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Nicht selten erblicken Gerichtsentscheidungen nur unter Schwierigkeiten das Licht der Welt – und wenn, dann mit zahlreichen Schwärzungen und Anonymisierungen. Sie sollten sich aber auf Fälle beschränken, in denen dies durch schutzwürdige Interessen tatsächlich geboten ist.

27. Mai 2021

Das OLG Karlsruhe meint beispielhaft, dass Entscheidungsveröffentlichungen „nicht unbegrenzt zuzulassen“ seien. Notwendig sei „regelmäßig die Anonymisierung der Entscheidung etwa hinsichtlich persönlicher Angaben und Umstände“; bei der Abwägung sei „das Recht des Betroffenen auf Schutz seiner Persönlichkeit und seines guten Rufs zu berücksichtigen“ (GRUR-RS 2020, 37423). Mitunter bekommt man jedoch den Eindruck, dass häufig ohne Abwägung lieber zu viel als zu wenig geschwärzt wird (zu übertriebenen Anonymisierungen schon Bechtold, NZKart 2019, 301 [302]). Wohin so etwas führen kann, zeigt ein Urteil des LG Frankfurt a. M. vom November 2020. Dort geht es um die Frankfurter Pizzeria „Falcone & Borsellino“. Der 1992 ermordete Giovanni Falcone war als italienischer Jurist in den 1980 er Jahren im Kampf gegen die Cosa Nostra aktiv. Die Klage gegen die Benennung des Lokals (und einzelner Speisen etc.) wurde abgewiesen. Unter anderem wegen der zeitlich weit zurückliegenden Ereignisse sei das postmortale Persönlichkeitsrechts Falcones nahezu vollständig verblasst. Dies kann man anders sehen, soll hier aber nicht weiter thematisiert werden.

Da das Urteil seinerzeit eine erhebliche mediale Aufmerksamkeit erfahren hatte (auch die italienische Botschaft äußerte sich kritisch), war dessen nunmehrige Veröffentlichung in der Fachpresse (GRUR-RS 2020, 43773) mit Spannung zu erwarten. Die Lektüre fällt freilich schwer, denn es wurden nicht nur sämtliche Namen geschwärzt, sondern auch diverse Datumsangaben. Letztere sind jedoch fallentscheidend, denn beim postmortalen Persönlichkeitsschutz geht es eben maßgeblich darum, wann bestimmte Vorgänge stattgefunden haben. Sämtliche Begründungen des Gerichts sind so kaum nachvollziehbar, und die Urteilsveröffentlichung bietet wenig Erkenntnisgewinn. Befremdlich ist die Praxis des Gerichts auch deshalb, weil es die Schwärzungen offensichtlich zum Schutze Falcones für notwendig hielt – was angesichts des Entscheidungsinhalts doch erstaunt. Als Konsequenz daraus waren die schon seit Dezember 2020 für die Allgemeinheit verfügbaren Informationen über die Entscheidung aussagekräftiger als diejenigen, die dem Urteil selbst zu entnehmen sind. Dass sämtliche geschwärzte Daten ohnehin im Internet recherchierbar sind, sei der Vollständigkeit halber erwähnt.

Es bleibt festzuhalten, dass unabhängig von diesem Extremfall bei Entscheidungsveröffentlichungen Schwärzungen nicht die Regel sein dürfen, sondern die Ausnahme bleiben müssen, nämlich dann, wenn dies durch schutzwürdige Interessen tatsächlich geboten ist. Auf die Praxis des EuGH sei hier als Vorbild verwiesen. Gerichtsentscheidungen ergehen „im Namen des Volkes“. Der Öffentlichkeit mehr oder weniger willkürlich Informationen zu deren Inhalt vorzuenthalten, ist damit nicht zu vereinbaren. •

Prof. Dr. Ronny Hauck ist Lehrstuhlvertreter an der Humboldt-Universität zu Berlin.