Urteilsanalyse
Mitbestimmung bei der Einführung eines freiwilligen Personalfragebogens
Urteilsanalyse
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Der Personalrat hat ein Mitbestimmungsrecht auch in Bezug auf solche Personalfragebögen, deren Nutzung den Betroffenen freigestellt ist. Dies gilt - so das BVerwG - jedenfalls, wenn die Nutzer mit der Beantwortung des Personalfragebogens eigene Interessen verfolgen und sich zur Vermeidung von Nachteilen womöglich gezwungen fühlen, die erbetenen Angaben zu machen (z.B. im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens).

29. Nov 2021

Anmerkung von
RAin Dr. Eva Holstermann-Heup, LL.M. (Wellington), Gleiss Lutz, München

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 47/2021 vom 25.11.2021

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Sachverhalt

Der Personalrat für das nichtwissenschaftliche Personal des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE), macht Mitbestimmungsrechte bei der Einführung eines elektronischen Bewerbermanagementsystems geltend. Das UKE führte im August 2014 – zunächst im Probebetrieb und später für alle Bereiche im Dauerbetrieb – ohne Beteiligung des Personalrats ein elektronisches Bewerbermanagementsystem ein. Das System enthält eine abtrennbare Komponente „Kandidatenprofil“, über das auf mehreren Registerkarten personenbezogene Angaben der Bewerber, z.B. zu Ausbildung, Berufserfahrung, Qualifikationen und Präferenzen, abgefragt werden. Die Bewerber können selbst bestimmen, welche dieser Fragen sie beantworten möchten. Zudem steht es ihnen frei, Bewerbungen nicht über das Bewerbermanagementsystem, sondern auf anderem Wege einzureichen. Der Personalrat begehrt Feststellung, dass das UKE u.a. sein Mitbestimmungsrecht bei der Bestimmung des Inhalts von Personalfragebögen (§ 88 I Nr. 23 HmbPersVG) verletzt habe. Das VG hat dem Antrag stattgegeben. Auf die Beschwerde des UKE hat das OVG den Beschluss des VG, soweit dieser mit Blick auf die Einführung der Komponente „Kandidatenprofil“ eine Verletzung des Mitbestimmungsrechts gem. § 88 I Nr. 23 HmbPersVG feststellt, bestätigt. Die dagegen vom UKE eingelegte Rechtsbeschwerde hatte keinen Erfolg.

Entscheidung

Das BVerwG teilt die Auffassung des OVG, dass dem Personalrat bei der Einführung der abtrennbaren Komponente „Kandidatenprofil“ des Bewerbermanagementsystems ein Mitbestimmungsrecht gem. § 88 I Nr. 23 HmbPersVG zusteht. Unstreitig handelt es sich bei der Komponente „Kandidatenprofil“ um einen Personalfragebogen i.S.d. Personalvertretungsrechts. Die Grundsatzfrage, mit der sich das BVerwG in seiner Entscheidung auseinandersetzten musste, ist, ob das Mitbestimmungsrecht des Personalrats dadurch ausgeschlossen ist, dass den Bewerbern die Verwendung des Personalfragebogens freigestellt ist. Dies verneint das BVerwG:

Der Personalrat hat gem. § 88 I Nr. 23 HmbPersVG mitzubestimmen bei der „Bestimmung des Inhalts“ von Personalfragebögen. Anknüpfungspunkt für die Mitbestimmung ist daher die Erstellung des Personalfragebogens, nicht dessen spätere Verwendung.

Soweit die Einwilligung der Betroffenen – als solche wäre die freiwillige Verwendung des Personalfragebogens nach Ansicht des BVerwG zu qualifizieren – die Mitbestimmung ausschließen soll, ist dies im HmbPersVG ausdrücklich geregelt. Da § 88 I Nr. 23 HmbPersVG eine solche Einschränkung nicht enthält, ist im Umkehrschluss davon auszugehen, dass das Mitbestimmungsrecht auch im Falle einer Einwilligung der Betroffenen eingreifen soll.

Der Schutzzweck des Mitbestimmungsrechts bzgl. der Personalfragebögen besteht darin, den Schutz der Persönlichkeitsrechte der Beschäftigten und Bewerber zu verstärken und sie präventiv vor unzulässigen Fragen des Arbeitgebers zu schützen. Vor diesem Hintergrund kann es nicht darauf ankommen, ob die Verwendung des Personalfragebogens freiwillig ist.

Praxishinweis

§ 88 I Nr. 23 HmbPersVG ist dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gem. § 94 I 1 BetrVG nachgebildet. Es stellt sich daher zwangsläufig die Frage, ob die Entscheidung des BVerwG auch für das Betriebsverfassungsrecht richtungsweisend ist. Das BAG hat in zwei Beschlüssen zu einer anonymen Mitarbeiterbefragung ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats abgelehnt, weil die Teilnahme (strikt) freiwillig ausgestaltet war (BeckRS 2017, 141691; BeckRS 2018, 40730). Mit diesen Beschlüssen setzt sich auch das BVerwG auseinander und betont, dass den vom BAG entschiedenen Fällen ein anderer Sachverhalt zugrunde lag. Anders als im Falle einer freiwilligen, anonymisierten Mitarbeiterbefragung, bei der die (Nicht-)Teilnahme keine Konsequenzen für die Beschäftigten i.S.e. Vor- oder Nachteils habe, verfolgen Bewerber in einem Bewerbungsverfahren eigene Interessen und können sich zur Vermeidung von Nachteilen bzw. zur Steigerung der Erfolgsaussichten trotz Freiwilligkeit gezwungen fühlen, im „Kandidatenprofil“ die erbetenen Angaben zu machen. Es bleibt abzuwarten, ob die Arbeitsgerichte sich dem BVerwG anschließen werden.

BVerwG, Beschluss vom 29.07.2021 - 5 P 2.20 (OVG Hamburg), BeckRS 2021, 31843