Anmerkung von Rechtsanwalt Lucas Merschmöller, Knierim & Kollegen, Mainz
Aus beck-fachdienst Strafrecht 08/2023 vom 20.04.2023
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Sachverhalt
Das AG hat den A wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Geldstrafe verurteilt und zugleich ein sechsmonatiges Fahrverbot angeordnet. Die dagegen vom A eingelegte und auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung hat das LG verworfen. Gegen dieses Urteil wendet sich der A mit seiner Revision. Er erhebt neben der Sachrüge unter anderem eine Verfahrensrüge und bemängelt, das LG habe nach Maßgabe von § 338 Nr. 6 StPO gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz verstoßen, weil die Berufungshauptverhandlung am Sitzungstag in einen anderen Saal verlegt worden und am ursprünglichen Sitzungssaal kein entsprechender Hinweis angebracht gewesen sei.
Entscheidung
Die zulässige Revision hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Verfahrensrüge, das LG habe wegen eines vor dem ursprünglichen Sitzungssaal nicht angebrachten Hinweises auf den geänderten Sitzungsort den Grundsatz der Öffentlichkeit nach Maßgabe von § 338 Nr. 6 StPO verletzt, sei jedenfalls unbegründet.
Der Grundsatz der Öffentlichkeit (§ 169 Abs. 1 Satz 1 GVG) erfordere es, dass jedermann die Möglichkeit habe, sich ohne besondere Schwierigkeiten davon Kenntnis zu verschaffen, wann und wo ein erkennendes Gericht eine Hauptverhandlung abhalte. Der Hinweis auf eine bestimmte Verhandlung habe grundsätzlich in Form eines Aushangs zu erfolgen, damit jeder interessierte Zuschauer die Möglichkeit erhalte, die gewünschte Verhandlung zu verfolgen. Dabei bedürfe es nicht stets eines zusätzlichen Aushangs vor dem Sitzungssaal, wenn Zuschauer auf andere Weise zumutbar in Erfahrung bringen könnten, wann und wo eine bestimmte Hauptverhandlung stattfinde, namentlich dann, wenn dies aus einem im Eingangsbereich des Gerichts angebrachten Aushang unzweifelhaft hervorgehe. Dabei sei in den Blick zu nehmen, dass gerade in großen und unübersichtlichen Gerichtsgebäuden (wofür das Kriminalgericht Moabit exemplarisch sei) die Möglichkeit für die Öffentlichkeit, sich ohne besondere Schwierigkeiten über Ort und Zeit einer Hauptverhandlung zu informieren, in zumutbarer Weise nicht durch Aushänge an den Sälen eröffnet werde, sondern vielmehr durch einen zentralen Aushang im Eingangsbereich des Gerichts. Andernfalls wären Besucher gezwungen, das Gerichtsgebäude nach einer bestimmten Sitzung “abzusuchen”. Zugleich wären sie damit dem Risiko ausgesetzt, zu spät zur Sitzung zu erscheinen.
Den dargelegten Anforderungen zur Wahrung des Öffentlichkeitsgrundsatzes sei die von der Strafkammer durchgeführte Berufungshauptverhandlung gerecht geworden. Ausweislich der dienstlichen Äußerung der Kammervorsitzenden vom 31.10.2022 hätten sich an den Gerichtstafeln der beiden dem Publikumsverkehr zugänglichen Eingänge Aushänge, die am Sitzungstag auf den (korrekten) Saal und den Sitzungsbeginn der anberaumten Berufungshauptverhandlung hinwiesen, befunden. Dass vor dem Saal, in dem die Sitzung ursprünglich stattfinden sollte, kein Hinweis auf die in einen anderen Saal verlegte Hauptverhandlung angebracht worden sei, habe keinen Einfluss auf die bestehenden Informationsmöglichkeiten der Öffentlichkeit über Ort und Zeit der Sitzung, mag der fehlende Verlegungshinweis auch wegen der davon abweichenden Ladung von Verfahrensbeteiligten zu einer vermeidbaren Verzögerung der Berufungshauptverhandlung geführt haben.
Praxishinweis
Die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung - ein fundamentaler Grundsatz des Strafprozesses, der die Kontrolle des Strafprozesses durch die Öffentlichkeit gewährleisten soll - hat gerade im Rahmen der Coronapandemie und den daraus resultierenden Öffentlichkeitsbeschränkungen wieder vermehrt an Präsenz gewonnen. Die vorliegende Entscheidung lässt sich auf folgende Frage herunterbrechen: Welche Anforderungen sind im Falle eines Saalwechsels zu erfüllen, um die Öffentlichkeit zu gewährleisten?
Der Sonderfall des Kriminalgerichts Moabit zeigt, dass sich eine Pauschalierung verbietet. Insoweit wird zutreffend festgestellt, dass das Leitmotiv die abstrakte Gewährleistung der potentiellen Gelegenheit sein muss, sich bei gegebenem Interesse aus einem hinreichenden Informationspool Kenntnis zu verschaffen (MüKo-StPO/Kulhanek, § 169 GVG, Rn. 12). Zu beachten ist mit Blick auf die vorliegende Entscheidung, dass zumindest Fallgestaltungen denkbar sind, bei denen ein Aushang am Eingang nicht ausreichend sein kann. Eine andere Beurteilung könnte sich ergeben, wenn eine schon über mehrere Sitzungstage dauernde Verhandlung ausnahmsweise in einem anderen Saal fortgeführt wird. Dann kann nicht ausgeschlossen werden, dass Zuhörer unmittelbar zu dem bekannten Saal gehen. Findet sich dort dann kein Aushang, besteht die Gefahr, dass der Beginn der Verhandlung versäumt wird.
KG, Urteil vom 21.12.2022 - (3) 121 Ss 165/22 (67/22) (LG Berlin), BeckRS 2022, 45374