Urteilsanalyse
OLG Frankfurt a. M.: Grob fahrlässige Herbeiführung eines Frostschadens in der Wohngebäudeversicherung
Urteilsanalyse
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Verlangt eine Klausel in der Wohngebäudeversicherung, nicht genutzte Gebäude oder Gebäudeteile genügend häufig zu kontrollieren und dort alle wasserführenden Anlagen und Einrichtungen abzusperren, zu entleeren und entleert zu halten, sind diese Voraussetzungen kumulativ zu erfüllen, d.h. es ist in jedem Fall das Absperren und Entleeren der wasserführenden Anlagen erforderlich. Dies kann weder durch eine genügend häufige Kontrolle noch durch Beheizen ersetzt werden.

27. Okt 2020

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther
BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB, Köln

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 21/2020 vom 15.10.2020

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VGB § 25 Ziff. 1; VVG §§ 9528 IIIII; BGB § 446

Sachverhalt

Die Klägerin verlangt Leistungen aus einem zwischen der Beklagten und dem Zeugen A geschlossenen Wohngebäudeversicherungsvertrags wegen eines am 15.01.2017 entdeckten frostbedingten Wasserschadens an dem von ihr gekauften Gebäudegrundstück.

Die Klägerin erwarb das streitgegenständliche Objekt von dem Zeugen A. Besitzübergabe war am 15.12.2016. Zu diesem Zeitpunkt standen die drei Wohnungen des Gebäudes leer. Die wasserführenden Anlagen in dem Gebäude waren nicht entleert und nicht abgesperrt.

Im Bereich des Gebäudes herrschten ab dem 05.01.2017 nächtliche Tiefsttemperaturen im Minusbereich, die am 06.01./07.01.2017 im knapp zweistelligen Minusbereich und ab dem 08./09.01.2017 im Bereich um 0 bis knapp -1 Grad lagen.

Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen.

Rechtliche Wertung

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Die Klägerin bzw. der von ihr mit der Überwachung des streitgegenständlichen Gebäudes betraute Zeuge B hätten den Versicherungsschaden (Frostschaden) in einem Maße grob fahrlässig herbeigeführt, dass dem Zeugen A ein Anspruch auf Versicherungsleistungen nicht zugestanden habe, § 28 Abs. 2 und 3 VVG in Verbindung mit § 25 VGB.

Die Klägerin habe gegen die Sicherheitsvorschrift des § 25 Ziff. 1c VGB verstoßen. Diese Klausel verlange, nicht genutzte Gebäude oder Gebäudeteile genügend häufig zu kontrollieren und dort alle wasserführenden Anlagen und Einrichtungen abzusperren, zu entleeren und entleert zu halten. Diese Voraussetzungen müssten kumulativ erfüllt sein, das heißt es sei in jedem Fall das Absperren und Entleeren der wasserführenden Anlagen erforderlich. Dies könne nach dem Wortlaut der Vorschrift weder durch eine genügend häufige Kontrolle noch durch irgendeine Form von Beheizen ersetzt werden. Gegen diese Sicherheitsvorschrift habe die Klägerin verstoßen, weil sie in dem jedenfalls seit dem Gefahrenübergang im Dezember 2016 leerstehenden Gebäude das Wasser nicht abgestellt und die wasserführenden Anlagen nicht entleert hatte.

Eine die Anwendung der Vorschrift ausschließende Nutzung des Gebäudes habe auch nicht dadurch stattgefunden, dass sich Handwerker in dem Gebäude aufgehalten haben sollen. Nicht genutzte Gebäude seien vielmehr solche, die unbewohnt sind oder wegen Renovierungsarbeiten leer stehen. Das Wohngebäude habe leer gestanden und sei seit Gefahrenübergang nicht bewohnt worden. Nach dem Gefahrenübergang etwa durchgeführte Räumungs- oder Renovierungsarbeiten in einem leer stehenden Gebäude begründeten keine die Anwendbarkeit des § 25 Ziff. 1c VGB ausschließende Nutzung.

Die Klägerin habe mindestens grob fahrlässig im Sinn des § 28 Abs. 2 VVG gehandelt. Grob fahrlässig handele, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt gröblich, in hohem Grade außer Acht lässt, wer nicht beachte, was unter den gegebenen Umständen jedem einleuchten musste. Hier stehe fest, dass der Klägerin selbst bekannt war (bzw. sie sich das Wissen ihres Sohnes, des Zeugen B, zurechnen lassen musste), dass die wasserführenden Anlagen und Einrichtungen nicht abgestellt und vollständig entleert wurden sowie entleert gehalten worden waren. Schon aufgrund ihrer räumlichen Nähe zu dem erworbenen Hausgrundstück seien ihr zudem die nach dem Gefahrenübergang herrschenden winterlichen Witterungsverhältnisse mit zeitweilig zweistelligen Minustemperaturen bekannt gewesen. Gleichwohl habe die Klägerin sich selbst um nichts gekümmert. Sie habe dem Verkäufer die Einstellung der Heizung überlassen und für ihren Sohn nur eine Kontrolle am 09.01.2017 vorgetragen. Ferner wurde im Dezember 2016 und im Januar 2017 kein Stromverbrauch gezählt, was Anlass geboten hätte, die Gastherme jeweils daraufhin zu überprüfen, ob Strom an ihr angelegen hat.

Die Schwere des Verschuldens der Klägerin rechtfertige im Rahmen des § 28 Abs. 2 VVG eine Leistungskürzung auf Null. Vorliegend sei der Grad grober Fahrlässigkeit außergewöhnlich hoch und einem Vorsatz praktisch gleichstehend zu bewerten. Die Klägerin habe sich auf den Verkäufer verlassen, ohne selbst zu kontrollieren oder kontrollieren zu lassen, ob die wasserführenden Anlagen entleert wurden oder die Heizung weiter betrieben worden ist. Sie habe trotz strenger winterlicher Kälte selbst keine Tätigkeiten zur Vermeidung von Frostschäden vorgenommen. Eine Einstellung und/oder Prüfung von Therme und Heizkörpern hätten die Klägerin und der Zeuge B vor dem Schadenseintritt nicht vorgenommen, gleichwohl die wasserführenden Einrichtungen weder geleert noch abgesperrt. Auch als vor dem 09.01.2017 über mehrere Tage strenger Frost geherrscht hat, hätten weder die Klägerin noch ihr Sohn die Beheizung kontrolliert.

Praxishinweis

Nach Teil A 21.1.2 VGB 2016 hat der Versicherungsnehmer nicht genutzte Gebäude oder Gebäudeteile genügend häufig zu kontrollieren und dort alle wasserführenden Anlagen und Einrichtungen abzusperren, zu entleeren und entleert zu halten. Diese vertragliche Obliegenheit gilt zu jeder Jahreszeit und erfordert bei nicht genutzten Gebäuden kumulativ die Vornahme von Kontrollen und das Absperren/Entleeren aller wasserführenden Anlagen und Einrichtungen. Nicht genutzte Gebäude sind nach der Rechtsprechung solche, die unbewohnt sind oder wegen Renovierungsarbeiten leer stehen (OLG Celle, VersR 2008, 348; zfS 2008, 395; OLG Frankfurt/M., zfS 2003, 601; Einzelheiten bei Spielmann in: MüKoVVG Sachversicherung Rn. 192).

Unabhängig von einer (Nicht-)Nutzung des Gebäudes hat der Versicherungsnehmer nach Teil A 21.1.3 VGB 2016 in der kalten Jahreszeit alle Gebäude und Gebäudeteile zu beheizen und dies genügend häufig zu kontrollieren oder alle wasserführenden Anlagen und Einrichtungen abzusperren, zu entleeren und entleert zu halten. Diese sogenannte Frostvorsorge lässt dem Versicherungsnehmer damit ein Wahlrecht: Entweder hat er das Gebäude zu beheizen und dies zu kontrollieren oder er sperrt und entleert alle wasserführenden Anlagen und Einrichtungen. Sehen die vereinbarten Versicherungsbedingungen diese erste Alternative hingegen nicht vor – so in dem vom OLG Saarbrücken entschiedenen Fall – kann der Versicherungsnehmer das Absperren und Entleeren der wasserführenden Anlagen weder durch Kontrollen noch durch Beheizen ersetzen.

Bei Verstoß gegen vertragliche Sicherheitsvorschriften bei ungenutzt leerstehenden Gebäuden haben zuvor bereits andere Gerichte Leistungskürzungen von bis zu 100% ausgeurteilt (LG Mainz, zfS 2010, 278; LG Wiesbaden zfS 2011, 393). Auch in der Leitungswasserversicherung ist gestützt auf § 81 Abs. 2 VVG in Ausnahmefällen eine Kürzung auf Null dann möglich, wenn der Versicherungsnehmer die Heizungsanlage in einem leerstehenden Gebäude über einen längeren Zeitraum im Winter vollständig stilllegt und trotzdem die wasserführenden Leitungen weder absperrt noch entleert.

OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 20.11.2019 - 12 U 42/19 (LG Darmstadt), BeckRS 2019, 48103