Spätestens seit der Öffnung der Ehe zum 1.10. 2017 ist das deutsche Abstammungsrecht nicht mehr zeitgemäß. Gleichgeschlechtliche Paare können zwar heiraten; Eltern können sie aber nicht sein. Damit nicht genug: Die Elterndefinitionen des BGB unterstellen einen Gleichlauf von genetischer, biologischer, sozialer und rechtlicher Verwandtschaft, der in Zeiten moderner Fortpflanzungsmedizin und gewandelter Familienbilder nicht mehr selbstverständlich ist. Wer ein Kind zur Welt bringt, muss mit ihm nicht genetisch verwandt sein, ebenso wenig, wer das Kind mit der Mutter aufzieht und/oder zum Zeitpunkt der Geburt mit ihr verheiratet ist.
Neu ist diese Einsicht nicht. Bereits 2017 forderte der Abschlussbericht des Arbeitskreises Abstammungsrecht des Bundesjustizministeriums (BMJV) eine Reform. Die genetische Abstammung halte nicht mehr als ausschließliches Zuordnungskriterium für rechtliche Vaterschaft hin. Zweiter Elternteil eines Kindes müsse sowohl ein Mann als auch eine Frau sein können. Das BMJV hat das 2019 in einen Diskussionsteilentwurf überführt. Mit § 1592 II BGB-E ist dort ein Tatbestand der Mit-Mutterschaft vorgesehen, die unter denselben Bedingungen entsteht wie aktuell die Vaterschaft: Ehe (Nr. 1), Anerkennung (Nr. 2) oder gerichtliche Feststellung (Nr. 3).
Dass ein gesetzgeberisches Eingreifen notwendig ist, hat zuletzt der XII. Zivilsenat des BGH (NJW 2019, 153) klargestellt: § 1592 Nr. 1 BGB soll nicht auf die Ehefrau der biologischen Mutter analogiefähig sein. Der einzige Weg zur Mit-Mutterschaft führt damit über die Stiefkind-Adoption (§ 1741 II 3 BGB) – oder über das Ausland. Bereits 2016 hatte der BGH entschieden, dass Personen, die das über Art. 19 EGBGB berufene ausländische Recht als Mit-Mütter ansieht, als solche ins deutsche Personenstandsregister einzutragen sind (NJW 2016, 2322).
Aktuell gerät das Reformvorhaben wieder in Bewegung: Berlin und Thüringen haben Entschließungsanträge zur Reform des Abstammungsrechts in den Bundesrat eingebracht. Dank zweier Normenkontrollanträge des OLG Celle (BeckRS 2021, 5223) und des KG (BeckRS 2021, 5403) könnte das BVerfG den Gesetzgeber allerdings „von rechts“ überholen. Der Grund: § 1592 Nr. 1 BGB soll Kind- und Mit-Mutter in ihrem Grundrecht aus Art. 6 II 1 GG verletzen (so das OLG Celle) und mit dem Gleichheitssatz (Art. 3 I GG) unvereinbar sein (so das KG). Gleichviel, ob Karlsruhe oder Berlin zuerst reagieren: Es bleibt zu hoffen, dass der aktuelle Rechtsmissstand das Entwurfs- und Hashtagstadium (#nodoption) verlässt. •