Kolumne
Zahlen, Fakten, Fremdbesitz
Kolumne

Im letzten Jahr gab es mehr Statistiken und Ergebnisse von Studien als sonst, die sich mit der Rechtspflege und unserem Markt befassten. Im Februar 2023 kam der Roland Rechtsreport, im Juni die Studie über den Rückgang der Eingangszahlen in der Ziviljustiz. War interessant. Dabei sind wir sonst nicht so evidenzbasiert im Rechtsmarkt unterwegs, wir leben gerne auf der Basis von Annahmen.

8. Jan 2024

Damit ist der Rechtsmarkt aber keine Ausnahme, denn datengestützte Auswertungen und daraus hergeleitete Maßnahmen gelten offenbar als undeutsch. Die Statistiken der BRAK beschränken sich im Wesentlichen auf die Zahlen der Anwälte und Fachanwälte sowie deren regionale Verteilung. Alles Weitere, etwa Kanzleistruktur, Altersstruktur, Voll- oder Teilzeit, wirtschaftliche Performance usw., gibt es nicht – und gäbe es nicht das Soldan Institut, wäre die Anwaltschaft komplett im Blindflug unterwegs.

Im Dezember 2023 wurden die Ergebnisse der BMJ-Umfrage zum Fremdbesitz veröffentlicht. Mit ihr sollte die Basis befragt werden, was sie von einer Lockerung des Fremdkapitalverbots hält. Durchgeführt hatte die Umfrage die BRAK, was auch nicht jeder gut fand, wegen Bock und Gärtner, Sie wissen schon. Die Kammer übernahm dann auch die Verkündung: „Anwaltschaft steht Lockerung des Fremdbesitzverbots kritisch gegenüber.“ An der Umfrage nahmen 7.598 Personen teil, von denen über 90 % den Fragebogen komplett ausfüllten. Das ist eine ordentliche Stichprobe. Ob sie repräsentativ für „die Anwaltschaft“ ist, könnte man bekritteln, denn überwiegend nahmen Einzelanwälte an der Umfrage teil, und die regionale Verteilung der Umfrageteilnehmer entspricht nicht der regionalen Verteilung „der Anwaltschaft“, über ­Alter und Dauer der Zulassung der Teilnehmer erfahren wir nichts. Nach der Herangehensweise und der Auswertung der Studie besteht die Anwaltschaft aus Einzelpersonen, deren Haltung zu bestimmten Themen von ihrem Status, ihrem Arbeitsumfeld oder ihrem Alter unbeeinflusst ist. Aber das ist statistische Beckmesserei, wer sind wir, dass wir uns von sowas die empirische Ernte verhageln lassen. Festhalten kann man, dass von den Teilnehmern eine deutliche Mehrheit gegen eine Lockerung ist, so viel ist mal sicher.

Interessant sind die Angaben in den Freitexten, wo man mehr über die Sorgen der Umfrageteilnehmer erfährt als aus den blanken Zahlen. Eine Fundgrube für die Diskussion, denn erst hier lernt man die Basis kennen. Wenn das Bundesjustizministerium gute Gesetze machen möchte, dann sieht es hier, worauf man achten könnte. Zum Beispiel wird auf die Medizinischen Versorgungszentren verwiesen, befürchtet werden „amerikanische Verhältnisse“ (by the way: in den USA geht es viel strenger zu als bei uns, da gibt es nicht mal interprofessionelle Zusammenarbeit) und der Niedergang der Einzelanwälte. Das ist paradox, denn wenn jemand dringend Kapital (ggf. auch fremdes) fürs ­Überleben braucht, dann sind es Einzelanwälte. Mehr dazu demnächst.

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Markus Hartung ist Rechtsanwalt und Mediator in Berlin, Senior Fellow des Bucerius Center on the Legal Profession und Mitglied des Berufsrechtsausschusses des DAV.