NJW-Editorial
Mobile Arbeit – Schutz und Freiheit
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Foto_Nathalie_Oberthuer_WEB
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Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) plant seit Längerem die Einführung eines Rechtsanspruchs auf mobile Arbeit und sieht sich durch den Digitalisierungsschub während der Corona-Pandemie darin bestätigt. Nach einem informellen Gesetzentwurf sollen Arbeitnehmer künftig einen Anspruch auf 24 Tage mobile Arbeit im Jahr haben. Ein Ablehnungsrecht des Arbeitgebers soll nur bestehen, wenn die Tätigkeit für mobile Arbeit nicht geeignet ist oder andere betriebliche Gründe entgegenstehen. Versäumt er die rechtzeitige Ablehnung oder begründet er sie nicht hinreichend, soll die mobile Arbeit für sechs Monate vereinbart sein. Eine gute Idee?

29. Okt 2020

Nun mag die Frage berechtigt sein, ob angesichts der in der betrieblichen Praxis tatsächlich zu beobachtenden positiven Entwicklung mobiler Arbeitsformen ein Anspruch von einem Tag mobiler Arbeit alle zwei Wochen eine echte Verbesserung von Arbeitnehmerrechten darstellt. Umgekehrt mag es wenig sachgerecht sein, den von einer pandemiebedingten Wirtschaftskrise ungeahnten Ausmaßes betroffenen Unternehmen den organisatorischen und finanziellen Aufwand zuzumuten, der zur Einrichtung mobiler Arbeitsplätze erforderlich ist, wenn sie dann nur 24 Tage jährlich genutzt werden. Im Koalitionsvertrag jedenfalls ist die Begründung eines Rechtsanspruchs auf mobile Arbeit nicht vorgesehen; dementsprechend, so hört man, habe das Kanzleramt die Ressortabstimmung des Gesetzentwurfs verweigert und die Gesetzesinitiative damit einstweilen zum Stillstand gebracht.

Der politische Streit darüber, ob es einen einklagbaren Anspruch auf mobile Arbeit geben muss, sollte allerdings nicht von der Tatsache ablenken, dass diese schon jetzt weitergehende Schutzmechanismen erforderlich macht. Der Gesetzentwurf enthält dazu einige Regelungsvorschläge, die es verdienen, weiter diskutiert zu werden. So sollen die beim BMAS eingerichteten Arbeitsschutzausschüsse Handlungsempfehlungen für die betriebliche Praxis erarbeiten, wie die Anforderungen des Arbeitsschutzes im Rahmen von mobiler Arbeit sachgerecht erfüllt werden können. Auch die Versicherungslücke, die bei Unfällen auf den Wegen zwischen Homeoffice und Kinderbetreuung noch immer besteht, soll endlich geschlossen werden. Einer Entgrenzung der Arbeitszeit soll durch deren Erfassung entgegengewirkt werden. Wollte man all dies noch mit arbeitszeitrechtlichen Regelungen verbinden, die auch die flexible Gestaltung der Arbeitszeit bei mobiler Arbeit erlauben, um beispielsweise Kinderbetreuung und Angehörigenpflege zu erleichtern, so hätte man einen rechtlichen Rahmen geschaffen, der für Arbeitnehmer neben dem gebotenen Schutz auch die gewünschte Freiheit bietet – für, so lautet eine Kernbotschaft des Gesetzentwurfs, „Arbeit, die zum Leben passt“. •

Dr. Nathalie Oberthür ist Fachanwältin für Arbeitsrecht und für Sozialrecht in Köln sowie Mitherausgeberin der NJW.