Anmerkung von
Rechtsanwältin Dr. Doris-Maria Schuster, Gleiss Lutz, Hamburg
Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 13/2021 vom 01.04.2021
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Sachverhalt
Die rumänischen Behörden erstatten der Akademie für wirtschaftswissenschaftliche Studiengänge in Bukarest aus einem europäischen Finanzierungsprogramm Gehaltskosten für als Sachverständige tätige Arbeitnehmer. Wegen der Überschreitung der Höchstarbeitszeit lehnten sie die Erstattung nach einem Antrag der Akademie mit dem Argument ab, die Sachverständigen hätten von Oktober 2012 bis Januar 2013 aufgrund von mehreren Arbeitsverträgen mit demselben Arbeitgeber an bestimmten Tagen die zulässige Obergrenze überschritten. Rechne man die Regelarbeitszeit, d.h. 8 Stunden pro Tag, mit den im Rahmen des Projekts oder im Rahmen von anderen Projekten oder Tätigkeiten gearbeiteten Stunden zusammen, so überschreite die Gesamtzahl der pro Tag geleisteten Arbeitsstunden für Sachverständige die vorgesehene Obergrenze von 13 Stunden pro Tag, Nach den Anweisungen der das Projekt verwaltenden Behörde sei dies unzulässig und das Gehalt deshalb nicht erstattungsfähig.
Die Akademie klagte auf Erstattung. Das sich damit befassende Landgericht Bukarest (Tribunalul Bucuresti) fragte den EuGH, ob die Mindestruhezeit in Art. 3 der RL 2003/88/EG für jeden der Arbeitsverträge separat zu betrachten und zu berechnen oder aber einheitlich für alle Verträge kumuliert zu betrachten ist. Sprich: Kommt es für die Beachtung der Ruhezeit auf den jeweiligen Arbeitsvertrag oder auf den Arbeitnehmer an?
Entscheidung
Der EuGH legt Art. 3 der Richtlinie so aus, dass die Arbeitsverträge, die ein Arbeitnehmer mit seinem Arbeitgeber geschlossen hat, für die Frage, ob die tägliche Ruhezeit eingehalten ist, kumulativ zu betrachten sind. Ruhezeit i.S.d. Richtlinie sei nur der Zeitraum, der keine Arbeitszeit darstellt. Da die Arbeit aufgrund weiterer Arbeitsverträge ebenfalls Arbeitszeit darstellt, würde die Ruhezeit nicht eingehalten. Dies ergibt sich zum einen aus einer Konkretisierung des Art. 31. II GRC als Regel des Sozialrechts durch Art. 3 der RL 2003/88/EG. Zudem folge es aus dem Wortlaut der Richtlinie, die „jedem Arbeitnehmer pro 24-Stunden-Zeitraum eine Mindestruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden gewährt.“.
Für dieses Ergebnis sprechen zudem teleologische Erwägungen, weil der Arbeitnehmer das schwächere Glied in einem Arbeitsverhältnis und die Missbrauchsgefahr deshalb bei differenzierter Betrachtung zu groß sei.
Praxishinweis
Das Ergebnis ist klar und in der Sache richtig. Die Regeln zur Ruhezeit können nicht dadurch umgangen werden, dass ein Arbeitgeber mit seinem Mitarbeiter mehrere Arbeitsverträge schließt. Bereits 1959 stellte das BAG die Nichtigkeit eines weiteren Arbeitsverhältnisses fest, wenn bei der Zusammenrechnung der geschuldeten Arbeitszeit die Ruhezeit nicht eingehalten werden kann (BAG, NJW 1959, 2036). Das Zusammenrechnen der Arbeitszeiten aus Arbeitsverhältnissen mit unterschiedlichen Arbeitgebern ist seit 1994 in § 2 I 1 ArbZG kodifiziert. Dies hat der EuGH nun auch für mehrere Arbeitsverträge beim gleichen Arbeitgeber klargestellt.
Jede andere Entscheidung des meist zu strengen EuGH hätte verwundert.