Interview
Mehr Klarheit bei der Interessenkollision
Interview
Lorem Ipsum

Das Verbot widerstreitender Interessensvertretung gehört zu den Core Values der Anwaltschaft. Die sogenannte große BRAO-Reform regelt hierzu manches neu. Aktuelle Fälle zeigen zudem, dass es im Bereich der Interessenkollision manche Grauzone gibt. Sind die rechtlichen Regelungen und die Rechtsprechung hierzu für die Praxis noch praktikabel? ­Fragen an Rechtsanwalt Prof. Dr. Martin Diller, der unter anderem Mitglied der Satzungsversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer ist.

9. Jul 2021

NJW: Die BRAO-Reform enthält auch eine Regelung zur Interessenkollision. Was wird darin neu geregelt?

Diller: Bislang enthielt das Gesetz nur den lapidaren Satz: „Der Rechtsanwalt darf keine widerstreitenden Interessen vertreten.“ Alles Weitere hatte der Gesetzgeber der Satzungsversammlung der BRAK überlassen, also dem „Anwaltsparlament“. Die Satzungsversammlung hat das vor 15 Jahren im gänzlich missratenen § 3 BORA umgesetzt, der mehr Fragen aufwarf, als er beantwortete. Jetzt kommt mit § 43a IV bis VI BRAO eine ausführliche Regelung ins Gesetz, § 3 BORA ist damit obsolet.

NJW: Ist das für die Praxis eine Verbesserung?

Diller: Ganz klar: Ja! Der Gesetzgeber hat nämlich einige wichtige Fragen geklärt, die im Rahmen von § 3 BORA hoch streitig waren. Insbesondere ist nun geklärt, dass bei einem Sozietätswechsel die aufnehmende Sozietät nicht alle Mandate niederlegen muss, die sie gegen die abgebende Sozietät führt. Das beseitigt Einstellungshindernisse.

NJW: Dass im Gesetzgebungsverfahren noch die ursprünglich vorgesehene Verschärfung der Interessenkollision bei vertraulichen Informationen gestrichen wurde, hat vermutlich zu einem großen Aufatmen in der Anwaltschaft geführt, oder? Anders gefragt: Was hätte das für die Praxis bedeutet?

Diller: In der Tat bedauert niemand diese Streichung. Denn die Reichweite dieser Verschärfung war bis zuletzt unklar, im Gesetzgebungsverfahren kursierten verschiedene Formulierungen. Dabei betraf die Problematik keineswegs nur große Sozietäten, auch Strafverteidiger und Syndikusanwälte hätten vor großen Problemen gestanden. Auch wäre die datenbankmäßige Erfassung solcher Konstellationen kaum möglich, aber unabdingbar gewesen.

NJW: Nach der Neuregelung hilft dem von einer Interessenkollision betroffenen Anwalt auch die Zustimmung des Mandanten nicht. Warum ist die Interessenkollision ein Problem, wenn der Mandant sie kennt und dennoch von diesem Anwalt vertreten werden will?

Diller: Seit der „Schachnovelle“ von Stefan Zweig weiß man, dass man nicht gegen sich selbst Schach spielen kann. Genauso wenig kann ein Anwalt gegen sich selbst einen Prozess führen, auch wenn beide Mandanten das wollten. Aber in Grenzfällen ist der Wegfall der Zustimmungsmöglichkeit gefährlich. Denn ob eine Interessenkollision vorliegt oder nicht, entscheidet der BGH auch anhand der subjektiven Frage: „Was will der Mandant eigentlich?“ Wenn ein Mandant mich in Vertragsverhandlungen anweist, ich solle das Maximum an Vorteilen für ihn herausverhandeln, kann ich natürlich nicht gleichzeitig die Gegenseite vertreten. Aber wenn fünf junge Leute ein Start-up gründen wollen und mich gemeinsam beauftragen, einen „für alle fairen“ Gesellschaftsvertrag zu entwerfen, darf ich das dann machen oder nicht? Bislang konnte ich mich durch Einholung allseitiger Zustimmung absichern, künftig kann ich das nicht mehr.

NJW: Macht die Neuregelung zu den Referendaren die Einstellung des juristischen Nachwuchses komplizierter?

Diller: Ganz im Gegenteil! Bislang geisterte durch die juristische Literatur die Figur des „funktionalen Anwalts“: Es wurde die Auffassung vertreten, dass die gesamte Sozietät gesperrt wäre, ein Mandat anzunehmen oder weiterzuführen, bei dem einer ihrer Anwälte früher als Referendar auf der anderen Seite gestanden hatte. Das hatte sich in der Praxis zu einem besorgniserregenden Einstellungshindernis entwickelt, weil keine Sozietät durch die Einstellung eines jungen Kollegen die Weiterführung großer Mandate gefährden wollte. Dieses Einstellungshindernis ist nun beseitigt, weil der Gesetzgeber klargestellt hat, dass eine „Infektion“ der Sozietät nicht stattfindet. Nur der Referendar persönlich darf natürlich später als Anwalt nicht auf der Gegenseite eines Mandats aktiv werden, mit dem er als Referendar befasst war.

NJW: Wie beurteilen Sie insgesamt die Regelungen und die Rechtsprechung zur Interessenkollision: Sind sie gut praktikabel, oder gibt es zu viele Grauzonen?

Diller: Eine präzise Regelung, wann eine Interessenkollision vorliegt und wann nicht, wird es nie geben, dazu sind die Fallgestaltungen zu verschieden. Außerdem sind die gesetzlichen Regeln das Eine, die wirtschaftlichen Interessen und die Befindlichkeiten der Mandanten das Andere. Von Gesetzes wegen dürfte ich zum Beispiel Unternehmen A wegen eines Vertriebsvertrags gegen B vertreten und gleichzeitig B wegen einer Pachtforderung gegen A. So etwas macht natürlich kein vernünftiger Anwalt, und die Mandanten hätten dafür auch wenig Verständnis.

NJW: Gerade gibt es eine Diskussion über eine mögliche Interessenkollision im Cum/Ex-Komplex. Sie betrifft im Kern die Frage, ob bereits ein Mandat bestand oder noch eine Mandatsanbahnung stattfand. Lässt sich das immer klar abgrenzen?

Diller: Klar abgrenzen lässt sich nur selten etwas. Allerdings verwendet die gesetzliche Neuregelung bei der Definition der Interessenkollision die Worte „beraten oder vertreten“. Beides setzt nach richtiger Auffassung voraus, dass tatsächlich ein Mandat besteht. Was der Rechtsanwalt im Rahmen einer Beauty Parade, die letztlich nicht in ein Mandat mündet, gesagt, erfahren oder vielleicht auch schon geschrieben hat, begründet also allenfalls eine Verschwiegenheitspflicht, nicht aber eine Interessenkollision. Ansonsten könnte man ja Kanzleien, die man nicht gerne auf der Gegenseite hätte, durch exzessive Beauty Parades verbrennen.

NJW: Könnte in unklaren Fällen eine bundesweite Clearingstelle – wie von manchen gefordert – helfen?

Diller: Davon halte ich überhaupt nichts. Dem steht zum einen die Verschwiegenheitspflicht entgegen. Vor allem aber muss die Entscheidung über die Annahme oder Ablehnung eines Mandats häufig innerhalb weniger Stunden getroffen werden, da kann man sich keine Bürokratie leisten.

NJW: Ist die Konfliktprüfung aus Ihrer Sicht vorwiegend ein Thema großer Wirtschaftskanzleien, oder beschäftigt es die Anwaltschaft in ihrer ganzen Breite?

Diller: Jeder Anwalt ist von der Problematik betroffen. Der Familienrechtler muss überlegen, ob er Eltern und Kinder gleichzeitig vertreten kann, der Arbeitsrechtler muss sich über die gleichzeitige Vertretung des Betriebsrats und einzelner Mitarbeiter den Kopf zerbrechen, und Strafverteidiger haben wieder ganz andere Probleme.

NJW: Wie groß ist in Ihrer Kanzlei der Aufwand für die Prüfung von Interessenkollisionen?

Diller: Als Risk Partner unserer Sozietät bin ich für unsere ca. 400 Berufsträger die zentrale Anlaufstelle bei möglichen Interessenkollisionen. Im Schnitt landen ein bis zwei Anfragen pro Tag bei mir. Das Meiste lässt sich schnell in die eine oder andere Richtung entscheiden. Aber sicherlich habe ich einmal pro Woche einen Fall, der schwierig ist oder wo man ein Mandat nur mit bestimmten Einschränkungen oder Vorbehalten annehmen kann. Da muss man sorgfältig nachdenken, obwohl immer die Zeit drängt. Besonders heikle und wichtige Fälle bespreche ich natürlich zusätzlich noch mit meinen Managing Partnern.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Prof. Dr. Martin Diller ist seit 1996 Partner bei Gleiss  Lutz. Von 2000 bis 2007 war er Managing Partner der Kanzlei. Sein Tätigkeitsgebiet umfasst das  gesamte Arbeitsrecht mit einem Schwerpunkt bei der betrieblichen Altersversorgung sowie das anwaltliche Berufs- und Sozietätsrecht. Der Honorarprofessor der Universität Würzburg ist Mitglied der 7.  Satzungsversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer und dort Vorsitzender des Ausschusses 2 (Allgemeines Berufsrecht).

Interview: Tobias Freudenberg / Monika Spiekermann.