wird, ist damit gerade keine Gleichstellung zu solchen Krankheiten und Krankheitserreger vorzunehmen, wie sie in dem IfSG, welches zwangsläufig einem ständigen Wandel unterliegt, enthalten sind. Maßgeblich für die Beurteilung des Leistungsversprechens des Versicherers ist vielmehr der Versicherungsschein in Verbindung mit den BSV-AVB. Allein hieraus kann der Versicherungsnehmer erkennen, ob Deckungsschutz vorliegt. Dass es sich um eine abschließende Auflistung handelt, lässt sich zudem aus dem Umstand herleiten, dass Formulierungen wie «insbesondere» oder «beispielsweise» fehlen. SARS-CoV-2 ist in der Aufzählung jedoch nicht enthalten, da dieser Virus sich erst nach Abschluss des Vertrages erstmals in der Welt verbreitet hat.
Auch wenn ein allgemeiner Hinweis auf das IfSG enthalten ist, wie er in den meisten BSV-AVB üblich ist, kann dieser – so auch das OLG – als unbeachtlich eingestuft werden, da aufgrund der namentlichen Aufzählung in den Versicherungsbedingungen dem Versicherungsnehmer – auf dessen Auslegung es ankommt – hinreichend verdeutlicht wird, dass es auch dann auf die in den AVB aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger ankommt und nicht auf mögliche künftige und zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht vorhersehbare Erweiterungen des Krankheits- bzw. Krankheitserregerkatalogs.
Dies scheint wohl auch der bisherigen Auffassung der Landgerichte zu entsprechen, so z.B. LG Leipzig, 3 O 1287/20, mit Hinweisbeschluss vom 02.07.2020 und auch in der ersten Entscheidung eines Gerichtes in Form eines Urteils des LG Mannheim wird im dortigen Fall darauf abgestellt, «dass in diesen Bedingungen gerade keine enumerative Aufzählung von verschiedenen Erregern beziehungsweise Krankheiten erfolgte.» (Urteil vom 29.04.2020 - 11 O 66/20 mit Anmerkung Günther in FD-VersR 2020, 429369).
Dem ist bei zuzustimmen, wenn in den AVB auf die «folgenden» Krankheiten und Krankheitserreger abgestellt wird. Denn dann ist es sprachlich und grammatikalisch eindeutig, dass eben die « folgenden» und sodann üblicherweise tabellarisch aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger gedeckt sind.
AVB sind nach ständiger Rechtsprechung so auszulegen, wie sie ein durchschnittlicher und verständiger Versicherungsnehmer bei aufmerksamer Durchsicht verstehen muss (Nachweise z.B. bei MüKo zum VVG, vor § 100, Rn. 169). Dabei richtet sich die Auslegung in erster Linie am Sprachgebrauch des täglichen Lebens (pars pro toto, BGH, NJW 1983, 2638; KG, r+s 2007, 11) aus.
Vorliegend tritt in der Betriebsschließungsversicherung die Besonderheit hinzu, dass nicht auf den «normalen» Versicherungsnehmer in Form eines Verbrauchers abzustellen ist, sondern auf den geschäftserfahrenen und gewerblich tätigen Unternehmer, zumal es sich ja vorliegend um eine ausschließlich gewerbliche Versicherung handelt. Dabei kann der dortige Versicherungsnehmer sprachlich unschwer erkennen, dass Versicherungsschutz (nur) für die in den Versicherungsbedingungen namentlich aufgezählten und tabellarisch aufgelisteten Krankheiten und Krankheitserreger besteht. Wie weit deckungsrechtlich der Versicherungsschutz geht, kann der Versicherungsnehmer anhand und aus den AVB erkennen, wenn dort ausdrücklich zur Reichweite der Deckung auf die «folgenden» Krankheiten und Krankheitserreger «im Sinne dieser Bedingungen» oder wie im Fall des OLG Hamm auf «nur die im Folgenden aufgeführten» verwiesen wird.
Bei einer solchen AVB-Fassung fehlt es mithin an der Grundvoraussetzung einer Deckung für den SARS-Coronavirus (so auch Rixecker in Schmidt, Covid-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 1. Aufl. 2020, § 11, Rz. 57 ff.; Lüttringhausen/Eggen in r+s 2020, 250; Schreier in VersR 2020, 513; Günther/Piontek in r+s 2020, 240; Noll in juris PR-VersR 4/2020, Anm. 1; Goergen/Derkum, VersR 2020, 904; ähnlich bereits Kouba in VW 2001, 188).
OLG Hamm, Beschluss vom 15.07.2020 - 20 W 21/20 (LG Essen), BeckRS 2020, 17526