NJW-Editorial
Menschenrechte vs. Bürokratieabbau?
NJW-Editorial

Wenn man Aussagen von Vertretern der Ampelkoalition liest, gewinnt man den Eindruck, dass die Menschenrechte dem Bürokratieabbau im Weg stehen. Ist das so, oder dient das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) nur als Projektionsfläche für Spiegelfechtereien der politischen Akteure?

25. Jul 2024

Zumindest scheint das LkSG-Bashing als Allheilmittel für die Bekämpfung vieler Missstände zu dienen, ohne dass die Beteiligten auf Kollateralschäden Rücksicht nehmen. So haben beispielsweise das Bundeswirtschafts- und das Bundesarbeitsministerium sowie das Bundesamt für Wirtschaft und Ausführkontrolle am 29.4.​2024 zum zweiten Mal über die FAQs die Abgabefrist für die LkSG-Berichte faktisch verlängert und verkündet, dass das BAFA erst ab dem 1.1.​2025 überprüfen werde, ob die fälligen Berichte vorliegen. Die Gesetzesadressaten werden quasi zum Gesetzesbruch eingeladen, da sie eigentlich verpflichtet sind, spätestens vier ­Monate nach Schluss des Geschäftsjahres einen solchen Bericht einzureichen.

Bei der Lektüre der in der vergangenen Woche von der Bundesregierung beschlossenen „Wachstumsinitiative für Deutschland“ kann man zum Schluss kommen, dass die Nichterfüllung der LkSG-Berichtspflicht nun gänzlich sanktionslos bleibt. Des Weiteren wird angekündigt, die europäische Lieferkettenrichtlinie, die CSDDD, kurzfristig so umzusetzen, dass das LkSG für zwei Drittel der in den Anwendungsbereich fallenden Unternehmen vorübergehend ausgesetzt wird und zunächst nur für Unterneh­men mit mehr als 5.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von mehr als 1,5 Mrd. Euro gelten soll. Dies entspräche mehr oder weniger, so genau ist das Eckpunktepapier nicht, der Anzahl der Unternehmen, die anfänglich unter die CSDDD fallen würden. Laut dem Bundesjustizministerium könnte man so die Richtlinie bürokratiearm, ohne Verstoß gegen das in der Richtline enthaltene Verschlechterungsverbot umsetzen. Das Argument ist aber fadenscheinig. Wenn der Bürokratieabbau wirklich im Vordergrund stünde, hätte die Ampel der Initiative der CDU/CSU-Fraktion zur Aufhebung des LkSG am 14.6.​2024 zustimmen können, um so alle und nicht nur bestimmte Unternehmen zu entlasten. Ebenso könnte man Entlastungen durch eine Verkürzung der Dokumentationsfrist oder durch die Reduzierung der LkSG-Berichtspflicht erreichen.

Unabhängig davon stellt sich die Frage, ob so den Unternehmen wirklich geholfen wird. Über Verhaltenskodizes haben sich viele von ihnen schon jetzt zur Einhaltung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen zu verantwortungsvollem Handeln verpflichtet. Sie bilden das Grundgerüst der im LkSG sowie in der CSDDD enthaltenen Sorgfaltspflichten. Ebenso sind diese Leitsätze integraler Bestandteil der Taxonomie, der Batterie-, Konfliktmineralien- und Zwangsarbeitsverordnung. Damit sind sie relevant für nahezu alle produzierenden Unternehmen. Das „Eindampfen des LkSG“, wie es einer der Ampelkoalitionäre feiert, ist reiner Aktionismus, ein Pyrrhussieg auf dem ­Rücken der Menschenrechte, verunsichert Unternehmen und beschädigt das Vertrauen in den Rechtsstaat.

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Michael Wiedmann, maître en droit, ist Rechtsanwalt in Essen.