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"Ich brauch ein Paket vom grün heute", "Standarte 25 kg", "Morgan kommt 2 paco" – wissen Sie direkt, was hier gespielt wurde? Das Landgericht Frankfurt (Oder) hielt solche kryptischen Chatverläufe für selbsterklärend. Warum der BGH das bedenklich fand, verrät Ihnen die neue Entscheidung der Woche aus der NJW.

12. Jan 2024

Die Digitalisierung schreitet auch in der Justiz mit großen Schritten voran. Denn dass die Automatisierung so manches erleichtert, was bislang reichlich mühsam war, das ist mittlerweile auch bei unseren Gerichten angekommen. Trotzdem sollten die es sich nicht zu einfach machen; sonst riskieren sie, dass der BGH sie aufhebt. Diese Erfahrung musste etwa das LG Frankfurt (Oder) Anfang August 2023 machen (Beschl. v. 8.8.2023 – 6 StR 243/23).

In dem Fall ging es um eine Verurteilung wegen Handels mit Betäubungsmitteln in nicht geringen Mengen in elf Fällen, für die der Angeklagte eine mehrjährige Freiheitsstrafe gefangen hatte. Der 6. Strafsenat des BGH kassierte diese Verurteilung, weil es sich die Kollegen aus Brandenburg bei der Beweiswürdigung zum einen zu leicht, auf der anderen Seite unnötig schwer gemacht hatten. Zu schwer deshalb, weil sie den Inhalt der überwachten Telekommunikation – in concreto: der überwachten Chatverläufe –, vollumfänglich in den Entscheidungsgründen wiedergegeben hatten. Dafür fasste sich die Kammer in der anschließenden „Beweiswürdigung“ maximal kurz. Für die reichte ihr nämlich ein Satz: „Die Kammer stützt die Überzeugung vom Sachverhalt auf die eingeführten und dargestellten Chatverläufe.“ Das war dem BGH dann nicht nur an­gesichts der verhängten siebenjährigen Haftstrafe zu puristisch, trotz der optischen Hervorhebungen einzelner Nachrichten, die wohl seinerzeit in besonderem Maße zur Überzeugungsbildung der Kammer beigetragen hatten. Hinzu kam, dass die Dealer sich nicht à la ­Thomas Mann austauschten, sondern, ganz Vollprofis, das eine oder andere Codewort in ihre Chatverläufe eingestreut hatten bzw. sich ebenda auch schon mal in bloßen Andeutungen ergingen, die nicht so eindeutig waren, dass ein jeder sie mit der erforderlichen Eindeutigkeit hätte dechiffrieren können. Deshalb hätte die Vorinstanz nach Ansicht des BGH auch erläutern müssen, wie sie denn die verschlüsselten Passagen entschlüsselt habe, um sie sodann in ihre Überzeugungsbildung einfließen zu lassen. Weil aber die Entscheidungsgründe hierzu nichts und auch sonst nichts enthielten, was auch nur im Entferntesten an eine richterliche Beweiswürdigung erinnerte, kassierte der BGH den Richterspruch nebst frugaler Beweiswürdigung und verwies die Sache zurück, zusammen mit einer ganz ohne Codewörter und Andeutungen auskommenden „Segelanweisung“ für das, was man beim nächsten Mal nicht mehr lesen möchte: Ausführungen zur Verwertbarkeit von Beweismitteln in den Urteils­gründen (die Entscheidung ist im Volltext abrufbar unter BeckRS 2023, 25464).

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Dr. Monika Spiekermann ist Redakteurin der NJW.