Urteilsanalyse
Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs besteht auch bei Tätigkeit «als Bote»
Urteilsanalyse
urteil_lupe
© Stefan Yang / stock.adobe.com
urteil_lupe

Die Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs ergibt sich bereits aus der Eigenschaft als Rechtsanwalt. Der Rechtsanwalt kann sich nach einem Beschluss des AG Ludwigshafen mithin nicht durch einen (beliebigen) Rollenwechsel seiner Verpflichtung zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs entziehen. 

22. Jul 2022

Rechtsanwalt Prof. Dr. Andreas J. Baumert, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Honorarprofessor an der Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl, Lehrbeauftragter an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht Wiesbaden, EBS Law School und an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Schultze & Braun GmbH Rechtsanwaltsgesellschaft Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 15/2022 vom 21.07.2022

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Miet- und Wohnungseigentumsrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Miet- und Wohnungseigentumsrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de

Sachverhalt

Der Antragsteller verfolgte mit Formularsatz vom 29.3.2022 die Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens über sein Vermögen sowie die Erteilung der Restschuldbefreiung und Gewährung der Kostenstundung.

Die amtlichen Antragsformulare waren in Papierform als Anhang eines Schriftsatzes des verfahrensbevollmächtigten Rechtsanwalts übermittelt worden, der der Hinweis enthielt, der Eröffnungsantrag werde von ihm „als Bote“ eingereicht. Der Antragsteller wurde darauf hingewiesen, dass sein Antrag im Hinblick auf § 4 InsO i.V.m. § 130d ZPO unzulässig sei. Innerhalb der mit der Verfügung gesetzten Frist gelangte keine Stellungnahme zur Akte.

Entscheidung

Den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens weist das Insolvenzgericht als unzulässig zurück. Der Antragsschriftsatz sei nach § 4 InsO i.V.m. § 130d ZPO formunwirksam. Der Rechtsanwalt unterliege gem. § 130d ZPO, der am 1.1.2022 in Kraft getreten ist, auch im Schriftverkehr mit dem Insolvenzgericht einer Nutzungspflicht für den elektronischen Rechtsverkehr (AG Hamburg, ZInsO 2022, 595 = NZI 2022, 382; Beschluss Rn. 4 m.w.N. aus der Kommentarliteratur). Die Einreichung „als Bote“ ändere daran nichts. Die Anknüpfung in § 130d ZPO richte sich nicht an die funktionale Rolle im Verfahren, sondern sei statusbezogen (Beschluss Rn. 5 unter Hinweis auf Beth, ZInsO 2022, 750, 751). Damit ergebe sich die Nutzungspflicht aus der Eigenschaft als Rechtsanwalt. Durch einen (beliebigen) Rollenwechsel könne der Rechtsanwalt sich der Verpflichtung zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs nicht entziehen. Hinzu komme, dass der Rechtsanwalt im vorliegenden Fall sogar gleichzeitig seine Bevollmächtigung für das Verfahren angezeigt habe.

Praxishinweis

Über § 4 InsO ist nicht nur die Vorschrift des § 130a ZPO, wonach die elektronische Einreichung erlaubt wird, anwendbar (dazu Braun/Baumert, InsO, 9. Aufl., § 4 Rn. 37; HambKomm-InsO/Rüther, 9. Aufl., § 4 Rn. 58; Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 4. Aufl., § 4 Rn. 31), sondern folgerichtig auch der neue § 130d ZPO, der die Einreichung als elektronisches Dokument für Rechtsanwälte und Behörden vorschreibt. Bei der Anwendung dieser neuen Vorschrift über § 4 InsO im Insolvenzrecht tauchen zahlreiche Praxisprobleme auf.

Behörden, insbesondere Finanzämter machen geltend, es müsse ein Dispens oder ein Moratorium geben, nach dem diese staatlichen Stellen noch nicht vollumfänglich entsprechend für die elektronische Versendung ausgerüstet sind (ablehnend AG Hamburg, NZI 2022, 382; Frind, ZinsO 2022, 579). Es stellt sich auch immer wieder die Frage, ob der Insolvenzverwalter oder vorläufige Insolvenzverwalter der Nutzungspflicht gem. § 130d ZPO unterworfen ist, obgleich auch Personen Insolvenzverwalter sein können, die nicht Rechtsanwälte sind (bejahend Büttner, ZInsO 2022, 277; Beth, ZinsO 2022, 750 ff; a.A. Kollbach, ZInsO 2022, 624 ff.).

In einem Fall wie vorliegend, bei dem ein Insolvenzantrag durch einen Rechtsanwalt eingereicht wird, ist die Frage der Anwendbarkeit des § 130d ZPO über § 4 InsO im Ausgangspunkt geklärt (ausführlich Keller, ZVI 2022, 167 ff.). Die Generalverweisung des § 4 InsO auf die ZPO ist zwar nicht allumfassend (Keller, ebenda, 169). Auch wird in der Gesetzesbegründung zu § 130d ZPO das Vollstreckungsrecht und Insolvenzrecht nicht erwähnt (Keller, ebenda, m.w.N.). Allerdings streitet der Standort der Norm (allgemeine Vorschriften der ZPO) und der Wortlaut des § 130d ZPO für die Anwendbarkeit über § 4 InsO (eingehend Keller, ebenda, 169). Die Anwendbarkeit des § 130d ZPO auf die Einreichung eines Insolvenzantrags durch einen Rechtsanwalt ist damit vom Amtsgericht Ludwigshafen zu Recht bejaht worden (vgl. Beschluss Rn. 4 m.w.N. zur gleichlaufenden Anwendbarkeit des § 130a ZPO).

Im konkreten Fall erfolgte die Einreichung jedoch „als Bote“. Das Gericht meint, dies genüge nicht, weil es auf den Status als Rechtsanwalt ankomme (Beth, ZInsO 2022, 750, 751) und nicht auf die konkrete Funktion. Dies überzeugt. Wer als Rechtsanwalt bei Gericht auftritt, hat den elektronischen Rechtsverkehr m.E. nicht nur dann zwingend gem. § 130d ZPO zu nutzen, wenn er als (Prozess-)Vertreter des Mandanten auftritt, sondern auch dann, wenn er als dessen Bote Unterlagen und Anträge einreicht. Entscheidend ist, dass der Rechtsanwalt für den antragstellenden Schuldner als Rechtsanwalt agiert (zutreffend BeckOK InsO/Madaus, Stand: 15.4.2022, § 4 Rn. 5.2). Wer als Bote Erklärungen des Schuldners bei Gericht einreicht, aber zugleich Rechtsanwalt ist und auch als solcher bei Gericht in Erscheinung tritt, reicht „schriftlich einzureichende Anträge und Unterlagen“ im Sinne des § 130d S. 1 ZPO ein. Die Nutzungspflicht besteht damit auch für diesen „Botenfall“ (zustimmend Radtke in jurisPK-ERV Band 4, 2. Aufl. 2022, § 32d StPO Rn. 15.1. auch zur Parallelvorschrift § 32d StPO). Der Umstand, dass in casu zudem die Vertretung des Schuldners angezeigt wurde (Beschluss Rn. 5), ist dabei m.E. nicht von entscheidender rechtlicher Bedeutung (unklar Beschluss Rn. 5). Dieser Umstand bestätigt jedoch im Tatsächlichen, dass der Rechtsanwalt die Botentätigkeit bei Einreichung des Antrages und der Unterlagen „als Rechtsanwalt“ vorgenommen hat, nachdem er sich zugleich als Verfahrensbevollmächtigter bestellt hat.


AG Ludwigshafen, Beschluss vom 26.04.2022 - 3c IK 115/22, BeckRS 2022, 13961