Interview
Mit Recht gegen den Klimawandel
Interview
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© Frederick Vidahl

Was können Juristinnen und Juristen für den Klimaschutz tun? Eine Menge, meint Ida Westphal, eine von rund 100 Lawyers for Future, einer Initiative, die den Klimawandel auch mit rechtlichen Mitteln begrenzen will. Wir haben uns mit der Expertin in Sachen Umweltschutz nicht nur über Klimaklagen und die Ziele ihres Vereins unterhalten, sondern wollten auch wissen, wie der Klimaschutz unser Rechtssystem verändern wird.

12. Mai 2021

NJW: Sie sind Mitinitiatorin von Lawyers for Future, einer Gruppe von Juristinnen und Juristen, die die Forderungen von Fridays for Future unterstützen. Wie kam es zu der Initiative und was genau macht das Netzwerk?

Westphal: Anlass unseres Zusammenschlusses war der globale Klimastreik der Fridays for Future-Bewegung im September 2019. Im Vorfeld hatten sich verschiedene Gruppen mit Fridays for Future (FFF) solidarisiert, zum Beispiel die Scientists for Future. Mit anderen, vor allem im Umweltrecht tätigen Anwälten und Anwältinnen, haben wir uns als Lawyers for Future zusammengeschlossen. Wir wollten damit ausdrücken, dass Juristinnen und Juristen bei der Umsetzung der Forderungen von FFF eine Rolle spielen können und müssen. Bisher konnten wir bei unterschiedlichsten Fragestellungen juristische Unterstützung leisten, und vor Kurzem haben wir uns auch als Verein konstituiert.

NJW: Was können Juristen für den Klimaschutz tun?

Westphal: Sie können auf vielfältige Art und Weise den Klimaschutz voranbringen. Bei genauerem Hinsehen lassen sich sehr viele Rechtsbereiche kritisch auf ihr Potenzial für mehr Umwelt- und Klimaschutz hinterfragen. Mir wurde dies vor einigen Jahren bewusst, als ich von den Auswirkungen der zivilrechtlichen Regelungen zu Kauf und Gewährleistung auf den Ressourcenverbrauch hörte. Das heißt, Juristinnen und Juristen, denen der Umwelt- und Klimaschutz wichtig ist, können zunächst einfach bei den Rechtsgebieten anfangen, mit denen sie sich ohnehin beschäftigen. Bei den Lawyers for Future gibt es darüber hinaus viele Menschen, die mit ihrer Unterstützung ausdrücken wollen, dass ihnen der Umwelt- und Klimaschutz sowie die Anliegen von FFF wichtig sind. Viele von ihnen setzen sich auch außerhalb ihres Berufs im Privaten für Umwelt- und Klimaschutz ein.

NJW: Auch wenn Sie nicht anwaltlich tätig sind: Können Sie sich vorstellen, dass sich das Engagement fürs Klima auf die anwaltliche Tätigkeit auswirken kann, etwa dass es neue Mandate beschert?

Westphal: Mit einer zunehmenden Bedeutung von umwelt- und klimaschutzrechtlichen Fragestellungen wird es sicher auch einen höheren Bedarf an entsprechenden Kenntnissen bei Anwältinnen und Anwälten geben. Die Unterstützung der Lawyers for Future ist aber kein Geschäftsmodell. Es ist vielmehr beeindruckend zu sehen, wie viele sich bei uns neben ihrer eigentlichen Arbeit etwa in Kanzleien, in Unternehmen oder an Universitäten und mit ihren besonderen Rechtskenntnissen ehrenamtlich einbringen. Und umgekehrt ist es so, dass Rechtsberatung zu klimaschädlichen Aktivitäten ein anwaltliches Betätigungsfeld ist, das meiner Meinung nach deutlich zu wenig diskutiert wird. Eine solche Debatte wird aber langsam angestoßen, etwa durch ein vor Kurzem von Studierenden veröffentlichtes Ranking der „klimaschädlichsten“ Kanzleien der USA.

NJW: Gehört der Klimaschutz (explizit) ins Grundgesetz, wie es zuletzt die Grünen-Politiker Katja Meier und Till Steffen gefordert haben?

Westphal: Die Frage lässt sich nur mit einem eindeutigen „Ja“ beantworten. Es gibt mittlerweile mehrere Vorschläge, wie der Klimaschutz über die Staatszielbestimmung in Art. 20a hinaus im Grundgesetz stärker gemacht werden kann – sei es über ein neues Grundrecht in der EU-Grundrechtecharta, einer Ergänzung der Staatsstrukturprinzipien für einen ökologischen Bundesstaat oder die Lockerung der Schuldenbremse für den Klimaschutz im Grundgesetz. Wichtig finde ich persönlich dabei, davon wegzukommen, die Natur nur im Hinblick auf ihren Nutzen für uns Menschen zu bewerten und zu schützen. Denn dies ist Teil des Problems, das zur Klimakrise geführt hat.

NJW: Zuletzt hat der EuGH eine sogenannte Klimaklage mangels persönlicher Betroffenheit abgewiesen. Andere Entscheidungen sind ähnlich ausgefallen. Müssen die Gerichte so entscheiden?

Westphal: Die gerichtlichen Entscheidungen zu sogenannten Klimaklagen fallen unterschiedlich aus. Dies ist wenig überraschend. Schließlich sind sie trotz ähnlicher Grundfragen auch immer anders gelagert und werden in unterschiedlichen Rechtsordnungen entschieden. Zunehmend wird aber anerkannt, dass unzureichender Klimaschutz auch Grund- und Menschenrechte verletzen kann. In dem Urgenda-Fall in den Niederlanden hat dies dazu geführt, dass die Niederlande den Ausstoß von Treibhausgasen stärker reduzieren muss. Auch in dem sogenannten People’s Climate Case, auf den Sie in Ihrer Frage anspielen, haben die Gerichte anerkannt, dass wir alle mehr oder weniger direkt von den Folgen der Klimakrise betroffen sind. Der Fall zeigt aber, dass bei der Frage, welche rechtlichen Konsequenzen daraus entstehen, noch vieles offen ist. Denn paradoxerweise ist genau die Tatsache, dass sehr viele Menschen betroffen sind, der Grund, warum die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil des EuG in diesem Fall abgewiesen wurde.

NJW: Ist deshalb der Gesetzgeber gefragt?

Westphal: Gerichte können politische Entscheidungen nicht ersetzen, aber sie können aufzeigen, wo die Grenze zur Rechtsverletzung erreicht ist, wie etwa im erwähnten Urgenda-Fall. Auch im People’s Climate Case lagen die Klägerinnen und Kläger in der Sache genau richtig – das EU-Klimaziel, gegen das sie vorgegangen sind, wurde mittlerweile verschärft. Es geht nicht ohne den Gesetzgeber. Er ist aber vor allem auch gefragt, um die Herausforderung zu bewältigen, beim Klimaschutz soziale Gerechtigkeit als wesentlichen Teil der Maßnahmen mitzudenken. Denn der Klimawandel trifft strukturell benachteiligte Menschen früher und schwerer.

NJW: In welchen Rechtsgebieten wünschen Sie sich eine stärkere Berücksichtigung des Klimaschutzes?

Westphal: Umwelt- und Klimaschutz stellen viele Bereiche unserer derzeitigen Lebensweise, vor allem unseren Konsum, in Frage. Insofern gibt es auch eine Vielzahl von Rechtsbereichen, in denen der Klimaschutz Berücksichtigung finden kann und muss. Dies gilt einerseits für nur auf den ersten Blick fernliegende Bereiche, wie das Arbeitsrecht und Regelungen zu Dienstreisen, oder das Steuerrecht sowie die Frage, welche Anreize hierüber gesetzt werden. Andererseits besteht auch im Umweltrecht selbst Nachholbedarf. Viel zu oft hält es den Status quo von umwelt- und klimaschädlichen Tätigkeiten aufrecht. Zwar sind positive Entwicklungen durchaus erkennbar, wie beispielsweise die Berücksichtigungspflicht der Klimaziele im Klimaschutzgesetz oder die Anerkennung des Zusammenhangs zwischen Auswirkungen des Klimaschutzes und dem Habitatschutz durch das Bundesverwaltungsgericht. Aber es fehlt etwa an klaren Regeln dazu, wie Klimaziele konkret auf die Ebene einzelner Vorhaben übersetzt werden müssen und welche Folgen dies in den jeweiligen Verfahren haben muss.

NJW: Auf Ihrer Homepage schreiben die Lawyers for Future, der Klimaschutz werde auch das Rechtssystem grundlegend verändern. Inwiefern?

Westphal: Das Recht muss nachvollziehen, was es bedeutet, dass wir uns in einer Situation befinden, in der der Fortbestand des Lebens auf unserem Planeten in der Form, wie wir es kennen, akut bedroht ist. In weniger als drei Jahrzehnten wollen wir unsere Gesellschaft treibhausgasneutral organisieren. Dies wird zwangsläufig auch zu Umbrüchen im Recht führen müssen, das ja gerade das Bestehende aus gutem Grund besonders schützt. Die Herausforderung ist, in dieser Situation zukunftsfähige Lösungen zu finden und umzusetzen und gerade nicht weiterzumachen wie bisher. Als Lawyers for Future wollen wir die Zukunft im Sinne des Umwelt- und Klimaschutzes aktiv mitgestalten – wie es ja auch die Fridays for Future mit Nachdruck fordern. •

Ida Westphal ist Vorsitzende des Vereins Lawyers for Future. Ihr Studium absolvierte die aus Norddeutschland stammende Juristin an den Universitäten Potsdam und Paris-Nanterre. Berufserfahrung sammelte sie nach dem Ersten Staatsexamen im Bundeslandwirtschaftsministerium, als Referendarin in Berlin bei einer überregional tätigen Umweltrechtskanzlei sowie bei verschiedenen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Seit 2018 arbeitet Westphal im deutschen Büro von ClientEarth, einer NGO, die sich dem Schutz von Mensch und Umwelt mit den Mitteln des Rechts verschrieben hat.

Interview: Dr. Monika Spiekermann.