Urteilsanalyse
Mitteilung des Median-Entgelts im Auskunftsverfahren nach §§ 10 ff. EntgTranspG kann eine Entgeltbenachteiligung indizieren
Urteilsanalyse
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Klagt eine Frau auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit (Art. 157 AEUV, §§ 3 I, 7 EntgTranspG), begründet nach Ansicht des BAG der Umstand, dass ihr Entgelt geringer ist als das vom Arbeitgeber nach §§ 10 ff. EntgTranspG mitgeteilte Vergleichsentgelt (Median-Entgelt) der männlichen Vergleichsperson(en), regelmäßig die – vom Arbeitgeber widerlegbare – Vermutung, dass die Benachteiligung beim Entgelt wegen des Geschlechts erfolgt ist.

4. Aug 2021

Anmerkung von
RA Dr. Steffen Krieger, Gleiss Lutz, Düsseldorf

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 30/2021 vom 29.07.2021

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Sachverhalt

Die Klägerin ist bei der Beklagten als Abteilungsleiterin beschäftigt. Sie beantragte die Erteilung einer Auskunft nach § 11 EntgTranspG. In der ihr zuletzt erteilten Auskunft wurde mitgeteilt, der statistische Median des durchschnittlichen Grundentgelts und der übertariflichen Zulage der männlichen Abteilungsleiter liege jeweils höher als das ihr gezahlte Entgelt. Mit der Klage nimmt die Klägerin die Beklagte auf Zahlung der Differenz zwischen dem ihr gezahlten Entgelt und den jeweils mitgeteilten Beträgen in Anspruch. Das ArbG hat der Klage stattgegeben. Das LAG hat die Klage abgewiesen.

Entscheidung

Die Revision der Klägerin hatte Erfolg. Nach Ansicht des BAG folgt der Anspruch auf gleiches Entgelt aus dem direkt anwendbaren Art. 157 AEUV sowie aus §§ 3 I, 7 EntgTranspG. Die Klägerin habe eine unmittelbare Entgeltbenachteiligung i.S.v. § 3 II 1 EntgTranspG erfahren, weil die Beklagte ihr ein geringeres monatliches Grundentgelt und eine geringere monatliche übertarifliche Zulage gezahlt hat als den bei ihr beschäftigten Vergleichspersonen. Dies folge aus der von der Beklagten erteilten Auskunft. Danach seien die maßgeblichen Vergleichspersonen die männlichen Abteilungsleiter, die jeweils das von der Beklagten mitgeteilte Vergleichsentgelt (Median-Entgelt) beziehen. In der Angabe des Vergleichsentgelts als Median-Entgelt durch einen Arbeitgeber liege zugleich die Mitteilung der maßgeblichen Vergleichsperson(en). Dies folge aus Sinn und Zweck der Bestimmungen über das Auskunftsverlangen nach §§ 10 ff. EntgTranspG in unionsrechtskonformer Auslegung. Der Umstand, dass die Beklagte der Klägerin ein geringeres Entgelt gezahlt hat als den männlichen Vergleichspersonen, begründe die – von der Beklagten widerlegbare – Vermutung i.S.v. § 22 AGG, dass die Klägerin die unmittelbare Entgeltbenachteiligung i.S.v. § 3 II 1 EntgTranspG wegen des Geschlechts erfahren hat. Der/Die Beschäftigte müsse nach den unionsrechtlichen Vorgaben zur Begründung der Kausalitätsvermutung i.S.v. § 22 AGG nur darlegen und im Bestreitensfall beweisen, dass sein/ihr Arbeitgeber ihm/ihr ein niedrigeres Entgelt zahlt als seinen/ihren zum Vergleich herangezogenen Kollegen des anderen Geschlechts und dass er/sie die gleiche oder eine gleichwertige Arbeit verrichtet. Ist dem/der Beschäftigten dies gelungen, reiche dies – auch unter Berücksichtigung des Gebots der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts – aus, um die Vermutung i.S.v. § 22 AGG zu begründen, dass die Entgeltungleichbehandlung wegen des Geschlechts erfolgt und damit eine umgekehrte Beweislast herbeizuführen. Nach § 22 AGG bleibe die Auseinandersetzung mit der Aussagekraft einer erteilten Auskunft für eine Entgeltdiskriminierung wegen des Geschlechts dem Arbeitgeber im Rahmen seiner Darlegungs- und Beweislast nach § 22 AGG überlassen, indem er darlegt und im Bestreitensfall beweist, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist.

Praxishinweis

Die Entscheidung stärkt die Bedeutung des Auskunftsanspruchs nach dem EntgTranspG. Im Ergebnis führt eine Auskunft, nach der das Median-Entgelt höher ist als das Entgelt des die Auskunft verlangenden Arbeitnehmers zu einer Umkehr der Beweislast für den Anspruch auf Entgeltgleichheit.

Zu den Darlegungen, die vom Arbeitgeber zur Widerlegung der Vermutung einer Benachteiligung wegen des Geschlechts erwartet werden, führt das BAG im Urteil aus, der Arbeitgeber habe vorzutragen und zu beweisen, dass die festgestellte unterschiedliche Vergütung durch objektive Faktoren wie z.B. das Dienstalter, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben, zu erklären ist und dass die Ungleichbehandlung auch tatsächlich ausschließlich auf anderen Gründen als dem unterschiedlichen Geschlecht der Arbeitnehmer beruht. Auf Kriterien und Faktoren, die im Ergebnis Frauen stärker nachteilig betreffen als Männer, könne eine Entgeltdifferenzierung nur gestützt werden, wenn sie der Art der Arbeit geschuldet sind und zu den (legitimen) Bedürfnissen und Zielen des Unternehmens in Beziehung stehen.

BAG, Urteil vom 21.01.2021 - 8 AZR 488/19 (LAG Niedersachsen), BeckRS 2021, 550