Die europäische Richtlinie (EU) 2023/97 vom 10.5.2023 (RL), deren Umsetzungsfrist am 7.6.2026 endet, verschärft die Anforderungen an die Entgeltgleichheit zwischen Männern und Frauen deutlich. Vor allem durch eine weitreichende Beweislastumkehr zugunsten der Arbeitnehmer wird die Geltendmachung von Schadensersatz- und/oder Entschädigungsansprüchen erleichtert. Während nach bisherigem deutschen Recht (§ 22 AGG) die Vermutung einer Entgeltdiskriminierung erst dann greift, wenn der Arbeitnehmer nachweist, dass er für die gleiche oder gleichwertige Arbeit ein niedrigeres Entgelt als ein Kollege des anderen Geschlechts erhält, geht die RL einen entscheidenden Schritt weiter: Künftig wird bereits dann eine Entgeltdiskriminierung vermutet, wenn der Arbeitgeber gegen eine aus der Umsetzung der RL resultierende Pflicht verstößt – etwa durch fehlende Information über das Einstiegsgehalt, Unterlassen der jährlichen Unterrichtung über den Auskunftsanspruch oder bei Gehaltsgeheimhaltungsklauseln im Arbeitsvertrag (Art. 18 RL). Der Arbeitnehmer muss in diesen Fällen keine Tatsachen glaubhaft machen, die eine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung vermuten lassen; es reicht aus, dass er vorträgt, der Arbeitgeber habe gegen eine entsprechende Pflicht verstoßen.
Die konkrete Ausgestaltung der Schadensersatz- und/oder Entschädigungsansprüche bleibt bis zur Umsetzung der RL in nationales Recht abzuwarten. Mitgliedstaaten haben sicherzustellen, dass Arbeitnehmer, die durch die Verletzung von Rechten oder Pflichten im Zusammenhang mit dem Grundsatz des gleichen Entgelts einen Schaden erlitten haben, das Recht haben, für diesen Schaden vollständigen Schadensersatz oder vollständige Entschädigung zu verlangen und zu erhalten (Art. 16 RL). Bisher werden nach dem AGG beide Ansprüche nebeneinander anerkannt (§ 15 AGG), sodass eine ähnliche Umsetzung für die RL zu erwarten ist. Bei der Geltendmachung können sich Arbeitnehmer auch von Dritten wie Verbänden, Organisationen und Gleichbehandlungsstellen unterstützen oder diese sogar in ihrem Namen handeln lassen (Art. 15 RL). Neben den individuellen Ansprüchen der Arbeitnehmer drohen Unternehmen bei Nichtbeachtung ihrer Arbeitgeberpflichten empfindliche Zwangsgelder und Sanktionen, die eine abschreckende Wirkung entfalten sollen (Art. 17, 23 RL). Hierbei könnten Geldbußen an den Bruttojahresumsatz oder der Gesamtentgeltsumme des Unternehmens anknüpfen; bei wiederholten Verletzungen kann etwa der Entzug öffentlicher Zuwendungen oder der Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen für einen bestimmten Zeitraum drohen (Erwägungsgrund 55, 56). Auch hier bleibt die konkrete Ausgestaltung bis zur Umsetzung in nationales Recht offen.
Weitreichende Transparenzpflichten
Neben den verschärften Durchsetzungsmechanismen gehören zu den zentralen Neuerungen der RL erweiterte Informations- und Transparenzpflichten. Arbeitgeber müssen proaktiv handeln: Bewerber sind bereits vor Gehaltsverhandlungen, etwa in Stellenausschreibungen, unaufgefordert über das Einstiegsgehalt oder die Gehaltsspanne der ausgeschriebenen Stelle sowie Arbeitnehmer in leicht zugänglicher Weise, beispielsweise im Intranet, über die Kriterien zur Festlegung, Höhe und Entwicklung ihres Entgelts zu informieren (Art. 5, 6 RL). Sie sind zudem jährlich über den künftig allen (!) Arbeitnehmern zustehenden Auskunftsanspruch – mit deutlich erweitertem Kreis an Vergleichsarbeitnehmer (Art. 19 RL) – und die Schritte zur Wahrnehmung dieses Rechts zu unterrichten (Art. 7 RL). Geheimhaltungsklauseln, die Beschäftigte an der Offenlegung ihres Gehalts hindern, sind verboten (Art. 7 RL).
Auch bei den Berichtspflichten sieht die Richtlinie Neuerungen vor: Zum einen werden die Inhalte erweitert, zum anderen gilt die Berichtspflicht künftig bereits für Unternehmen mit mindestens 100 Beschäftigten (Art. 9 RL). Arbeitgeber müssen Berichte einer einzurichtenden öffentlichen „Überwachungsstelle“ vorlegen (Art. 29 RL) und auf Verlangen unter anderem von Arbeitnehmern zusätzliche Erläuterungen zu den Berichtsdaten geben (Art. 9 RL). Schließlich kann hieran sogar die Pflicht zu einer gemeinsamen Entgeltbewertung mit der Arbeitnehmervertretung anknüpfen (Art. 10 RL). Ob auch kleinere Unternehmen von den Berichtspflichten betroffen sein werden, bleibt bis zur Umsetzung in nationales Recht abzuwarten.
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