NJW-Editorial

Neu­start in der Straf­rechts­po­li­tik?
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Foto_Editorial_NJW_33_2022_Andreas_Mosbacher_WEB
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Das Bun­des­jus­tiz­mi­nis­te­ri­um hat sei­nen Ge­setz­ent­wurf zur Über­ar­bei­tung des Sank­tio­nen­rechts als  Neu­start in der Straf­rechts­po­li­tik be­zeich­net.  Diese kom­mu­ni­ka­ti­ve „Ba­zoo­ka“ ist für ein der­art klei­nes Ge­set­zes­vor­ha­ben deut­lich über­trie­ben. Un­ab­hän­gig davon wären für Ver­bes­se­run­gen in die­sem Be­reich an­de­re Maß­nah­men sinn­vol­ler als Ge­set­zes­än­de­run­gen.

11. Aug 2022

Am 19.7.2022 hat das Bun­des­jus­tiz­mi­nis­te­ri­um (BMJ) den Re­fe­ren­ten­ent­wurf eines „Ge­set­zes zur Über­ar­bei­tung des Sank­tio­nen­rechts – Er­satz­frei­heits­stra­fe, Straf­zu­mes­sung, Auf­la­gen und Wei­sun­gen sowie Un­ter­brin­gung in einer Ent­zie­hungs­an­stalt“ ver­öf­fent­licht. Die Ziele klin­gen nicht un­plau­si­bel: Er­satz­frei­heits­stra­fen bei Un­ein­bring­lich­keit einer Geld­stra­fe sol­len zu­rück­ge­drängt, die Vor­aus­set­zun­gen der Un­ter­brin­gung in einer Ent­zie­hungs­an­stalt enger ge­fasst, spe­zi­al­prä­ven­ti­ve Wei­sun­gen aus­ge­baut und schlie­ß­lich bei der Straf­zu­mes­sung ge­schlechts­spe­zi­fi­sche, gegen die se­xu­el­le Ori­en­tie­rung ge­rich­te­te Mo­ti­ve be­son­ders her­vor­ge­ho­ben wer­den. Viele die­ser Vor­schlä­ge wer­den seit län­ge­rem dis­ku­tiert. Ein ganz nor­ma­ler Re­fe­ren­ten­ent­wurf also zu von­ein­an­der un­ab­hän­gi­gen Ein­zel­fra­gen des Sank­tio­nen­rechts.

Ganz an­ders die voll­mun­di­ge Über­schrift der Pres­se­mit­tei­lung des BMJ dazu: „Neu­start in der Straf­rechts­po­li­tik“. Das klingt nach einem am­bi­tio­nier­ten Re­form­vor­ha­ben, das wie die große Straf­rechts­re­form von 1969 um­fang­rei­che sys­te­ma­ti­sche Än­de­run­gen des StGB an­hand kla­rer kri­mi­nal­po­li­ti­scher Leit­li­ni­en an­strebt. Was ließe sich da nicht alles den­ken? Die Ent­kri­mi­na­li­sie­rung von Ba­ga­tell­ta­ten, die Ein­füh­rung einer Ein­heits­stra­fe an­stel­le der häu­fig von Zu­fäl­len ab­hän­gi­gen (nach­träg­li­chen) Ge­samt­stra­fe, die Ver­ein­heit­li­chung des Be­son­de­ren Teils des StGB, die Aus­ta­rie­rung der Straf­rah­men … Von sol­chen grund­le­gen­den Re­for­men schei­nen die vor­ge­schla­ge­nen punk­tu­el­len Än­de­run­gen des Re­fe­ren­ten­ent­wurfs denk­bar weit ent­fernt. Wird schon bei einem der­art klei­nen Ge­set­zes­vor­ha­ben gleich­sam die kom­mu­ni­ka­ti­ve „Ba­zoo­ka“ her­aus­ge­holt, was soll dann bei einer wirk­li­chen Re­form des Straf­ge­setz­buchs noch kom­men?

Einem „Neu­start“ muss eine gründ­li­che Ana­ly­se vor­an­ge­hen. Diese wird oft zei­gen, dass nicht die Än­de­rung von Ge­set­zen, son­dern das kos­ten­in­ten­si­ve Küm­mern um Men­schen ziel­füh­rend ist. Gegen die Er­satz­frei­heits­stra­fe hilft am ehes­ten, den Be­trof­fe­nen durch kon­kre­te An­spra­che und Hil­fe­stel­lung einen Weg zur Ver­mei­dung durch ge­mein­nüt­zi­ge Ar­beit auf­zu­zei­gen. Der Über­fül­lung von Ent­zie­hungs­an­stal­ten kann man zwar durch eine Er­hö­hung der An­for­de­run­gen an eine Un­ter­brin­gung be­geg­nen. Viel­leicht gibt es aber ein­fach mehr Straf­tä­ter mit Dro­gen- und Al­ko­hol­pro­ble­men, bei denen sich eine The­ra­pie lohnt, so dass man ge­ra­de in die­sem wich­ti­gen spe­zi­al­prä­ven­ti­ven Be­reich auch mehr Geld in die Hand neh­men und das An­ge­bot deut­lich er­wei­tern könn­te. Schwe­re Ge­walt­ta­ten gegen Frau­en wer­den eher durch per­so­nal­in­ten­si­ve In­ter­ven­tio­nen und den Aus­bau von Frau­en­häu­sern als durch die eher sym­bo­li­sche Er­wei­te­rung des Ka­ta­logs in § 46 II 2 StGB ver­hin­dert. Doch sol­che klei­nen kos­ten­in­ten­si­ven Schrit­te las­sen sich viel­leicht ein­fach nicht so gut ver­kau­fen. In die­sem Sinne kann man schon auf den nächs­ten „Neu­start“ ge­spannt sein.

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Prof. Dr. Andreas Mosbacher ist Richter am BGH und Mitglied des 5. Strafsenats, Leipzig.