Interview
Medienarbeit der Justiz
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Im Strafverfahren gilt der Grundsatz der Waffengleichheit von Ankläger und  Beschuldigtem. Der kann auf vielfältige Weise verletzt werden, etwa durch die Pressearbeit der Staatsanwaltschaft, wie der VGH München jüngst festgestellt hat. Wir haben uns mit dem Hamburger Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht Dr. Till Dunckel über die Öffentlichkeitsarbeit der Justiz  unterhalten.

 

28. Sep 2020

NJW: Sie haben vor dem VGH München eine Entscheidung erstritten, nach der der Grundsatz der Waffengleichheit auch bei der Pressearbeit der Staatsanwaltschaft gilt. Was heißt das konkret?

Dunckel:  Das Gericht hat festgestellt, dass das von der EMRK und vom GG gewährleistete Gebot eines fairen Verfahrens und prozessualer Waffengleichheit uneingeschränkt auch für die von den Staatsanwaltschaften betriebene Medienarbeit gelte. Daraus folge in öffentlichkeitswirksamen Verfahren unter anderem die Verpflichtung, den Beschuldigten bei Anklageerhebung die Möglichkeit zu geben, ihre Reaktionen gegenüber den Medien vorzubereiten. Bevor eine Staatsanwaltschaft die Medien über die Anklage informiert, müsse sie 
 daher zunächst jedem Beschuldigten die vollständige Anklageschrift bekannt geben und ihm zudem eine angemessene Zeit zur Vorbereitung einer eigenen Stellungnahme gegenüber den Medien gewähren.

NJW: Welcher Sachverhalt lag dem zugrunde?

Dunckel:   In dem konkreten Fall hatte die Staatsanwaltschaft die Öffentlichkeit mit einer siebenseitigen, an einen bundesweiten Medienverteiler versandten Pressemitteilung über eine Anklageerhebung informiert und zu einer am selben Tag geplanten Presseveranstaltung eingeladen, während den Strafverteidigern der Angeschuldigten nur zwei Stunden zuvor ein auf den Anklagesatz beschränkter Ausschnitt aus der Anklageschrift übermittelt worden war.

NJW: Wie lange muss denn nach Information des Beschuldigten abgewartet werden, bis die Staatsanwaltschaft an die Öffentlichkeit gehen darf?

Dunckel:  Eine feste Frist kann es nicht geben, da stets die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind: Beispielsweise machen komplexe Tatvorwürfe eine längere Vorbereitung erforderlich, während eine kürzere Frist vertretbar ist, wenn Inhalt und Begründung der Anklage ohnehin bekannt sind. In früheren Verfahren haben Gerichte Fristen von „wenigen Stunden“ bis zu einem Tag für angemessen gehalten; in dem Verfahren des VGH München waren jedenfalls zwei Stunden zu kurz. Allerdings erschließt sich mir schon nicht, weshalb nach einem monate-­ oder jahrelang geführten Ermittlungsverfahren und vor einem meist mehrmonatigen Zwischenverfahren die Wartefrist vor einer Presseinformation überhaupt in Stunden bemessen werden sollte. Jedenfalls wenn der Aktualisierungsdruck lediglich auf einem allgemeinen Interesse am Fortgang des Verfahrens beruht, ist eine so knappe Wartefrist weder erforderlich noch angemessen. Nach meinem Eindruck ist die Eile vieler Anklagebehörden zudem weniger aus einem drängenden Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit als aus der Sorge motiviert, die mediale Deutungshoheit zu verlieren, wenn die Anklageerhebung auf andere Weise bekannt würde.

NJW: Gibt es neben den Grenzen auch eine Pflicht der Staatsanwaltschaft, Öffentlichkeit und Medien während eines laufenden Verfahrens zu informieren? Gelten Besonderheiten für den Fall, dass die Staatsanwaltschaft nicht von sich aus kommuniziert, sondern mit Medienanfragen konfrontiert wird?

Dunckel:  Die Landespressegesetze verpflichten nach allgemeiner Ansicht auch die Staatsanwaltschaften, den Vertretern der Presse die zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe dienenden Auskünfte zu erteilen, soweit dem nicht schutzwürdige Rechte Privater oder andere im Gesetz vorgesehene Ausnahmetatbestände entgegenstehen. Ob überhaupt, zu welchem Zeitpunkt und mit welchem Inhalt eine Presseinformation erfolgen kann, ist demzufolge eine in Abwägung zwischen dem all gemeinen Persönlichkeitsrecht und den Freiheiten aus Art. 5 I GG immer wieder neu zu treffende Einzelfallentscheidung. Der gesetzlich vorgesehene Regelfall ist dabei die Beantwortung einzelner Presseanfragen durch die Behörde. Pressemitteilungen, Pressekonferenzen und andere Formen der behördlichen Medienarbeit finden im Gesetz jedenfalls keine ausdrückliche Stütze. In dem von mir geführten Verfahren hat das in  erster Instanz zuständige VG die Frage einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage für die Versendung von Pressemitt eilungen ausdrücklich offen gelassen.

NJW: Was macht die Pressearbeit der Staatsanwaltschaft so schwierig?

Dunckel:  Eine erhebliche Schwierigkeit liegt sicherlich im Fehlen klarer gesetzlicher Leitplanken: Während die Strafprozessordnung beispielsweise detaillierte Regelungen über die Auskunftserteilung zu Forschungszwecken enthält, ist ihr eine Auskunft gegenüber Medienvertretern unbekannt. Die in den Landespressegesetzen enthaltenen allgemeinen Auskunftspflichten sind hingegen entsprechend offen formuliert und können den Besonderheiten von Strafermittlungsverfahren kaum gerecht werden. Eine andere nicht zu unterschätzende Herausforderung für die Pressesprecher der Staatsanwaltschaften besteht darin, sowohl gegenüber den sachbearbeitenden Kollegen als auch gegenüber den Journalisten, mit denen sie teilweise täglich kommunizieren, die notwendige Distanz zu bewahren, die für eine sachgerechte Abwägung mit den Grundrechten der Beschuldigten unerlässlich ist.

NJW: Was gilt für Informationen über ein laufendes Ermittlungsverfahren etwa gegen einen Prominenten, für dessen Einleitung ein Anfangsverdacht – mithin recht niederschwellige Verdachtsmomente – ausreicht?

Dunckel:  Aufgrund dieser geringen Anforderungen an einen Anfangsverdacht bietet auch nach Ansicht des BGH die bloße Einleitung eines Ermittlungs verfahrens noch keine hinreichende Grundlage für eine rechtmäßige identifizierende Verdachtsberichterstattung. Eine Prominenz des Beschuldigten erhöht allerdings das im Rahmen der Abwägung zu berücksich tigende Informationsinteresse und kann daher im weiteren Verfahrensverlauf, bei Hinzutreten weiterer Verdachtsmomente, zur Rechtmäßigkeit einer identifizierenden Verdachtsberichterstattung führen.

NJW: Welche rechtlichen Folgen kann die unzulässige Pressearbeit von Staatsanwaltschaften haben?

Dunckel: Rechtliche Folgen hat die Medienarbeit zunächst für die Beschuldigten: Zum einen behandeln die Zivilgerichte Staatsanwaltschaften als „privilegierte Quellen“, so dass Journalisten ungeprüft auf die inhaltliche Richtigkeit ihrer für die Öffentlichkeit bestimmten Mitteilungen vertrauen dürfen. Zum anderen vertraut das Gros der Medien auch auf die Angemessenheit der von einer Staatsanwaltschaft getroffenen Abwägungsentscheidung, wenn sie beispielsweise identifizierende Merkmale eines Beschuldigten veröffentlicht. Die Staatsanwaltschaften tragen bei ihrer Medienarbeit daher eine besondere Verantwortung für die Persönlichkeitsrechte der Beschuldigten. Demgegenüber sind die Risiken rechtswidriger Pressearbeit für die Behörde und ihre Mitarbeiter überschaubar: Insbesondere steht ein auf Zahlung einer Geldentschädigung gerichteter Amtshaftungsanspruch vor der Herausforderung, die Kausalität der rechtswidrigen Aspekte der Medienarbeit für die sich anschließende Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts nachzuweisen.

NJW: Lassen Sie uns noch über das aktuelle Judikat des VG Düsseldorf sprechen, das eine identifizierende Pressemitteilung über eine Anklageerhebung gegen Christoph Metzelder für zulässig hält. Wie sehen Sie das?

Dunckel: Die vom VG getroffene Abwägungsentscheidung möchte ich nicht aus der Ferne kommentieren. Für hochgradig problematisch halte ich es aber, dass es seine eigene Entscheidung, die öffentlich nicht bekannte Details zum Sachverhalt enthielt, im Internet veröffentlicht und per Pressemitteilung in die Medien getragen hat. Man könnte fast meinen, es habe ein Exempel statuieren wollen, um Beschuldigte von der Wahrnehmung  ihres Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz abzuhalten. Generell vermisse ich bei Gerichten und Staatsanwaltschaften immer wieder die gebotene Sensibilität in  ihrer Pressearbeit, die für die Beschuldigten selbst dann lebenslange Konsequenzen haben kann, wenn der anfängliche Verdacht während des weiteren Verfahrens ausgeräumt wird. •

 

Seit 2006 ist Dr. Till Dunckel als Anwalt tätig. Bereits zu Beginn seiner Karriere, zunächst in einer internationalen Sozietät, später als Partner der IP- und Medienkanzlei Nesselhauf, hat er sich auf das Presserecht spezialisiert. Unter anderem begleitet er dabei Unternehmen sowie Einzelpersonen durch Strafverfahren und andere kritische Phasen und schützt sie insbesondere vor rechtswidrigen Veröffentlichungen durch Medien oder Behörden. Daneben ist er Vizepräsident der RAK Hamburg und Mitglied des Geschäftsführenden  Ausschusses der ARGE Geistiges Eigentum und Medienrecht im DAV.
 

 

Interview: Dr. Monika Spiekermann.