Anmerkung von
Rechtsanwältin Christel von der Decken, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main
Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 11/2020 vom 05.06.2020
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Sachverhalt
Die Klägerin begehrt die Erstattung von Kosten einer selbstbeschafften Haushaltshilfe für den Zeitraum vom 01.02.2013 bis 23.06.2013. Sie ist 1966 geboren und alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, die 2005 und 2007 geboren wurden. Sie bezieht nach mehreren Operationen an der Wirbelsäule seit 1992 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Das Versorgungsamt hat 2013 einen GdB von 80 v.H. mit den Merkzeichen G, B, aG, festgestellt, u.a. aufgrund der Versteifung von Wirbelsäulenabschnitten und einer Rückenmarksschädigung. Die Klägerin hat bei der beklagten Krankenkasse Antrag auf Haushaltshilfe gestellt und ab 26.07.2012 im Umfang von täglich acht Stunden auch bewilligt erhalten. In der Satzung der Beklagten heißt es, dass diese über die Haushaltshilfe bei stationärem Aufenthalt gem. § 38 SGB V Haushaltshilfe gewährt, wenn dies nach ärztlicher Bescheinigung wegen einer Erkrankung, die die Weiterführung des Haushalts unmöglich macht, notwendig ist und eine im Haushalt lebende Person den Haushalt nicht weiterführen kann. Die Leistung wird je Krankheitsfall bis zu vier Wochen gewährt, darüber hinaus nur, wenn die Weiterführung des Haushalts wegen „schwerer Krankheit oder akuter Verschlimmerung einer Krankheit“ nicht möglich ist und im Haushalt ein Kind lebt, dass das 12. Lebensjahr noch nicht vollendet hat.
Die beklagte Kasse lehnt mit angefochtenem Bescheid die Weitergewährung der Haushaltshilfe ab 01.02.2013 ab. Die fortbestehenden Schäden an der Wirbelsäule seien als Dauerschaden anzusehen. Psychosomatische Beschwerden können nicht den Tatbestand einer akuten schweren Erkrankung begründen. Im weiteren Verlauf des Verfahrens teilt die Klägerin der Kasse mit, dass die letzte Verordnung über Haushaltshilfe den Zeitraum bis zum 23.06.2013 betrifft. Danach werde sie die Zeit der Sommerferien bei ihrer Schwester verbringen und dort ganztags versorgt sein. Die Klägerin hat gegen die ablehnenden Bescheide Klage zum Sozialgericht erhoben und Erstattung der ihr tatsächlich entstandene Kosten i.H.v. etwa 7.700 EUR verlangt. Das SG weist die Klage ab, da die Klägerin nach dem 31.01.2013 nicht (mehr) an einer akuten schweren Krankheit bzw. einer akuten Verschlimmerung der Krankheit gelitten habe. Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie bezieht sich auf die chronische Schmerzstörung und auf die immer noch bestehenden Knochenmarksödeme, die Ruhe- und Belastungsschmerzen verursachen.
Entscheidung
Das LSG hebt das Urteil des SG auf und gibt der Klage statt. § 38 Abs. 1 SGB V beschränkt den Anspruch auf Haushaltshilfe auf die Fälle einer Krankenhausbehandlung. Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Jedoch hat die beklagte Kasse in ihrer Satzung gem. § 38 Abs. 2 SGB V bestimmt, dass Haushaltshilfe auch dann erbracht werden kann, wenn Versicherten wegen Krankheit die Weiterführung des Haushalts nicht möglich ist. Im Sinne der Satzung der Beklagten hat die Klägerin durch ärztliche Verordnung nachgewiesen, dass sie wegen einer Erkrankung nicht in der Lage war, ihren Haushalt weiterzuführen. Dies gilt auch für den Zeitraum vom 01.02.2013 bis Juni 2013. Auch objektiv war die Klägerin nicht in der Lage, ihren Haushalt zu führen. Dazu verweist das LSG auf Gutachten, die in Verfahren der Feststellung einer Schwerbehinderung gemäß dem SGB IX eingeholt wurden. Das LSG bejaht auch eine akute Verschlimmerung einer Erkrankung, nämlich der chronischen Schmerzerkrankung. Die Klägerin hatte sich im Juli 2012 bei einem Treppensturz weitere Schäden an der Wirbelsäule zugezogen, so dass das Schmerzsyndrom auch über den 28.02.2013 hinaus als eine akute Verschlechterung anzusehen ist.
Praxishinweis
1. Das LSG verwendet große Mühe auf die detaillierte Auswertung der umfangreichen medizinischen Berichte und Gutachten. Dass die Klägerin auf eine Haushaltshilfe bei den mitgeteilten Behinderungen angewiesen war, überzeugt.
2. In der Tat enthält die Satzungsregelung eine Einschränkung, nämlich derart, dass die Erkrankung, die auch über den Ablauf der vierten Woche hinaus eine Haushaltshilfe rechtfertigt, schwer sein muss bzw. eine akute Verschlimmerung darstellen muss. Auch dazu äußert sich der Senat sehr überzeugend.
3. Am Ende heißt es, die Klägerin habe sich die Leistung nach Antragstellung selbst beschafft. Dies geschah in der ärztlich bescheinigten Stundenzahl (acht Stunden pro Tag). Es müsse nicht geklärt werden, ob die Beklagte, also die Krankenkasse, nach §§ 16, 17 SGB I gemäß ihrer eigenen Sichtweise verpflichtet gewesen wäre, den Antrag der Klägerin auf Haushaltshilfe ab Februar 2013 zumindest ihrer Pflegekasse zur Bearbeitung zuzuleiten. Die Darstellung der chronischen Erkrankung im Urteil bestätigt zweifellos einen Bedarf im Sinne des § 15 SGB XI. Allerdings kommt es zur Anerkennung eines relevanten Pflegegrades erst und nur dann, wenn jenseits der Hilfe im Haushalt Pflegeleistungen notwendig sind, die die Person der Klägerin selbst betreffen. Dazu ergeben sich aus dem mitgeteilten Sachverhalt keine Anhaltspunkte. Im Gegenteil ist es durchaus nachvollziehbar, dass die 1966 geborene Klägerin, im streitigen Zeitraum also 47 Jahre alt, mit zwei Kindern, die noch nicht einmal das zehnte Lebensjahr vollendet haben, ihr Augenmerk auf die Haushaltshilfe richtete und nicht auf eine Pflege nach SGB XI.
Es wäre zu wünschen, dass die Möglichkeit der Haushaltshilfe nach § 38 Abs. 2 SGB V, also auch jenseits einer Krankenhausbehandlung, mehr Berücksichtigung als Kassenleistung findet. Die aktuelle Krise aufgrund des Corona-Virus zeigt, wie aufwändig die Versorgung von Kindern unter zehn Jahren im Haushalt sein kann, wenn die Haushaltsführerin ihrerseits schwerbehindert ist.
4. Beruht die Erkrankung bzw. Leistungseinschränkung auf einem Arbeitsunfall, gewährt der Unfallversicherungsträger Haushaltshilfe und Leistungen zur Kinderbetreuung nach Maßgabe des § 74 Abs. 1 bis 3 SGB IX (§ 42 SGB VII). Diese Form der Haushaltshilfe ist nicht begrenzt auf den Zeitraum eines Krankenhausaufenthalts.
LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.03.2020 - L 9 KR 4/17, BeckRS 2020, 5809