NJW-Editorial
Mindestlohn für Pflichtverteidiger
NJW-Editorial

Das OLG Frankfurt a.M. hat in einem jetzt bekannt gewordenen Beschluss (v. 7.3.​2024 – 2 Ars 10/22, BeckRS 2024, 9513) einem der vom Gericht bestellten ­Verteidiger im „Lübcke-Verfahren“ eine Gebühr in Höhe von 41.000 Euro zugesprochen. Die Anwendbarkeit des § 51 I 1 RVG, also die Zuerkennung einer höheren Pauschgebühr, hat der Senat indes abgelehnt. Letzteres ist im Hinblick auf den Verfahrensumfang mit 244 Bänden Ermittlungsakten und 45 Hauptverhandlungsterminen in sieben Monaten auch aus Sicht eines nicht als Strafverteidiger tätigen Anwalts, der also unverdächtig ist, in dieser Sache pro domo zu schreiben, in hohem Maße realitätsfern.

21. Aug 2024

Der Antragsteller hatte die Pauschgebühr mit dem Umfang und der Schwierigkeit des Verfahrens begründet. Sein Mandant sei wegen psychischer Beihilfe zum Mord angeklagt gewesen. Es habe sich um den ersten Prozess mit einer vergleichbaren Motivation seit der Ermordung von Reichsaußenminister Rathenau 1922 gehandelt. Er habe mehrere Tage gebraucht, um das alte Reichsgerichtsurteil zu finden, das nicht in den gängigen Archiven aufbewahrt werde. Auf seine Kanzlei sei neben anderen Feindseligkeiten ein Farbanschlag verübt worden, weshalb ihm unter anderem der Mietvertrag gekündigt worden sei.

Auch wenn man dem OLG zugestehen muss, dass der Zweck einer Pauschgebühr nicht darin bestehen kann, als Entschädigung für außerprozessuale Widrigkeiten zu dienen, erscheinen 41.000 Euro für das Durcharbeiten von 244 Bänden Ermittlungsakten und die Vor- und Nachbearbeitung sowie Wahrnehmung von 45 Hauptverhandlungstagen völlig unangemessen. Selbst wenn man für das Sichten der Ermittlungsakten nur zwei Stunden pro Band in Ansatz bringen würde, wären das 488 Stunden. Und wenn man von einer durchschnittlichen Dauer der Hauptverhandlung von nur fünf Stunden pro Tag ausgehen und jeweils nur eine Stunde Vorbereitungs- und Nachbereitungszeit zugrunde legen würde, käme man auf 270 Stunden, insgesamt also 758 Stunden. Teilte man die 41.000 Euro durch 758 Stunden, ergäbe sich ein Stundensatz von 54 Euro. Das ist deutlich weniger, als nach dem Preisatlas Handwerk für eine Gesellenstunde am Bau zu zahlen ist (61 Euro).

Der offenkundig wirklichkeitsfremde Maßstab, den (nicht nur) das Oberlandesgericht bei der Quantifizierung des Sonderopfers, das Pflichtverteidiger zu erbringen haben, ansetzt, kann eine doppelte Rechtsverletzung bedeuten: Zum einen kann bei derar­tigen Fallkonstellationen den als Pflichtverteidigern tätigen Kolleginnen und Kollegen durch wirtschaftliche Zwänge die Möglichkeit genommen werden, ihren Beruf gemäß der Pflicht aus § 43 S. 1 BRAO gewissenhaft auszuüben. Zum anderen kann hierdurch Beschuldigten, die auf einen Pflichtverteidiger angewiesen sind, die Möglichkeit einer hinreichend effektiven Verteidigung vorenthalten werden.

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Prof. Dr. Wolfgang Ewer ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht in Kiel ​sowie Mitherausgeber der NJW.