NJW-Editorial
Medienregulierung an der Endmoräne
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Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat zentrale Bedeutung für die Sicherung der Pluralität der Meinungen. Seine Funktion, Legitimation und Ausgestaltung hat das BVerfG ausgeformt, schweigt aber in Zeiten der Digitalisierung. Aktuell macht man sich Sorgen um das System, das seine Rolle neu finden soll. Nun ist es die Aufgabe der zuständigen Länder, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in eine gute Zukunft zu führen. Unterdessen macht die EU Ernst mit der Medienregulierung.

10. Mrz 2023

Sie hat das große Bild im Auge und kümmert sich um die Freiheit der Meinung im Netz. Das deutsche Konstrukt zur Sicherung der Meinungsvielfalt mit dem Fokus auf die positive Rundfunkordnung und der Burgfrieden zwischen öffentlichem und privatem Rundfunk sind kein Thema. Der Digital Services Act (DSA) ist das europäische „Grundgesetz für das Internet“. Mit seiner Geltung werden das Telemediengesetz und das NetzDG in weiten Teilen gegenstandslos. Die innerstaatliche Ausformung des DSA wird in Deutschland durch ein „Digi­tale-Dienste-Gesetz“ erfolgen. Es soll im Sommer ins Kabinett und wird den unmittelbar geltenden DSA lückenfüllend ausformen. Die mitgliedstaatlichen Gesetzgeber sind nur noch Beckenrandschwimmer der europäischen Medienregulierung. Das neue Recht hat Auswirkungen auf den Medienstaatsvertrag, Jugendmedienschutzstaatsvertrag und auch auf das Jugendschutzgesetz, deren Fortgeltung für Plattformen bis Februar 2024 innerstaatlich geregelt werden muss. Wie die Dinge aktuell liegen, wird die Bundesnetzagentur in Deutschland den Digital Services Act durchsetzen, wobei auf deren ­Unabhängigkeit zu achten ist. Die Länder müssen bis Februar 2024 ihr Landesrecht mit Blick auf die Durchsetzung des DSA anpassen. In der schwerfälligen Struktur der Medienkommission muss es nun sehr schnell gehen.

Der Bundesrat hat kürzlich zur Verhinderung des Media Freedom Act die Subsidiaritätsrüge erhoben. Das ist wichtig, denn die Medien dürfen nicht einer europäischen Aufsicht unterstellt werden, wenn dieser Bestandteil der Verfassungsidentität erhalten bleiben soll. Wie sich das Koordinatensystem der Medienregulierung in der EU verändert (hat), hat der Bundesrichter Allgayer kürzlich auf der Medienseite der Frankfurter Allgemeinen Zeitung dargestellt. Die Gesetzgeber in den Bundesländern müssen sich um die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kümmern. Noch viel größer und dringlicher ist aber die Aufgabe, die Medienfreiheit des Grundgesetzes in einer selbstbewusst, wenn nicht übergriffig Medien regulierenden Europäischen Union zu wahren. In der Rechtswirklichkeit muss der Fokus viel mehr nach außen gerichtet werden, als nach innen. Wer in der Medienregulierung des Jahres 2023 den Schwerpunkt auf das Verhältnis von öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk legt, arbeitet an der End­moräne der medienrechtlichen Herausforderungen von gestern und ist für die Zukunft nicht gewappnet.

Prof. Dr. Rolf Schwartmann ist Leiter der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht an der TH Köln sowie Vorsitzender der Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit (GDD e.V.).