Dort angekommen, mussten wir unsere Personal- gegen Presseausweise eintauschen. Ich konnte mich bei früheren Besuchen nie entscheiden, ob mir das Gebäude gefällt. So auch an diesem Tag. Wer es noch nicht gesehen hat: Es ist ein Komplex aus in die Höhe gestaffelten Baukörpern mit Flachdächern und quadratischem Grundriss. Zu den Eigenheiten eines Besuchs am Bundesverfassungsgericht gehört, dass man nicht über die breite Straße hinter den Zugangsschranken laufen darf – man muss die Straße queren und den Fußgängerweg auf der anderen Seite nutzen. Sodann läuft man wieder über die Straße, um zum Eingang zu gelangen. Ein etwas umständliches Konzept, hinter dem sicherlich ein tiefergehender Zweck steht. Im Gebäude gefallen mir die breiten Glasfronten. Als Journalist hat man so den Vorteil, die Ankunft der Beteiligten von oben genau beobachten zu können. Ebenfalls bemerkenswert ist der Presseraum: Über einen etwas dumpfen Lautsprecher klingen die Stimmen der roten Roben herein. Dadurch muss man nicht mal in den Gerichtssaal. Als seltener Gast wollte ich freilich auf die Pressetribüne, um das Geschehen zu verfolgen. Dort konnte ich zusammen mit den anderen Rechtskorrespondenten die Verkündung betrachten. Der Blick ist beachtlich: Denn man kann sogar die Mimik der Richter zu den Verfahrensbeteiligten sehen – und dabei aus einem Gesicht ein Sondervotum ablesen.
Doch zunächst: Kurz bevor das Hohe Gericht den Saal betritt, herrscht eine Stille, die nur vom leichten Surren der Kameraobjektive und dem Klicken eines Kugelschreibers durchdrungen wird. Dann reißt ein Justizwachtmeister die Tür hinter der Richterbank mit einem Rums auf, und es schallt durch den Raum: „DAS BUNDESVERFASSUNGSGERICHT!“ Ich fühlte mich in diesem Moment wie in einem Gottesdienst, wo man bei Ankunft des Pfarrers aufspringt und auf sein Handzeichen wieder Platz nimmt. Auch die Roben der Richterinnen und Richter erinnern entfernt an das Gewand eines Pastors. Jedoch verbreiten die Leute in den roten Roben nicht das Wort Gottes. Nein, hier wird Recht gesprochen, das jenseits von Himmel und Erde wirkt. An diesem Tag handelte die Urteilsverkündung – gleichsam die Predigt des BVerfG – von einem heiligen lateinischen Rechtssatz: ne bis in idem. In der Juristerei sprechen wir bei diesen Prinzipien ketzerisch von heiligen Kühen. Diese musste an jenem Tag jedoch nicht dran glauben. Ich bildete mir ein, von einer Seite im Publikum zu hören: „Gott sei Dank.“
Moritz Flocke ist Rechtsreferendar beim Landgericht Limburg an der Lahn