NJW-Editorial
Neustart in der Strafrechtspolitik?
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Das Bundesjustizministerium hat seinen Gesetzentwurf zur Überarbeitung des Sanktionenrechts als  Neustart in der Strafrechtspolitik bezeichnet.  Diese kommunikative „Bazooka“ ist für ein derart kleines Gesetzesvorhaben deutlich übertrieben. Unabhängig davon wären für Verbesserungen in diesem Bereich andere Maßnahmen sinnvoller als Gesetzesänderungen.

11. Aug 2022

Am 19.7.2022 hat das Bundesjustizministerium (BMJ) den Referentenentwurf eines „Gesetzes zur Überarbeitung des Sanktionenrechts – Ersatzfreiheitsstrafe, Strafzumessung, Auflagen und Weisungen sowie Unterbringung in einer Entziehungsanstalt“ veröffentlicht. Die Ziele klingen nicht unplausibel: Ersatzfreiheitsstrafen bei Uneinbringlichkeit einer Geldstrafe sollen zurückgedrängt, die Voraussetzungen der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt enger gefasst, spezialpräventive Weisungen ausgebaut und schließlich bei der Strafzumessung geschlechtsspezifische, gegen die sexuelle Orientierung gerichtete Motive besonders hervorgehoben werden. Viele dieser Vorschläge werden seit längerem diskutiert. Ein ganz normaler Referentenentwurf also zu voneinander unabhängigen Einzelfragen des Sanktionenrechts.

Ganz anders die vollmundige Überschrift der Pressemitteilung des BMJ dazu: „Neustart in der Strafrechtspolitik“. Das klingt nach einem ambitionierten Reformvorhaben, das wie die große Strafrechtsreform von 1969 umfangreiche systematische Änderungen des StGB anhand klarer kriminalpolitischer Leitlinien anstrebt. Was ließe sich da nicht alles denken? Die Entkriminalisierung von Bagatelltaten, die Einführung einer Einheitsstrafe anstelle der häufig von Zufällen abhängigen (nachträglichen) Gesamtstrafe, die Vereinheitlichung des Besonderen Teils des StGB, die Austarierung der Strafrahmen … Von solchen grundlegenden Reformen scheinen die vorgeschlagenen punktuellen Änderungen des Referentenentwurfs denkbar weit entfernt. Wird schon bei einem derart kleinen Gesetzesvorhaben gleichsam die kommunikative „Bazooka“ herausgeholt, was soll dann bei einer wirklichen Reform des Strafgesetzbuchs noch kommen?

Einem „Neustart“ muss eine gründliche Analyse vorangehen. Diese wird oft zeigen, dass nicht die Änderung von Gesetzen, sondern das kostenintensive Kümmern um Menschen zielführend ist. Gegen die Ersatzfreiheitsstrafe hilft am ehesten, den Betroffenen durch konkrete Ansprache und Hilfestellung einen Weg zur Vermeidung durch gemeinnützige Arbeit aufzuzeigen. Der Überfüllung von Entziehungsanstalten kann man zwar durch eine Erhöhung der Anforderungen an eine Unterbringung begegnen. Vielleicht gibt es aber einfach mehr Straftäter mit Drogen- und Alkoholproblemen, bei denen sich eine Therapie lohnt, so dass man gerade in diesem wichtigen spezialpräventiven Bereich auch mehr Geld in die Hand nehmen und das Angebot deutlich erweitern könnte. Schwere Gewalttaten gegen Frauen werden eher durch personalintensive Interventionen und den Ausbau von Frauenhäusern als durch die eher symbolische Erweiterung des Katalogs in § 46 II 2 StGB verhindert. Doch solche kleinen kostenintensiven Schritte lassen sich vielleicht einfach nicht so gut verkaufen. In diesem Sinne kann man schon auf den nächsten „Neustart“ gespannt sein.

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Prof. Dr. Andreas Mosbacher ist Richter am BGH und Mitglied des 5. Strafsenats, Leipzig.