Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl
Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Kostenrecht 20/2020 vom 08.10.2020
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Sachverhalt
Das Nachlassgericht hatte den Beteiligten zu 1) zum Nachlasspfleger bestellt und die Berufsmäßigkeit der Amtsausübung festgestellt. Der Wirkungskreis des Nachlasspflegers umfasste die Erbenermittlung sowie die Verwaltung des Nachlasses. Der Beteiligte zu 1) beantragte schließlich die Festsetzung seiner Gebühren auf 1.950,11 EUR. Er ging dabei von einem Zeitaufwand von insgesamt 1.035 Minuten aus und nahm bei der Pflegschaft einen durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad an. Den angemessenen Stundensatz veranschlagte er mit 95 EUR netto.
Die vom Nachlassgericht bestellte Verfahrenspflegerin, die Beteiligte zu 2), monierte den geltend gemachten Stundensatz. Das Nachlassgericht setzte sodann die Vergütung auf 1.642,20 EUR fest. Weder die Einstufung der Pflegschaft als mittelschwer noch der geltend gemachte Zeitaufwand seien zu beanstanden. Jedoch sei lediglich ein Stundensatz von 80 EUR angemessen. Das Nachlassgericht half der dagegen eingelegten Beschwerde des Beteiligten zu 1) nicht ab, sondern legte das Verfahren dem OLG zur Entscheidung vor. Die Beschwerde hatte keinen Erfolg.
Entscheidung: Außerhalb des Ballungsraums Rhein-Main Stundensatz von 80 EUR für durchschnittlich schwierige Nachlasspflegschaft angemessen
Das Rechtsmittel sei unbegründet, da für die vom Beschwerdeführer begehrte Heraufsetzung der Stundensätze für eine Pflegschaft durchschnittlichen Schwierigkeitsgrades außerhalb des Ballungsraumes Frankfurt am Main von 80 EUR auf 95 EUR netto keine Veranlassung bestehe. Bei der Bemessung des Stundensatzes für die Pflegschaft eines hier vorliegenden bemittelten Nachlasses sei zu berücksichtigen, dass nach Ansicht des Gesetzgebers Stundensätze des VBVG (im Normalfall nunmehr 39 EUR für einen Rechtsanwalt - § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VBVG) zu unangemessen niedrigen Vergütungen des Nachlasspflegers führen und so die Bereitschaft zur Übernahme der Pflegschaft mindern könnten. Sie seien daher bei einem Rechtsanwalt und auch sonst bei entsprechender Qualifikation des Pflegers in der Regel deutlich zu überschreiten. Da kein schutzwürdiges Interesse des Erben bestehe, dass der Nachlasspfleger Leistungen zu einem besonders günstigen Stundensatz erbringe, sei der Stundensatz regelmäßig so zu bemessen, dass der Rechtsanwalt eine kostendeckende Vergütung erhalte. Dabei sei auch zu berücksichtigen, ob ein Ballungsraum betroffen sei, in dem ein Rechtsanwalt höhere Kosten für den Betrieb seines Büros (Miete, Löhne) aufwenden müsse. Das Kriterium der Schwierigkeit der Pflegschaft sei zudem durch eine Staffelung von einfacher, mittelschwerer und schwieriger Abwicklung zu berücksichtigen.
Der Nachlasspflegschaft komme hier allenfalls ein mittlerer Schwierigkeitsgrad zu. Für den konkreten Stundensatz der festzusetzenden Vergütung gölten nach der Rechtsprechung des Senats folgende Grundsätze: Im Ballungsraum Frankfurt am Main sei im Ausnahmefall einer Nachlasspflegschaft einfachen Schwierigkeitsgrads ein Stundensatz von 70 EUR angemessen, bei einer Nachlasspflegschaft mittleren Schwierigkeitsgrad ein Stundensatz von 100 EUR und bei einem überdurchschnittlichen Schwierigkeitsgrad ein Stundensatz von 130 EUR. Außerhalb des Ballungsraums Rhein-Main sei hingegen ein Stundensatz von 80 EUR für eine Nachlasspflegschaft durchschnittlichen Schwierigkeitsgrades als angemessen anzusehen und für eine Nachlasspflegschaft überdurchschnittlichen Schwierigkeitsgrads ein Stundensatz von 110 EUR. Letzterer entspreche dem Aufschlag von 30 EUR, den der Senat bei überdurchschnittlicher Schwierigkeit auch für im Ballungsgebiet Frankfurt kanzleiansässige Nachlasspfleger für angemessen erachte.
Die höheren Vergütungssätze für die Metropolregion Frankfurt/Rhein-Main im Vergleich zu Kassel und Nordhessen seien deshalb gerechtfertigt, weil in ersterer unter anderem ein deutlich höheres Mietniveau zu verzeichnen sei, das zu höheren Kosten für den dortigen Betrieb einer Kanzlei führe als für eine Kanzlei mit Sitz außerhalb der Metropolregion Frankfurt/Rhein-Main. Der räumliche Bereich des Ballungsraums Rhein-Main sei dabei an der räumlichen Abgrenzung aus § 2 Abs. 1 MetropolG vom 08.03.2011 zu orientieren und erfasse allein die in diesem Bereich kanzleiansässigen Pfleger. Der Senat sehe auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Beteiligten zu 1) derzeit keine Veranlassung, von den vorstehenden Grundsätzen abzuweichen und insbesondere die Vergütungshöhe heraufzusetzen. Ob dies anders zu beurteilen sein werde, sofern - wie derzeit in der Diskussion - der Gesetzgeber die Gebührensätze für Rechtsanwälte nach dem RVG einer Anhebung unterziehe, bedürfe zum jetzigen Zeitpunkt keiner Klärung. Die vorgenannten Vergütungssätze seien weiterhin als angemessen anzusehen.
Praxishinweis
Die vom OLG Frankfurt am Main vorgenommene Differenzierung bei den Stundensätzen der Nachlasspflegervergütung nach dem Kanzleisitz ist nicht überzeugend. Die Kostenstruktur einer Anwaltskanzlei wird nicht nur durch die Mietkosten geprägt, sondern durch zahlreiche Faktoren beeinflusst. Dass die Vergütung des Rechtsanwalts als berufsmäßigem Nachlasspfleger jedoch nach Stundensätzen zu erfolgen hat, ist herrschende Meinung in der Rechtsprechung, wenngleich die Stundensätze variieren (siehe hierzu näher Siegmann/Höger in BeckOK BGB, BGB § 1960 Rn. 25).
OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 25.08.2020 - 21 W 105/20 (AG Kassel), BeckRS 2020, 23644