NJW-Editorial
Modernes Einwanderungsrecht?!
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Angesichts der bevorstehenden Verrentung der Baby-Boomer wird Deutschland zukünftig auf viele ausländische Arbeitskräfte angewiesen sein. Nahezu alle Experten sind sich einig, dass wir die Zahl derer, die im Rahmen der geregelten Migration zum Arbeiten zu uns kommen, um den Faktor 4 bis 5 erhöhen müssen, um unseren Wohlstand zu erhalten. Dafür verspricht die Regierungskoalition die Schaffung eines modernen Einwanderungsrechts.

26. Jan 2023

Seit Beginn dieses Jahres gibt das Chancen-Aufenthaltsrecht Menschen, die über die humanitäre Migration nach Deutschland gekommen sind, die Möglichkeit zum Spurwechsel. Wer gut integriert einer Beschäftigung nachgeht, kann als Erwerbsmigrant Karriere machen. In diesen Tagen legt die Regierungskoalition mit dem Punktesystem für eine Chancenkarte nach. Sie soll Menschen mit einem ausländischen qualifizierten Abschluss oder langjähriger Berufserfahrung und entsprechenden Deutschkenntnissen einen attraktiven Weg nach Deutschland eröffnen, um nach der Einreise einen Arbeitsplatz zu suchen. Ein erster Versuch mit einem Punktesystem. Kenner wissen, dass sich allein an das Buzzwort „Punktesystem“ viele politische Hoffnungen knüpfen: Kanada und Großbritannien sind erfolgreich mit Punkten, Flensburg auch.

Aber ob den Ausländerbehörden in Düsseldorf, Frankfurt und Magdeburg, die im vergangenen Jahr durch mangelhafte Erreichbarkeiten und dramatische Schlechtleistungen mediale Berühmtheit erlangt haben, mit Punkten zu helfen sein wird, darf bezweifelt werden. Wer tagtäglich für Fach- und Führungskräfte im Einwanderungsrecht tätig ist, kennt die Probleme des Systems: Zu wenige Visumtermine, fehlende digitale und personelle Infrastruktur in den zuständigen Behörden im In- und Ausland. Eine Umfrage des SWR im vergangenen Jahr hat die bittere Not deutscher Ausländerbehörden offenbart, deren Leitungen mit zu wenig Personal zu viele Vorgänge bei zu häufigen Rechtsänderungen bewältigen müssen. Mehr Vorgänge sind mit der bestehenden behördlichen Infrastruktur nicht zu leisten. Ein modernes Recht ohne Behördenreform ist wie neuer Wein in alten Schläuchen.

Wir brauchen neben dem Punktesystem ein alternatives Einwanderungsverfahren, das die Bedürfnisse der Beschäftigungsbetriebe in den Mittelpunkt stellt. Es sind die hier ansässigen Betriebsstätten, die wir bei der Einstellung ausländischer Talente unterstützen müssen. Das Verwaltungsverfahren muss schnell, effizient und professionell sein und dafür digital und personell gut ausgestattet. Vom Arbeitgeber angeworbene Talente dürfen nicht durch lange Wartezeiten im behördlichen Verfahren zur Konkurrenz in andere Länder getrieben werden. Es sind die Arbeitgeber, auf deren Bedürfnisse wir bei der geregelten Einwanderung abstellen müssen. Alles andere wäre unmodern.

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Bettina Offer, LL.M. (Wisconsin-Madison), ist Rechtsanwältin in Frankfurt a. M..