Recht im Unternehmen
Stechuhr durch die Hintertür
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Nach dem „Stechuhr-Urteil“ des EuGH (NJW 2019, 1861) müssen die EU-Mitgliedstaaten Regelungen zur Zeiterfassung schaffen. Dem ist der deutsche Gesetzgeber bis heute nicht nachgekommen. In die Lücke springen nun die Gerichte – mit unliebsamen Folgen für die Unternehmen.

5. Dez 2023

Das BAG hat mittlerweile entschieden, dass Arbeitgeber bereits jetzt gesetzlich zur Erfassung der vollständigen Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter verpflichtet seien (NJW 2023, 383). Der Beschluss löste eine große öffentliche Debatte aus und veranlasste das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im vergangenen April zur Veröffentlichung eines Referentenentwurfs für eine Neufassung des Arbeitszeitgesetzes. Seither wurde diese Gesetzesinitiative jedoch nur schleppend vorangetrieben – eine Reform ist in diesem Jahr nicht mehr zu erwarten.

Initiativrecht für Betriebsräte

In der Zwischenzeit griff das LAG München in einem noch nicht rechtskräftigen Beschluss die Rechtsprechung aus Erfurt auf und sprach sich für ein Initiativrecht des Betriebsrats hinsichtlich der Ausgestaltung eines betrieblichen Zeiterfassungssystems aus (NZA-RR 2023, 477). Das Mitbestimmungsrecht leiten die bayerischen Richter aus § 87 I Nr. 7 BetrVG ab, da Arbeitgeber nach dem Arbeitsschutzgesetz zur Arbeitszeiterfassung verpflichtet seien. Das Initiativrecht solle insbesondere auch in Unternehmen gelten, die eine Zeiterfassung bislang nur für bestimmte Berufsgruppen vorsahen. Entsprechend können Betriebsräte nunmehr eine Ausdehnung der Zeiterfassungspflicht auf alle Arbeitnehmer auch gegen den Willen des Arbeitgebers erzwingen.

Wenngleich die Debatte über die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung in der Bundesregierung derzeit stockt, dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis die vom BAG aufgestellten Grundsätze gesetzlich verankert werden. Bis dahin werden sich Unternehmen einer steigenden Zahl an Anfragen ihrer Belegschaftsvertretungen ausgesetzt sehen, die von ihrem Initiativrecht Gebrauch machen und die Ausgestaltung der Zeiterfassung initiieren wollen. Die Geschäftsleitungen sollten sich daher bereits jetzt mit den entsprechenden Rahmenbedingungen auseinandersetzen.

Die Gerichte räumen ihnen einen relativ großen Gestaltungsspielraum bei der Art und Weise der Zeiterfassung ein. Der EuGH fordert lediglich, ein „objektives, verlässliches und zugängliches System“ einzuführen. Vorbehaltlich einer abweichenden Gesetzesregelung sieht auch das BAG hinsichtlich der Form der Zeiterfassung Gestaltungsmöglichkeiten, da diese nicht zwingend elektronisch erfolgen müsse, sondern eine Aufzeichnung in Papierform genüge. In der Praxis werden sich wohl die meisten Unternehmen für eine elektronische Aufzeichnung entscheiden. Eine entsprechende Regelung sieht auch der Referentenentwurf des BMAS vor. Ob es insbesondere für Kleinbetriebe Ausnahmevorschriften geben wird, ist noch unklar. Dies wäre derzeit jedenfalls mangels entgegenstehender gesetzlicher Regelung erlaubt.

Besser digital erfassen

Zur Frequenz der Arbeitszeiterfassung haben die obersten Arbeitsrichter keine Vorgaben gemacht. Der Referentenentwurf sieht eine taggenaue Aufzeichnungspflicht vor. Bei einer elektronischen Zeiterfassung (beispielsweise durch Ein- und Ausstempeln) dürften sich keine Probleme ergeben, da hier in der Regel eine tägliche Speicherung erfolgt. Gerade bei Mitarbeitern, die außerhalb des Betriebs – im Homeoffice oder im Außendienst – tätig sind, sollten sich Arbeitgeber mit den Möglichkeiten einer taggenauen Erfassung auseinandersetzen. Praktikabel wäre hier sicher, die Aufzeichnung an die Beschäftigten zu delegieren und die Arbeitszeit selbstständig in das Zeiterfassungssystem einpflegen zu lassen. Das würde auch der aktuelle Referentenentwurf ermöglichen.

Unsicherheiten bestehen darüber, ob allein die Aufzeichnung des Beginns und des Endes der täglichen Gesamtarbeitszeit ausreicht – oder ob Pausenzeiten ebenfalls dokumentiert werden müssen. Weder der BAG-Entscheid noch der Referentenentwurf treffen hierzu eine Aussage. Unternehmen können vorsichtshalber eine Erfassung dieser Auszeiten erwägen. Solange keine konkreten gesetzlichen Vorgaben bestehen, haben Arbeitgeber Handlungsoptionen bei der Zeiterfassung. Eine Orientierung an den Regelungen des Referentenentwurfs ist bei der Vorbereitung aber dennoch ratsam.

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Claudia Posluschny ist Partnerin, Michaela Zenkert ist Associate bei Norton Rose Fulbright in München.