Anmerkung von
Richter am KG Dr. Oliver Elzer, Berlin
Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 02/2021 vom 22.01.2021
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Sachverhalt
Wohnungseigentümerin K verlangt von Wohnungseigentümer B Schadensersatz wegen der Rodung einer Weide und eines Holunderstrauchs. Das AG weist die Klage ab. In der AG-Rechtsmittelbelehrung wird die sofortige Beschwerde als zulässiger Rechtsbehelf bezeichnet. K legt daher beim LG Stade Rechtsmittel ein, das dort allerdings als Berufung angesehen wird. Das LG Stade hält sich insoweit für unzuständig. Es handele sich um eine WEG-Streitigkeit iSv § 43 Nr. 1 WEG aF. Gem. § 72 II GVG sei daher das LG Lüneburg zuständig. K teilt mit, sie habe jetzt auch beim LG Lüneburg Berufung eingelegt. Dieses Verfahren sei noch nicht abgeschlossen. Das LG Stade verwirft die Berufung vor diesem Hintergrund „vor dem LG Stade“ als unzulässig. Mit der Rechtsbeschwerde möchte K eine Sachentscheidung herbeiführen.
Entscheidung: Das LG Stade hätte die Sache an das LG Lüneburg verweisen müssen!
Es handele sich zwar nach § 43 Nr. 1 WEG aF um eine WEG-Streitigkeit für die nach § 72 II GVG das LG Lüneburg zuständig sei. Das LG Stade habe nach K’s Mitteilung die Berufung aber nicht gem. § 522 I ZPO verwerfen dürfen. Denn der unterlegenen Partei stehe gegen ein erstinstanzliches Urteil nur ein einziges Rechtsmittel, nämlich die Berufung zu. Mache die Partei von einem Rechtsmittel mehrmals Gebrauch, bevor über dasselbe in anderer Form schon früher eingelegte Rechtsmittel rechtskräftig entschieden sei, habe das Berufungsgericht über diese Rechtsmittel einheitlich zu entscheiden (Hinweis auf BGH NJW 1966, 1753 (1754)). Das gelte auch dann, wenn das Rechtsmittel bei unterschiedlichen Gerichten eingelegt worden sei. Ein einheitliches Rechtsmittel dürfe nur dann als unzulässig verworfen werden, wenn keine der Einlegungen zulässig sei (Hinweis auf BGH NJW 2015, 3171 Rn. 10 = FD-ZVR 2015, 371303 mAnm Elzer; BGH NJW 2007, 1211 Rn. 5).
Erlange eine Rechtsmittelgericht Kenntnis von einer weiteren Rechtsmitteleinlegung in derselben Sache bei einem anderen Gericht, müssten daher die zeitgleich anhängigen Rechtsmittelverfahren koordiniert werden, indem die angerufenen Gerichte zunächst ihre Zuständigkeit prüfen. Halte sich eines der Gerichte für unzuständig, habe es die Sache an das andere abzugeben (Hinweis auf BGH NJW-RR 2012, 141 Rn. 5). Sehe sich das Gericht, an das abgegeben wird, als zuständig an, habe es in der Sache über das einheitliche Rechtsmittel zu entscheiden. Im Falle eines (positiven oder negativen) Kompetenzkonflikts müsse hingegen eine Zuständigkeitsbestimmung gem. § 36 I Nr. 5 oder Nr. 6 ZPO herbeigeführt werden (Hinweis auf BGH BeckRS 1983, 31072637).
Praxishinweis
Das bei dem LG Stade eingelegte Rechtsmittel ist gegenstandslos geworden, weil das nachfolgend angerufene LG Lüneburg zuständig ist (sa BGH NJW 1966, 1753 (1754)). Das LG Stade muss sich also für unzuständig erklären und die Sache an das LG Lüneburg abgeben. Wird ein Rechtsmittel von mehreren Prozessbevollmächtigten mehrfach eingelegt, gibt es im Übrigen nur ein einheitliches Rechtsmittel, das von jedem der Prozessbevollmächtigten allein wirksam wieder zurückgenommen werden kann (BGH NJW 2007, 3640 Rn. 25; BAG ArbRAktuell 2010, 73 mAnm Emmert/Widhammer). Hier ist also Vorsicht geboten!
BGH, Beschluss vom 26.11.2020 - V ZB 151/19, BeckRS 2020, 36581