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Götz Valien/Bild: Reinhard Görner
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Die Kunstszene diskutiert derzeit leidenschaftlich über einen Fall, der auch die Grenzen des Urheberrechts bei Konzeptkunst offenbart. Er begann vor vielen Jahren in der legendären Berliner „Paris Bar“. Das Werk, über das heute gestritten wird, trägt ihren Namen und hing dort viele Jahre großformatig an der Wand. Die Frage, die auch zwei prominente Kunstrechtler beschäftigt, lautet: Wer ist Schöpfer des Bildes – der Künstler Martin Kippenberger oder der Auftragsmaler Götz Valien?

23. Mrz 2022

Die Bar

Die „Paris Bar“ ist nicht irgendeine Lokalität. Sie ist eine Institution in Berlin, bekannt weit über die Grenzen der Hauptstadt hinaus. Das Gasthaus in der Charlottenburger Kantstraße galt schon immer auch als Künstlerlokal, als beliebter Treffpunkt der örtlichen Kunstschaffenden und ihres Publikums, das nach Filmpremieren und Ausstellungseröffnungen dort speiste und trank. Die „Paris Bar“ ist, wie die Süddeutsche Zeitung sehr schön schrieb, „nicht einfach ein Bewirtungsbetrieb, sondern eher schon eine Lebensform, ein Biotop, eigentlich selbst ein Installationswerk mit regelmäßig aufgeführten Happenings der Entgrenzung“.

Der kunstfreudige Patron der „Paris Bar“, Michel Würthle, soll, so geht die Legende, mit manchen seiner Künstlerstammgäste folgende Abmachung gepflegt haben: Kunst gegen Bewirtung. Weshalb das Lokal voller Kunst ist. Gleichsam zum Inventar der „Paris Bar“ gehörte zu seinen Lebzeiten auch der Künstler Martin Kippenberger. Wobei sich daran auch nach seinem frühen Tod im Jahr 1997 nichts änderte. Er war dort jetzt eigentlich noch präsenter als zuvor, nämlich mit einem imposanten Gemälde an einer Wand des Gastraums, das genau diese Wand zeigte.

Das Bild

Kippenberger und einige seiner Malerfreunde waren im Jahr 1991 nicht zu einer Ausstellung eingeladen, die einen Überblick zum damaligen Schaffen der Berliner Kunstszene bieten sollte. Sie machten deshalb in der „Paris Bar“ ihr eigenes Ding. Kippenberger arrangierte dort an einer Wand Bilder von ihnen in Petersburger Hängung. Davon und von Teilen des Gastraums davor ließ er ein Foto machen und beauftragte eine Berliner Werbefirma, die für ihre Kinoplakate bekannt war, ­dieses auf eine großformatige Leinwand zu malen. Den Auftrag führte für einen Betrag von 1.000 DM der Plakatmaler Götz Valien aus.

Das etwa zwei mal vier Meter große Bild hing bis Mitte der 2000 er Jahre in der „Paris Bar“ und wurde dann an den berühmten Galeristen Saatchi in London verkauft. In seinem Auftrag wurde es einige Jahre später bei Christie's als eigenständiges Werk Kippenbergers zum – im doppelten Wortsinn – Hammerpreis von umgerechnet 2,5 Mio. Euro versteigert. Daraufhin reklamierte Valien erstmals öffentlich seine Autorenschaft an diesem Werk. Die Presse berichtete, ein Kunstskandal blieb aber aus. Wo sich das Werk heute befindet, ist unbekannt.

Die Vertreterin des Nachlasses von Martin Kippenberger sagte damals laut Berliner Morgenpost: „Würde Götz Valien die Bilder heute noch einmal malen, so wären das sogar Fälschungen, mindestens aber Plagiate. Denn geistiges Eigentum ist genauso geschützt wie materielles.“ Ein solches Bild entstand aber bereits, es wurde 2010 von Valien vollendet. Es ist bereits die dritte Ausfertigung von „Paris Bar“, nachdem zuvor schon eine zweite Fassung erstellt wurde, ebenfalls von Valien für die von Kippenberger beauftragte Werbefirma. Während diese Variante das Bild im Bild zeigt, ist die dritte Version, die Valien ohne einen Auftrag in Eigeninitiative erstellte, eine Kopie von „Paris Bar I“.

Die Ausstellung und das Urheberrecht

Die bisher unbekannte Version 3 steht im Zentrum einer aktuellen Ausstellung im Berliner Haus am Lützowplatz. Unter dem Titel „Lieber Maler“ präsentiert sie Arbeiten von Götz Valien, darunter auch „Paris Bar III“. Das Bild ist nicht der einzige Bezug auf Kippenberger. Der hatte Anfang der 1980 er Jahre für eine institutionelle Ausstellung in Berlin eine großformatige Serie mit dem Titel „Lieber Maler, male mir“ entwickelt. Die Gemälde ließ er nach seinen Vorstellungen von anderen malen, um sie dann unter seinem Namen auszustellen. Damit machte er Auftragsmalerei gleichsam zum künstlerischen Konzept – eine Provokation des Kunstbetriebs. Der Titel der aktuellen Ausstellung ist also ein verkürztes Zitat der damaligen Aktion Kippenbergers.

Dem Haus am Lützowplatz war natürlich bewusst, dass sich bei der Ausstellung von „Paris Bar III“ die Frage der Urheberschaft stellt. Das Museum ließ sie von dem bekannten Kunstanwalt Prof. Dr. Peter Raue prüfen. Sein Ergebnis: Valien sei Alleinurheber aller drei „Paris-Bar“-Bilder, da er sie eigenhändig ohne Mit- und Einwirkung Kippenbergers geschaffen habe. Dessen Nachlass hat hierauf mit einem Gegengutachten reagiert. Darin kommt die renommierte Kunstanwältin Dr. Friederike Gräfin von Brühl von der Kanzlei K&L Gates zu einem gegenteiligen Resultat: Die erste Version von „Paris Bar“ sei auf Veranlassung und nach Vorgaben von ­Kippenberger entstanden. Das Motiv, die Anordnung der Bilder an einer Wand der Bar sowie der Tische und Stühle davor seien von ihm arrangiert worden. Daher sei er der geistige Schöpfer des Gemäldes. Die jetzt gezeigte dritte Version sei damit eine unzulässige Vervielfältigung. Beide Gutachten liegen der NJW vor.

Darin gehen beide Kunstrechtsexperten freilich von einem unterschiedlichen Schaffensprozess aus, der für die urheberrechtliche Beurteilung entscheidend sein dürfte. Laut Valien, auf dessen Angaben sich das Gutachten von Raue maßgeblich stützt, habe er „eigen­händig ohne jegliche Mit- oder Einwirkung von Martin Kippenberger“ seine drei „Paris Bar“-Bilder-Variationen geschaffen. Demgegenüber betont von Brühl in ihrer Stellungnahme, dass Kippenberger das Motiv für das Ursprungswerk durch die Hängung der Bilder an der Wand arrangiert habe. Ein Foto dieser Installation sei eine genaue Vorlage für das identische Abmalen von Valien und dieser mangels eigener gestalterischer Entscheidungen sowie schöpferischer Gesten daher nur Gehilfe gewesen. Diese Sicht stützt auch der Kunst­historiker Hubertus Butin in seinem 2020 erschienenen Buch „Kunstfälschung“. Darin schreibt er, Valien habe das Bild „Paris Bar I“ nach Kippenbergers fotografischer Vorlage und nach dessen Angaben sowie unter dessen Aufsicht angefertigt. Abschließend sei es vom Künstler autorisiert worden.

Mitte Februar trafen Butin, Raue und von Brühl bei ­einer Podiumsdiskussion im Haus am Lützowplatz aufein­­ander. Sie ist auf der Webseite des Museums als Videoaufzeichnung abrufbar. Butin distanzierte sich von seiner früheren Aussage, „Paris Bar I“ sei „unter Aufsicht“ von Kippenberger entstanden. Ansonsten blieb er bei seiner Ansicht, dass Kippenberger kunsthistorisch und juristisch als Urheber zu gelten habe. Von ihm stamme die künstlerische Idee, auf die es anstelle der eigenhändigen Ausführung ankomme. Zum Beleg fügte er einige Beispiele aus der Kunstgeschichte an, bei denen Werke bekannter Künstler von Dritten in vergleichbarer Weise handwerklich umgesetzt wurden. An deren Originalstatus bestünden keinerlei Zweifel.

Auch Raue und Brühl führten Beispiele für ihre unterschiedlichen Auffassungen an. Raue erläuterte anhand des berühmten Urinals (Fountain) von Marcel ­Duchamps, dass eine Idee gerade nicht schützenswert sei. Jeder könne ein handelsübliches Urinal kaufen und es ins Museum stellen, ohne dass Duchamps dagegen ein Urheberrecht geltend machen könnte. Anwältin von Brühl verwies auf Beispiele aus der Rechtsprechung, etwa auf den Fall einer von einem Galeristen be­auftragten Künstlerin, schwarz grundierte Leinwände mit Kaugummis zu bekleben. Das Landgericht Düsseldorf verneinte ein (Mit-)Urheberrecht von ihr.

Kein Prozess

Ein Konsens wurde in der anderthalbstündigen Dis­kussion erwartungsgemäß nicht erzielt. Auch eine gerichtliche Klärung der Urheberschaft der „Paris Bar“-Bilder wird es voraussichtlich nicht geben, jedenfalls nicht im Hinblick auf die aktuelle Ausstellung. Die wichtigste Botschaft am Ende des Streitgesprächs lautete nämlich: „Lieber Maler“ läuft weiter, der Nachlass von Kippenberger geht gegen die Präsentation von Götz Valiens Werk „Paris Bar“ (Version 3) nicht juristisch vor, auch wenn man es für eine urheberrechtswidrige Kopie hält. Deshalb betont man zugleich, dass dies „keinen Rechtsverzicht bedeutet, und dass für künftige Verwendungen alle Ansprüche vorbehalten bleiben“.

Tobias Freudenberg.