NJW-Editorial
Mit zweierlei Maß
NJW-Editorial

Immer wieder hat sich der BGH mit der praktischen Handhabung der Regelung zum Einzelrichter in § 568 ZPO zu befassen. In einer neuen Entscheidung wendet er dabei für sich einen anderen Maßstab an als für die Beschwerdegerichte. Das ist bemerkenswert.

21. Jun 2024

Immer wieder hat sich der BGH mit der praktischen Handhabung der Beschwerde­gerichte zu der Regelung zum Einzelrichter in § 568 ZPO zu befassen. Oftmals hat der Einzelrichter beim Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde zugelassen mit der Folge, dass der BGH die Entscheidung aufgehoben und die Sache an das Beschwerdegericht zurückverwiesen hat, weil es durch die Entscheidung gleichzeitig die grundsätzliche Bedeutung (als Voraussetzung zur Übertragung auf die Kammer) verneint und (als ­Voraussetzung für die Zulassung der Rechtsbeschwerde) bejaht hatte; der BGH hat dies als Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters angesehen.

In ­einem neueren Beschluss vom 23.4.​2024 (VIII ZB 75/23, BeckRS 2024, 11150) hat der VIII. Zivilsenat beanstandet, dass die vollbesetzte Kammer des Beschwerdegerichts das Beschwerdeverfahren auf sich selbst übertragen hat, wozu nach § 568 S. 2 ZPO aber nur der Einzelrichter befugt ist. Das Beschwerdegericht habe nicht in der vorschriftsmäßigen Besetzung entschieden. Insoweit überrascht die Entscheidung nicht. Denn ein vollbesetztes Kollegium, welches anstelle eines zuständigen Einzelrichters entschieden hat, kann nicht als ein „besseres Gericht“ angesehen werden (vgl. schon BVerfG, NJW-RR 2010, 268).

Bemerkenswert ist die Entscheidung aber, weil sie unterschiedliche Maßstäbe an die Einzelrichtervorschriften für Beschwerdegerichte bzw. für den BGH anzulegen scheint. Denn der VIII. Zivilsenat hat – durch den vollbesetzten Senat – in seiner Entscheidung in diesem gerichtsgebührenfreien Rechtsbeschwerdeverfahren einen Gegenstandswert (für Rechtsanwaltsgebühren) festgesetzt. Doch hat schon vor mehr als zwei Jahren der Große Senat für Zivilsachen des BGH entschieden, dass für die Gegenstandswertfestsetzung nach § 33 I RVG der Einzelrichter beim BGH in Anwendung von §§ 33 VIII 1, 1 III RVG zur Entscheidung berufen ist (NJW 2021, 3191).

Warum sich nun der VIII. Zivilsenat nicht an der Entscheidung des Großen Zivilsenats orientiert, erörtert er nicht. Er klärt auch nicht auf, weshalb der vollbesetzte Senat beim BGH eine Einzelrichterzuständigkeit an sich ziehen kann, diese Befugnis einem Beschwerdegericht aber nicht zusteht. Überlegenswert hätte zwar sein können, von den vom Großen Zivilsenat vorgegebenen Maßstäben abzuweichen, weil die Gegenstandswertfestsetzung mit einer Hauptsacheentscheidung verbunden wird. Solche pragmatischen – jedoch gegen klare gesetzliche Zuständigkeitsregelungen verstoßenden – Überlegungen hat der VIII. Zivilsenat zu § 568 ZPO klar und völlig zu Recht ­verworfen. Nichts anderes hat aber auch für die vom BGH in seinen Verfahren anzuwendenden Einzelrichtervorschriften zu gelten.

Dieser Inhalt ist zuerst in der NJW erschienen. Sie möchten die NJW kostenlos testen? Jetzt vier Wochen gratis testen inkl. Online-Modul NJWDirekt.

Peter Fölsch ist Vorsitzender Richter am LG Lübeck.