Urteilsanalyse
Neuwertentschädigung in der Gebäudeversicherung
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Will das Berufungsgericht eine Klage (hier: auf Neuwertentschädigung aus einer Gebäudeversicherung) mit anderer Begründung als das erstinstanzliche Gericht abweisen, hat es dem Kläger einen entsprechenden Hinweis zu erteilen und Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen. Andernfalls verletzt es nach Auffassung des Bundesgerichtshofs den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör.

12. Mai 2021

Anmerkung von
Rechtsanwalt Holger Grams, Kanzlei GRAMS Rechtsanwälte, Fachanwalt für Versicherungsrecht, München

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 8/2021 vom 22.04.2021

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GG Art. 103 I; VGB 2006 §§ 2 Ziff. 6a, 29 Ziff. 5

Sachverhalt

Der Kläger begehrt von der Beklagten wegen eines Brandschadens aus dem Jahre 2012 weitere Leistungen aus einer Gebäudeversicherung. Die Beklagte hatte aufgrund der Zerstörung mehrerer Nebengebäude den Zeitwert reguliert. Der Kläger fordert zusätzlich eine Neuwertentschädigung wegen der Mehrkosten für den Bau zweier Löschwasser-Brunnenschächte infolge einer mit der Neubaugenehmigung verbundenen behördlichen Auflage. Die Genehmigung bezog sich auf eine Halle mit einem umbauten Raum von gut 1.100 cbm. Nachdem die Beklagte unter Bezugnahme auf die Wiederherstellungsklausel gemäß § 29 Ziff. 5 VGB 2006 Einwendungen erhob, dass die Halle größer als die ursprüngliche sei, beantragte der Kläger eine neue Baugenehmigung für eine Halle mit geringerer Höhe und einem umbauten Raum von nur noch gut 800 cbm. Die Genehmigung hierfür wurde 2018 ohne Auflage erteilt.

Die Klage war in den Vorinstanzen erfolglos. Das LG wies die Klage mit der Begründung ab, der Kläger habe nicht schlüssig dargelegt, dass die behördliche Auflage der zur Zeit des Versicherungsfalls geltenden Rechtslage entsprochen habe (§ 2 Ziff. 6 VGB 2006). Dies sah das OLG anders, wies die Berufung aber mit der Begründung zurück, die ursprüngliche Baugenehmigung, die die Auflage enthalten habe, habe sich auf die Errichtung eines den früheren Gebäuden nach Art und Größe nicht gleichenden Gebäudes bezogen (OLG Schleswig, Urteil vom 18.11.2019 - 16 U 22/19, BeckRS 2019, 29884). Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ließ der BGH die Revision zu, hob das Berufungsurteil auf und verwies die Sache an das OLG zurück.

Rechtliche Wertung

Das Berufungsgericht habe den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, entschied der BGH. Es habe eine überraschende Entscheidung getroffen, indem es den Anspruch ohne vorherigen Hinweis mit einer anderen Begründung als das Landgericht verneint habe. Der Kläger habe daher keine Gelegenheit erhalten, darzulegen, dass die Auflage auch für die tatsächlich errichtete, kleinere Halle erteilt worden wäre.

Der Kläger habe zudem in I. Instanz vorgetragen, dass die Auflage zur Bereitstellung von Löschwasser nur deswegen in der zweiten Baugenehmigung nicht mehr enthalten gewesen sei, weil die Löschwasseranlage zu diesem Zeitpunkt bereits fertiggestellt gewesen sei.

Zwar sei die Wiederherstellung des Gebäudes selbst vom Kläger nicht innerhalb der nach § 29 Ziff. 5 VBG 2006 maßgeblichen Dreijahresfrist sichergestellt worden, so dass eine Neuwertentschädigung für die Wiederherstellung nicht verlangt werden könne. Dies lasse aber, wie das OLG zutreffend entschieden habe, nicht den Anspruch aus § 2 Ziff. 6 VGB 2006 auf Erstattung der Mehrkosten einer Wiederherstellung infolge behördlicher Auflagen auf der Grundlage der zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls geltenden Rechtslage entfallen.

Das OLG müsse daher noch Feststellungen dazu treffen, ob die tatsächlich vom Kläger neu errichtete Halle als Wiederherstellung nach § 29 Ziff. 5 VBG 2006 («in gleicher Art und Zweckbestimmung») anzusehen sei.

Praxishinweis

Neben den zutreffenden Ausführungen zum Anspruch auf rechtliches Gehör und der daraus resultierenden richterlichen Hinweispflicht hat der BGH im Übrigen die Entscheidung des OLG insofern bestätigt, als er feststellt, dass die Frist für die Sicherstellung der Wiederherstellung nur für den Anspruch auf die Neuwertspitze hinsichtlich der eigentlichen Wiederherstellungskosten gilt, nicht aber für andere Kosten, die in anderen Klauseln des Bedingungswerks geregelt sind, die keine derartige Frist enthalten.

BGH, Beschluss vom 10.03.2021 - IV ZR 337/19 (OLG Schleswig), BeckRS 2021, 6259