Interview
Sanierung und Fortführung im Fokus
Interview
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Kurz vor dem Jahreswechsel wartete das Statistische Bundesamt mit einer schlechten Nachricht auf: Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland ist im vergangenen Jahr um 23,5 % bzw. von 14.660 Fällen im Jahr 2022 auf 18.100 angestiegen. Zudem beherrscht die Pleite der österreichischen Immobilienholding Signa und ihrer Tochtergesellschaften seit Wochen die Nachrichten. Das wirft einige Fragen auf, die wir der Insolvenzverwalterin Miriam Rothmund gestellt haben.

26. Jan 2024

NJW: Im vergangenen Jahr gab es einen massiven Anstieg bei den Unternehmensinsolvenzen. Worauf ist dies zurückzuführen? Und rechnen Sie mit einem anhaltenden Trend?

Rothmund: Das liegt an mehreren Faktoren, die zusammenkommen. Den Unternehmen machen die hohen Energiepreise und natürlich auch die gestiegenen Finanzierungskosten stark zu schaffen. Gleichzeitig bestehen weiterhin Exportbeschränkungen aufgrund von Sanktionen. Hinzu kommen die hohe Inflation, die zu einer Kaufzurückhaltung bei vielen Kunden führt, und der Fachkräftemangel. Außerdem erhalten einige Betriebe derzeit Bescheide über die Rückzahlung der Coronahilfen, was die Liquidität zusätzlich belastet und einen Insolvenzantrag oftmals unumgänglich macht. Ich denke, der Trend wird noch anhalten, auch wenn es sicherlich keine große Insolvenzwelle geben wird. Die Unternehmensinsolvenzen werden jedoch weiter zunehmen, beispielsweise in der Baubranche und dem Einzelhandel. Aber auch der Krankenhaus- und Pflegesektor stehen vor großen Herausforderungen. Das merken wir ganz deutlich anhand steigender Nachfrage für Restrukturierungsprojekte in diesem Bereich.

NJW: Vor drei Jahren ist das sogenannte StaRUG in Kraft getreten, das insolvenzabwendende Sanierungen ermöglichen soll. Sprechen die zunehmenden Insolvenzen dafür, dass es sein Ziel verfehlt hat?

Rothmund: Nein, das kann man so nicht sagen. Man muss zwei Dinge beachten. Zum einen ermöglicht das StaRUG im Wesentlichen finanzwirtschaftliche Sanierungen. Das ist gut, aber für eine umfassende Sanierung bedarf es in aller Regel auch der operativen, leistungswirtschaftlichen Sanierung. Zum anderen mussten sich die Beteiligten vielleicht erstmal mit dem Gesetz vertraut machen. Nun, nachdem es vermehrt StaRUG-Verfahren gibt, kristallisieren sich zunehmend die Anwendungsmöglichkeiten des Gesetzes heraus. Aber wir entdecken immer noch Neues und neue Möglichkeiten.

NJW: Seit Wochen beherrscht der österreichische Signa-Konzern die Nachrichten. Was sind die besonderen Herausforderungen einer solchen Insolvenz?

Rothmund: Hierbei handelt es sich um ein komplexes Unternehmensgeflecht. Als Verwalterin oder Verwalter muss man sich hier erstmal einen Überblick verschaffen, welche finanziellen und rechtlichen Verpflichtungen es innerhalb des Konzernverbunds gibt. Aber auch die Moderation zwischen den zahlreichen Beteiligten und Interessensgruppen ist eine große Herausforderung. Dazu kommt die starke Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit, die man vor allem zu Beginn nicht unterschätzen sollte.

NJW: Die Pleite der Signa Holding hat nach und nach auch deren Tochtergesellschaften erfasst, die wiederum zu Insolvenzen bei vielen Zulieferern geführt haben. Lässt sich ein derartiger Dominoeffekt bei Großinsolvenzen nicht mit den Mitteln des Insolvenzrechts verhindern?

Rothmund: Das muss immer im Einzelfall betrachtet werden. Hier kommt auch eher das Gesellschafts- und Bankrecht zum Tragen als das Insolvenzrecht. In aller Regel gibt es Mitverpflichtungen von Tochtergesellschaften gegenüber Banken oder Leasinggebern, oder die Tochtergesellschaften sind auf Finanzflüsse aus dem Konzern angewiesen. Stellt die Holding dann einen Insolvenzantrag, ist es aus finanzieller und rechtlicher Sicht oft nicht möglich, eine Antragstellung der Töchter zu vermeiden. Gleiches gilt für die Zulieferer. Ihre Forderungen sind Insolvenzforderungen, die am Ende des Verfahrens quotal befriedigt werden. Selbst wenn für diese Forderungen Sicherheiten gestellt wurden, fließt in der Regel zunächst keine Liquidität. Diese Zwischenzeit können nur solide aufgestellte Lieferanten überbrücken.

NJW: Hat sich eigentlich das Konzerninsolvenzrecht, das demnächst seinen sechsten Geburtstag feiert, bewährt?

Rothmund: Positiv ist sicherlich der einheitliche Gerichtsstand. Dies erleichtert Sanierungen von Konzernen enorm. Aber es bleibt dabei, dass jede Gesellschaft insolvenzrechtlich isoliert betrachtet werden muss. Weitere Antragstellungen sind dann aus den oben erläuterten Gründen nicht zu vermeiden und machen die Sanierung von Konzernen komplex.

NJW: In der Vergangenheit ist immer wieder der Staat eingesprungen, um Unternehmen vor der Insolvenz zu bewahren. Unter welchen Voraussetzungen kann das sinnvoll sein?

Rothmund: Zunächst muss man sich im Klaren darüber sein, dass ein solches Eingreifen des Staats unsere Marktgesetze außer Kraft setzt. Es kann im Ausnahmefall jedoch sinnvoll für bedeutende Unternehmen und Schlüsselindustrien sein, die an sich gesund sind, aber durch unvorhersehbare exogene Faktoren in die Schieflage geraten sind, wie etwa die Lufthansa in der Corona-Pandemie. Definitiv nicht sinnvoll ist es hingegen bei Unternehmen bzw. Geschäftsmodellen, die keine positive Zukunftsprognose aufweisen. Klar ist nämlich, dass Unternehmen, die in Schieflage geraten sind, aber grundsätzlich tragfähige Geschäftsmodelle besitzen, mit den oben genannten Ausnahmen, gar nicht auf staatliche Hilfen angewiesen sind. Sie erhalten in der Regel von Banken etc. Überbrückungskredite.

NJW: Die Insolvenz des Zahlungsdienstleisters Wirecard beschäftigt die Justiz noch intensiv. Welche Rolle spielt ein solches Großverfahren auch für die Rechtsfortbildung des Insolvenzrechts?

Rothmund: Solche Verfahren spielen aus meiner Sicht eine große Rolle. Das Insolvenzrecht muss sich in der Praxis bewähren. In der täglichen Praxis zeigt sich immer wieder ein Korrekturbedarf, der schon mehrere Male zu einer Reform der Insolvenzordnung geführt hat. Solche Großverfahren helfen durch ihre Öffentlichkeitswirksamkeit. Das gilt nicht nur für das Insolvenzrecht, sondern auch für andere Rechtsgebiete. Beispielsweise werden aufgrund dieses Falls auch die Haftungsfragen für Aufsichtsräte und Wirtschaftsprüfer neu diskutiert.

NJW: Die InsO feiert in diesem Jahr ihr 25-jähriges Bestehen. Ist das ein Grund zum Feiern?

Rothmund: Unbedingt. Die InsO ist nämlich in all ihren Ausprägungen und Weiterentwicklungen auf den Neustart von Krisenunternehmen ausgerichtet. Sie hat die Sanierung im Fokus. Und wie erwähnt bieten sich damit zahlreiche Möglichkeiten für die Betriebe. Mit der InsO wurde der Insolvenzplan eingeführt, und durch die Einführung des ESUG können sich Unternehmen auch leichter selbst im Rahmen der Eigenverwaltung sanieren. Nicht zu vergessen ist, dass durch das Restschuldbefreiungsverfahren natürliche Personen erstmals die Chance erhalten, von ihren Verbindlichkeiten befreit zu werden. Die InsO stellt daher insgesamt eine wichtige Grundlage für einen wirtschaftlichen und sozialen Neuanfang dar.

NJW: Wie steht denn das deutsche Insolvenzrecht im internationalen Vergleich dar?

Rothmund: Sehr gut. Seit Jahren bescheinigt die Weltbank dem deutschen Insolvenzrecht einen festen Platz in der Spitzengruppe der bestehenden Insolvenz- und Sanierungssysteme. Diese Platzierung ist im Übrigen ebenfalls Ausdruck dafür, dass der Fokus der deutschen Insolvenzordnung auf die Sanierung der Geschäftsbetriebe gerichtet ist. Denn nur durch die Sanierung und Fortführung können Werte nicht nur gesichert, sondern auch neu geschaffen werden. Und das wiederum trägt maßgeblich zur Stärkung der Gesamtwirtschaft bei.

Miriam Rothmund begleitet als Rechtsanwältin der Pluta Rechtsanwalts GmbH seit vielen Jahren Unternehmen bei Restrukturierungen sowie Sanierungen und wird regelmäßig als Insolvenzverwalterin bestellt. Ein Tätigkeitsschwerpunkt liegt dabei in der rechtlichen Begleitung von Eigenverwaltungs- und Regelinsolvenzverfahren. Zudem leitet sie die Rechtsabteilung der Pluta Niederlassungen in Bremen und Oldenburg. Rothmund hat einen Lehrauftrag an der Hochschule für Öffentliche Verwaltung Bremen und ist unter anderem Mitglied der Distressed Ladies, einem Expertinnen-Netzwerk aus den verschiedenen Disziplinen rund um die Restrukturierung und Sanierung von Unternehmen.

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Interview: Tobias Freudenberg / Monika Spiekermann.