Interview
Kontrolleure der Aufklärung
Interview
Josef Hoch
Josef Hoch

Seit zwei Jahren überwacht der „Unabhängige Kontrollrat“ (UKRat) die technische Aufklärung des Bundesnachrichtendienstes (BND). Dessen verschärfte Aufsicht hatte zuvor das BVerfG gefordert (NJW 2020, 2235). In Reaktion darauf wurde die oberste Bundesbehörde errichtet. Die NJW hat den Präsidenten Josef Hoch befragt.

24. Jan 2024

NJW: Was sind Ihre Aufgaben und Zuständigkeiten?

Hoch: Aufgabe des UKRats ist die objektive Rechtskontrolle der technischen Aufklärung und damit einhergehender Übermittlungen und Kooperationen des BND zum Schutz der Grundrechte der Betroffenen. Die Fach- und Rechtsaufsicht wird vom Bundeskanzleramt ausgeübt, das auch die Zweckmäßigkeit der Maßnahmen in den Blick nimmt. Wir sind sozusagen Anwalt der Interessen der Betroffenen, denen faktisch der Zugang zu Gerichten unmöglich ist. Zugleich geben wir dem BND einen rechtssicheren Rahmen für die wirksame Auslandsaufklärung, an der ein vom BVerfG anerkanntes überragendes öffentliches Interesse besteht.

NJW: Zu Ihrer Institution: Sind Sie ein Gericht, ein gerichtsähnliches Organ oder eine Verwaltungsbehörde?

Hoch: Die Frage, welcher der drei Staatsgewalten der UKRat zuzuordnen ist, ist nicht leicht zu beantworten. In organisatorischer Hinsicht spricht Einiges dafür, ihn als Teil der Exekutive anzusehen. Dies findet eine Stütze in der Gesetzesbegründung, die den UKRat im Zusammenhang mit der Third-Party-Rule eben dort verortet. Allerdings führt sie an anderer Stelle aus, dass er ein vom Parlament bestelltes Organ oder Hilfsorgan im Sinne von Art. 10 II GG sei. Und in der Tat unterstützt der UKRat mit seinen Berichten das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr). Ich sehe den UKRat im Schwerpunkt allerdings eindeutig bei der Judikative angesiedelt. Denn er wird durch sein mit Bundesrichtern besetztes gerichtsähnliches Kontrollorgan geprägt und weist alle maßgeblichen Kriterien für die Qualifikation als rechtsprechende Gewalt auf: In einem rechtsstaatlich geregelten Entscheidungsverfahren stellt der UKRat als unabhängiges und am Ausgangskonflikt unbeteiligtes neutrales Staatsorgan einzelfallbezogen einen konkreten Sachverhalt fest und bewertet diesen in Anwendung des geltenden Rechts in einer abschließenden Entscheidung, die für Bundesregierung und BND verbindlich ist. Zugleich erfüllt der UKRat die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine umfassende – auch institutionelle – Unabhängigkeit und etabliert so eine der gerichtlichen Kontrolle gleichwertige Rechtskontrolle, die das BVerfG gefordert hat.

NJW: Wie ist der Kontrollrat besetzt?

Hoch: Der UKRat gliedert sich in zwei Kontrollinstanzen, nämlich das mit sechs erfahrenen Bundesrichtern besetzte gerichtsähnliche Kontrollorgan und das administrative Kontrollorgan, dessen Leiter über die Befähigung zum Richteramt verfügen muss. Das Richteramt der für zwölf Jahre gewählten Kontrollbeauftragten ruht, während sie zu Beamten auf Zeit ernannt sind. Im administrativen Kontrollorgan wird vorwiegend IT-Know-how, aber auch juristische und anderweitige Expertise benötigt. Alle Mitarbeiter müssen eine Sicherheitsüberprüfung nach höchstem Standard absolvieren.

NJW: Haben Sie schon mal eine Maßnahme gestoppt?

Hoch: In der Presse wurde unter Hinweis auf – rechtswidrig durchgestochene – statistische Zahlen die Ablehnungsquote der zur Prüfung vorgelegten Anordnungen moniert. Zahlen über die Vorabkontrolle allein sagen allerdings nicht viel über den Einfluss der Kontrollbehörde aus. Schon deren bloße Existenz führt innerhalb des BND zur Konzentration, Dokumentation, Präzision und Beschränkung. Die gerichtsähnlichen Verhandlungen führen typischerweise dazu, dass Anträge ganz oder teilweise zurückgenommen oder Maßnahmen nur teilweise oder mit näher bestimmten Maßgaben bestätigt werden. Zudem umfasst unsere Kontrolle den gesamten Bereich der technischen Fernmeldeaufklärung und beschränkt sich nicht auf Vorabkontrollen. Vielmehr erstreckt sie sich auch auf die begleitende und nachfolgende Kontrolle laufender Maßnahmen sowie die Rechtskontrolle der Dienstvorschriften des BND. Erst das Gesamtbild ermöglicht also eine sinnvolle Einschätzung.

NJW: In der von Ihnen angesprochenen medialen Kritik hieß es auch, der UKRat sei zu „BND-freundlich“, die Kontrolle zu lasch.

Hoch: Die Einschätzung entspricht nicht meiner Wahrnehmung. Der UKRat berichtet dem PKGr regelmäßig über seine Arbeit. Dessen stellvertretender Vorsitzender, MdB Grötsch, hat kürzlich gesagt: „Die deutschen Nachrichtendienste sind die am besten kontrollierten Dienste der Welt.“ Über mehr oder weniger Kontrolle gibt es ganz unterschiedliche Vorstellungen. Der UKRat richtet sein Handeln wie ein Gericht allein am Gesetz aus. Eine umfassende Evaluation wird gem. § 61 BNDG nach fünf Jahren stattfinden.

NJW: Sie sind mit Ihrer Behörde „Untermieterin“ des BND. Ist das nicht eine unglückliche Konstellation?

Hoch: Die Bearbeitung von Verschlusssachen in einer Enklave innerhalb einer BND-Liegenschaft war angesichts der kurzen Frist, in der wir eine Erstbefähigung erreichen mussten, alternativlos. Unser Arbeitsbereich ist so vor dem Zugriff fremder Mächte gesichert, dem BND sind die Vorgänge, mit denen wir uns befassen, sowieso bekannt und unsere Beratungen finden in abgeschotteten Bereichen statt, zu denen der BND keinen Zugang hat. Derzeit ertüchtigen wir eine Immobilie, in die der UKRat sukzessive einziehen wird. Die Kontrolle des BND wird aber immer auch in seinen Räumen stattfinden. Gestandene Bundesrichter lassen sich bei ihrer Entscheidung nicht davon beeinflussen, an welchem Ort Verhandlungen und Beratungen stattfinden.

NJW: Es gibt neben dem UKRat noch die Fach- und Dienstaufsicht im Bundeskanzleramt, das PKGr und die G10-Kommission. Sind das nicht zu viele Gremien für eine effiziente Kontrolle?

Hoch: Die Kontrolllandschaft ist historisch gewachsen. Sie könnten die Liste auch noch um den Bundesrechnungshof, den Bundesdatenschutzbeauftragten und das Vertrauensgremium erweitern. All diese nehmen spezielle Teilbereiche des BND in den Blick und verfügen über besondere Expertise in ihrem jeweiligen Bereich. Mit dem UKRat ist eine Institution entstanden, die auch weitere Kontrollaufgaben über den Bereich der technischen Auslandsaufklärung durch den BND hinaus leisten könnte. Das aber muss politisch bewertet und entschieden werden.

NJW: Es sind Reformen geplant, die unter anderem Begründungen Ihrer Entscheidungen und die Möglichkeit von Sondervoten vorsehen. Wie bewerten Sie das?

Hoch: Entscheidungen, mit denen der UKRat Maßnahmen untersagt, werden ohnehin mit einer Begründung versehen. Das gleiche gilt für Entscheidungen, mit denen Maßnahmen ganz oder teilweise bestätigt werden, soweit Erklärungsbedarf besteht. Ist das nicht der Fall, etwa soweit die Anordnung eine zutreffende Begründung enthält, verzichtet der UKRat auf deren Wiederholung und sieht von einer Begründung seines Beschlusses ab. In Fällen, bei denen in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht Klärungsbedarf besteht, wird eine mündliche Erörterung mit dem BND und dem Bundeskanzleramt durchgeführt. Die Verfahrensbeteiligten werden so hinreichend informiert und reagieren oft mit (Teil-)Rücknahmen oder Modifizierungen, so dass zunächst avisierte Grundrechtsträger keiner Beschränkung unterworfen werden. Im Umfang der Stattgabe sind die Gründe aus der Anordnung zu erkennen. Schließlich stellen Voten und Protokolle intern eine ausreichende Dokumentation sicher. Die Möglichkeit zu Sondervoten besteht beim UKRat ebenso wie bei den obersten Gerichtshöfen des Bundes. Hier wie dort werden sie aus guten Gründen nicht mitgeteilt – und so sollte es auch bleiben.

NJW: Wie beurteilen Sie die neuen Vorschriften? Sehen Sie Änderungsbedarf?

Hoch: Der UKRat hält die aktuellen Vorschriften über die Rechtskontrolle und insbesondere die Organisation der Behörde für im Großen und Ganzen gelungen. Soweit wir Änderungsbedarf erkannt haben, haben wir dem PKGr berichtet und das Bundeskanzleramt informiert; an der aktuellen Reformdebatte haben wir uns unter anderem mit einem Diskussionsentwurf für ein UKRat-G beteiligt. Hier ist nicht der Raum, darauf vertieft einzugehen. Erforderlich ist beispielweise eine Änderung der Regelungen für Fälle von Gefahr im Verzug. Dem BND sollte für eng begrenzte Fälle die Möglichkeit sofortigen Handelns mit nachfolgender Kontrolle in der Weise eingeräumt werden, wie es das BVerfG in seiner Entscheidung vom 19.5.​2020 vorgezeichnet hat.

Josef Hoch wurde am 8.6.​2021 zum Präsidenten des Unabhängigen Kontrollrats ernannt. Er war vor seiner Wahl durch das Parlamentarische Kontrollgremium Mitglied des für Revisionen in Strafsachen und für Staatsschutzsachen zuständigen 3. Strafsenats des BGH und Vorsitzender des Unabhängigen Gremiums nach dem früheren § 16 BNDG (idF v. 23.12.​2016).

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Interview: Tobias Freudenberg.