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Nutzermanipulation ​durch Social Media
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Meta wird von 42 US-Generalstaatsanwälten verklagt, die vortragen, dass die Funktionen von Facebook und Instagram süchtig machen und spezifisch die Vulnerabilität von Kindern und Jugendlichen ausnutzen. Hierbei sind grundsätzliche Rechtsprobleme des Plattformmodells und der Aufmerksamkeitsökonomie betroffen.

15. Jan 2024

Die Klage (4:23-cv-05448) wurde am 16.11.?2023 in Kalifornien eingereicht – und die Vorwürfe sind von erheblicher Brisanz: Meta soll durch den Suchtcharakter ihrer Social-Media-­Plattformen eine Krise der psychischen Gesundheit amerikanischer Jugendlicher provoziert haben. Ganz bewusst habe Meta Technologien zur digitalen Nutzermanipulation ausgearbeitet und auf besonders für digitale und soziale Reize anfällige Gruppen – Kinder und Jugendliche – angewendet (etwa ­‚targeted advertising‘, ‚infinite scroll‘ oder ‚dopamine-manipulating recommendation algorithms‘; S. 11–22 der Klage). Der Kern von Metas Geschäftsmodell bestehe gerade darin, die Verweildauer und Nutzungs­intensität Minderjähriger auf Instagram und Facebook zu maximieren, um ihre Daten und Werbeaufmerksamkeit zu vermarkten. Zudem habe Meta gezielt die Öffentlichkeit über die ­Gefahren seiner Plattformen getäuscht. Die Generalanwälte sehen verschiedene Verbraucher- und Minderjährigenschutzgesetze verletzt. Meta soll dazu verurteilt werden, ihre Geschäftspraktiken zu ändern, die Öffentlichkeit über die Gefahren ihrer Plattformen aufzuklären und allen (!) betroffenen Nutzern Schadensersatz zu leisten.

Die Klage betrifft mit dem Design der Nutzerschnittstellen eine zentrale Säule des Geschäftsmodells von Social-Media-Plattformen. In der Aufmerksamkeitsökonomie wird die Verweildauer doppelt monetarisiert – einerseits bilden Nutzer das Werbepublikum, dessen Größe und Aufmerksamkeit den Wert von Anzeigen auf der jeweiligen Plattform bestimmt; andererseits liefern sie durch ihre Interaktion mit der Plattform Daten, welche die Plattform an weitere Unternehmen veräußert (Parker et al, Platform Revolution, 2016). Daran ist im Grundsatz nichts verwerflich, und auch die Optimierung des Designs von Diensten entspricht dem Nutzerinteresse an einer angenehmen Freizeitgestaltung oder Kommunikation. Die Bewertung muss jedoch kritisch ausfallen, wenn die Nutzung nicht freiwillig, sondern zwanghaft ist. Der einzelne Nutzer erleidet eine Einbuße an Selbstbestimmung – und darüber hinaus seiner Zeit, psychischen Gesundheit und womöglich weiteren Gütern. Die Klage hebt allerdings zu Recht auch die systemischen Effekte der Aufmerksamkeitsöko­nomie hervor und spricht von einer nationalen Krise: ‚Meta (…) has profoundly altered the psychological and social realities of a generation of young Americans‘ (S. ii der Klage). Fraglos gehen mit der verminderten psychischen Leistungs- und Belastungsfähigkeit einer Vielzahl junger Menschen weitreichende volkswirtschaftliche, politische und kulturelle Nachteile einher. Insoweit handelt es sich bei den negativen Externalitäten psychologisch-optimierter Plattformen um ein qualitatives Novum gegenüber bekannten, risikobehafteten Geschäftstätigkeiten, wie etwa dem Vertrieb von Zigaretten, Alkohol oder Pornographie.

Vergleichbare Klagen auch in Europa

Der grundsätzlichen Freiheitsverbürgung (mit Flume: ‚pro ratione stat voluntas!‘) stehen staatliche Schutzpflichten gegenüber. Die Grenzziehung zwischen so­zialadäquater Selbstgefährdung und Verbot ist eine rechtspolitische Entscheidung, bei der ein weiter gesetzgeberischer Gestaltungsspielraum besteht. Be­merkenswert ist, dass die Klage ohne besondere Verbotsnorm gegen „digitale Manipulation“ mit den all­gemeinen Verbraucher- und Jugendschutzgesetzen auskommt. Auch das deutsche Privat- und Wirtschaftsrecht kann effektiv gegen digitale Manipulation eingesetzt werden (Denga ZfDR 2022, 229). Zudem enthält nun der Digital Services Act in Art. 25 sogar das explizite Verbot, Dienste „so (zu) konzipieren, organisieren oder betreiben, dass Nutzer getäuscht, manipuliert oder anderweitig in ihrer Fähigkeit, freie und informierte Entscheidungen zu treffen, maßgeblich beeinträchtigt oder behindert werden“. Die Norm ist gespickt von unbestimmten Rechtsbegriffen und dürfte vergleichbare Klagen auch in Europa befördern. Hier wird eine komplexe Gemengelage von Freiheitsgebrauch, Schutzpflichten und auch digitaler Wirtschaftspolitik durch den Rechtsanwender und die Gerichte aufzulösen sein.

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Priv.-Doz. Dr. Michael Denga lehrt Zivil- und Wirtschafts- und​IT-Recht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg​sowie an der Universität Regensburg.