Urteilsanalyse
Näheverhältnis zur Partei und Befangenheit
Urteilsanalyse
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Ein Richter kann nach Ansicht des Bundesgerichtshofs befangen sein, wenn ihn und seine Familie zum Leiter der Rechtsabteilung einer Partei eine langjährige enge Freundschaft verbindet. 

3. Jun 2022

Anmerkung von
Richter am Kammergericht Dr. Oliver Elzer, Berlin

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 11/2022 vom 03.06.2022

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Sachverhalt

Die Klägerin, die in den Vorinstanzen vergeblich Nachlieferung eines mangelfreien Neufahrzeugs aus der Serienproduktion der Beklagten, hilfsweise Nachbesserung des von der Beklagten erworbenen Fahrzeugs begehrt hat, wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision. Eine Richterin am Bundesgerichtshof, die auf der Grundlage der senatsinternen Geschäftsverteilung zur Mitwirkung an der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde berufen wäre, teilt gem. § 48 Hs. 1 ZPO mit, sie kenne den Leiter der Rechtsabteilung der Beklagten persönlich gut; zwischen ihnen und ihren Familien bestehe eine langjährige enge Freundschaft. Die Klägerin erklärt angesichts dieser Mitteilung, sie sehe von einem eigenen Ablehnungsgesuch ab, gehe aber von der Besorgnis der Befangenheit und einer entsprechenden Entscheidung des Senats von Amts wegen aus. Die Beklagte erklärt, der in der Selbstanzeige geschilderte Sachverhalt treffe zu.

Entscheidung: Der BGH erklärt die Selbstablehnung für begründet!

Die in einer Anzeige eines Richters gem. § 48 Hs. 1 ZPO mitgeteilten Gründe rechtfertigen nach § 42 II ZPO die Besorgnis der Befangenheit, wenn ein Grund vorliege, der geeignet sei, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Tatsächliche Befangenheit oder Voreingenommenheit sei nicht erforderlich, da die Vorschriften über die Befangenheit von Richtern bezweckten, bereits den bösen Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit und Objektivität zu vermeiden. Maßgeblich sei, ob aus der Sicht einer Partei bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben sei, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln. Solche Zweifel könnten sich aus einer besonderen Beziehung des Richters zum Gegenstand des Rechtsstreits oder zu den Parteien ergeben. In der Rechtsprechung sei anerkannt, dass nahe persönliche Beziehungen des Richters zu einem Verfahrensbeteiligten geeignet sein könnten, Misstrauen in die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.

Nach diesen Maßstäben begründe die langjährige und enge, auch die jeweiligen Familien einbindende Freundschaft der Richterin mit dem Leiter der Rechtsabteilung der Beklagten die Besorgnis der Befangenheit. Im Fall stehe zwar nicht die Beziehung der Richterin (und ihrer Familie) zu der Beklagten selbst, einer juristischen Person, in Rede. Jedoch bestünde das besondere persönliche Verhältnis zu einem Mitarbeiter der Beklagten, der als Leiter der Rechtsabteilung eine besondere Beziehung zu dem Rechtsstreit und ein Interesse am Verfahrensausgang haben könne. Damit stehe er der Beklagten als unmittelbarer Rechtsträgerin gleich. Ob der Leiter der Rechtsabteilung der Beklagten persönlich in die Bearbeitung des Streitfalls eingebunden sei, mache aus Sicht der Verfahrensbeteiligten keinen Unterschied.

Praxishinweis

Eine bloße Bekanntschaft oder lockere Freundschaft stellen regelmäßig noch keine für eine Besorgnis der Befangenheit ausreichende nahe persönliche Beziehung dar. Anders ist es aber bei einer engen bzw. langjährigen Freundschaft (BGH NJW-RR 2021, 1360 Rn. 22; BGH NJW-RR 2021, 187 Rn. 12) oder im Fall einer in das familiäre Umfeld des Richters hineinwirkenden Verbundenheit (BGH NJW-RR 2021, 1360 Rn. 22). Ein Richter kann ferner wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn seine Ehegattin als Rechtsanwalt in der Kanzlei tätig ist, die den Gegner vor diesem Richter vertritt (BGH NJW 2012, 1890 = FD-ZVR 2012, 331856 mAmm Elzer). Und so liegt es auch, wenn die Ehegattin des Richters als Sekretärin der Rechtsanwaltskanzlei tätig ist, die den Gegner vor diesem Richter vertritt, wenn aus der Sicht einer verständigen Prozesspartei unter Berücksichtigung der Umstände die Besorgnis besteht, dass der Prozessbevollmächtigte des Gegners auf die Ehefrau und diese wiederum auf den Richter unzulässig Einfluss nimmt (BGH NJW 2019, 516 = FD-ZVR 2018, 411845 (Ls.)).


BGH, Beschluss vom 26.04.2022 - VIII ZR 355/20, BeckRS 2022, 11058