Interview
IStGH ohne deutsche Richterin
Interview
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Im völkerrechtlichen Gesamtsystem hat Deutschland eine Schlüsselposition, meint Prof. Dr. Stefanie Bock im Gespräch mit der NJW. Doch diese Position könnte deutlich geschwächt worden sein. Denn künftig wird keine deutsche Vertreterin, kein deutscher Vertreter mehr beim IStGH auf der Richterbank sitzen, nachdem die deutsche Kandidatin, Richterin am BGH Dr. Ute Hohoff, Ende letzten Jahres nicht gewählt wurde. Wir haben Prof. Bock zu den Gründen und Folgen befragt.

28. Feb 2024

NJW: Mitte 2020 war in der Wochenzeitung „Zeit“ zu lesen, allein die Existenz des IStGH sei ein Grund zum Feiern. Wie sehen Sie das?

Bock: Der IStGH steht derzeit in der Kritik: Die Verfahren seien zu komplex und dauerten zu lange; er verfolge zu wenige Täterinnen und Täter und leiste keinen effektiven Beitrag zur Bekämpfung völkerstrafrechtlicher Verbrechen. Zudem werde das Völkerstrafrecht und mit ihm der IStGH nur dann in Stellung gebracht, wenn es westlichen Interessen diene. Diese Punkte sind gewichtig. Sie dürfen aber nicht den Blick darauf verstellen, dass der IStGH Ausdruck eines internationalen Bestrebens ist, (staatliche) Macht durch Recht zu begrenzen und gemeinsam gegen schwerste, systematische Menschenrechtsverletzungen vorzugehen. Ihm kommt damit jedenfalls eine hohe symbolische Bedeutung zu, die im internationalen Diskurs spürbar ist. Insofern: Ja, allein die Existenz des IStGH ist ein Wert an sich.

NJW: Umso bedauerlicher ist es, dass nach dem Ausscheiden von Bertram Schmitt Mitte März erstmals in der 22-jährigen Geschichte des IStGH Deutschland dort nicht mehr vertreten sein wird, oder?

Bock: Auf jeden Fall. Deutschland hat eine Schlüsselposition im völkerrechtlichen Gesamtsystem und damit an Einfluss, Ansehen und Reputation verloren. Zudem entsprach es Deutschlands Selbstbild als Vorreiter bei der Durchsetzung des Völkerstrafrechts, auf der Richterbank des IStGH vertreten zu sein.

NJW: Wie erfolgt eigentlich die Wahl der 18 Richterinnen und Richter des IStGH?

Bock: Zunächst benennen die Mitgliedstaaten ihre nationalen Kandidatinnen bzw. Kandidaten, die entweder über Fachkenntnisse und praktische Erfahrungen auf dem Gebiet des Strafrechts oder Fachkenntnisse im Völkerrecht und Erfahrung in einem relevanten Rechtsberuf verfügen müssen. Die eigentliche Wahl erfolgt in geheimer Abstimmung auf einer Sitzung der Versammlung der Vertragsstaaten, in die jeder Vertragsstaat des IStGH eine stimmberechtigte Vertreterin bzw. einen stimmberechtigten Vertreter entsendet. Gewählt ist, wer die höchste Stimmenanzahl und eine Zweidrittelmehrheit der anwesenden und abstimmenden Vertragsstaaten auf sich vereint. Wenn im ersten Wahlgang nicht ausreichend viele Kandidaten die notwendigen Stimmen erhalten, werden die Wahlgänge solange fortgesetzt, bis alle freien Posten besetzt sind.

NJW: Am Ende, das heißt im siebten Wahlgang erhielt Ute Hohoff gerade einmal 16 von 120 Stimmen. Können Sie sich erklären, warum sie so deutlich durchgefallen ist?

Bock: Das ist spekulativ. Der Wahlvorgang am IStGH ist hochkomplex und äußerst politisch. Die fachliche und persönliche Qualifikation der Kandidatinnen und Kandidaten ist Grundvoraussetzung, um in die nähere Auswahl zu kommen, muss bei der Wahlentscheidung aber nicht der ausschlaggebende Faktor sein. So wird vermutet, dass die geringe Unterstützung für die deutsche Kandidatin auch eine Reaktion auf die deutsche Israelpolitik sein könnte, die in Teilen der Welt ja durchaus kritisch gesehen wird. Ungünstig war in jedem Fall, dass sich sowohl Deutschland als auch Frankreich – wohl unabgestimmt – um einen Richterposten beworben haben. Es war angesichts der bereits angesprochenen Diskussion um einen möglichen „western bias“ des IStGH alles andere als sicher, dass zwei der sechs zu besetzenden Stellen an westliche Staaten gehen würden. Dies gilt umso mehr, als bei der Wahl auf eine gerechte geographische Verteilung zu achten ist. Der französische Kandidat Nicolas Guillou und Ute Hohoff standen daher möglicherweise in direkter Konkurrenz zueinander.

NJW: Und warum hat sich dann der französische Kandidat durchgesetzt und nicht Frau Dr. Hohoff?

Bock: Das kann mehrere Gründe haben: Zunächst verfügt Guillou unter anderem aufgrund seiner Tätigkeit am Libanon-Sondergerichtshof und am Kosovo-Sondertribunal über erhebliche Erfahrungen in der internationalen Strafjustiz. Zudem ist Frankreich als ständiges Mitglied des Sicherheitsrats mit Vetomacht ein starker internationaler Verhandlungspartner und könnte diese Position im Zuge der die IStGH-Wahlen stets begleitenden politischen Verhandlungen zu seinem Vorteil genutzt haben. Schlussendlich ist Guilliou ein Mann. Dieser Punkt mag zunächst kontraintuitiv wirken, ergibt sich aber aus der aktuellen Gerichtsbesetzung. Derzeit sind neun der 18 Richter weiblich. Nächsten Monat scheiden sechs Richter aus. Damit waren unter dem Gesichtspunkt der Geschlechterparität Männer bei diesen Wahlen im Vorteil.

NJW: Auch Bertram Schmitt wurde seinerzeit erst im sechsten Wahlgang gewählt. Haben deutsche Kandidaten einen schweren Stand bei der Vertragsstaatenversammlung, obwohl sich Deutschland immer wieder für den IStGH stark macht und dessen zweitgrößter Geldgeber ist?

Bock: Eine finanzielle und politische Unterstützung des IStGH begründet keinen Anspruch auf einen Richterposten. Zudem ist es ist keine Seltenheit, dass Kandidatinnen erst nach mehreren Wahldurchgängen die erforderliche Zweidrittelmehrheit erhalten. So wurde der koreanische Bewerber, Keebong Paek, der zeitglich mit Ute Hohoff angetreten ist, erst im elften Durchgang bestätigt. 2017 benötigte die kanadische Kandidatin Kimberly Prost sechs Anläufe, ihr italienscher Kollege Rosario Salvatore Aitala neun. Und Chile Eboe-Osuji, Nigeria, der 2018 sogar zum Präsidenten des IStGH ernannt wurde, konnte 2011 erst in der 15. Wahlrunde einen Erfolg verbuchen.

NJW: Wie werden eigentlich in Deutschland die Kandidatinnen und Kandidaten für den IStGH gekürt und welche Kriterien spielen dabei eine Rolle?

Bock: Das IStGH-Statut gibt vor, dass die nationalen Kandidaten entweder nach dem Verfahren für die höchsten richterlichen Ämter des jeweiligen Staates oder nach den für Wahlen zum Internationalen Gerichtshof geltenden Vorschriften benannt werden. Deutschland hat sich für den zweiten Weg entschieden. Die deutschen Kandidatinnen und Kandidaten werden demnach von der deutschen Gruppe beim Ständigen Schiedshof benannt, die aus vier renommierten Völkerrechtsprofessorinnen und -professoren besteht. In der Praxis wird der Auswahl- und Entscheidungsprozess vom Auswärtigen Amt (AA) dominiert. Es schlägt Kandidatinnen und Kandidaten vor, die regelmäßig von der Gruppe bestätigt werden. Dabei muss das AA darauf achten, dass die im IStGH-Statut genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Neben den bereits genannten Fachkompetenzen müssen Aspirantinnen und Aspiranten auf Richterstellen mindestens eine der beiden Arbeitssprachen des IStGH sicher beherrschen und zudem „von hohem sittlichem Ansehen“ sein.

NJW: Kritiker fordern ein stärkeres Mitspracherecht des Parlaments und der Wissenschaft, andere des Richterwahlausschusses. Überzeugt Sie das?

Bock: Das derzeitige Vorgehen ist intransparent und birgt aufgrund der zentralen Rolle des AA die Gefahr einer Politisierung. Das Wahlverfahren zu ändern und die Kandidaten für den IStGH künftig vom Richterwahlausschuss bestimmen zu lassen, könnte eine breite, öffentliche Diskussion begünstigen. Dies hätte zudem den Vorzug, dass der Bundestag an der Kandidatenauswahl beteiligt wäre, was ihre demokratische Legitimation erhöhen würde. Durch die (beratende) Hinzuziehung von Vertreterinnen aus der Wissenschaft könnte das Verfahren gegebenenfalls weiter entpolitisiert werden.

NJW: Wann steht die nächste Wahl an, bei der ein deutscher Kandidat, eine deutsche Kandidatin es wieder auf die Richterbank in Den Haag schaffen kann?

Bock: Die nächsten Wahlen finden 2026 statt. Deutschland sollte jetzt beginnen, eine neue Kandidatin, einen neuen Kandidaten aufzubauen.

Seit November 2016 lehrt Prof. Dr. Stefanie Bock an der Philipps-Universität Marburg Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Rechtsvergleichung. Im März 2018 hat sie dort zudem die Leitung des Internationalen Forschungs- und Dokumentationszentrums Kriegsverbrecherprozesse übernommen. Der Strafrechtskommission des Deutschen Juristinnenbundes e. V. gehört sie seit Januar 2018 als stellvertretende Vorsitzende an.

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Interview: Monika Spiekermann.