NJW-Editorial
Licht und Schatten beim Bürgergeld
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Foto_Editorial_NJW_40_2022_Lara_Heitmann_WEB
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Triskaidekaphobia oder die irrationale Angst vor der Zahl 13. Auch der Sozialgesetz­geber litt offenbar unter dieser Erkrankung, denn ein Sozialgesetzbuch XIII gibt es bekanntlich nicht. Dies wird auch jetzt nicht geändert. Nur die frühere Unterscheidung von Arbeitslosengeld II und Sozialgeld im § 19 SGB II soll nach den Plänen der Bundesregierung durch die einheitliche Bezeichnung Bürgergeld ersetzt werden. Wie gut, dass die Presse, die glücklich „Hartz IV wird abgeschafft“ titelt, anscheinend nicht die weltbewegende Umbenennung der Eingliederungsvereinbarung in Kooperationsplan entdeckt hat!

6. Okt 2022

Neu ist hier nicht nur die Bezeichnung, sondern auch ein Schlichtungsverfahren bei Streitigkeiten. Diese Idee ist ein Schritt in die richtige Richtung, solange den Betroffenen hierdurch nicht eine kompetente Rechtsvertretung entzogen wird. Die Arbeitsvermittlung gestaltet der Gesetzgeber nachhaltiger, weniger kurzfristig auf Ausscheiden aus dem Bezug gerichtet. Eine im Alltag für viele Leistungsbeziehende wesentliche Neugestaltung betrifft die Erreichbarkeit. Die Pflicht, sich zeit- und ortsnah rund um den eigenen Briefkasten herumzutreiben, ist abgeschafft. Man darf sich jetzt sogar im ­grenznahen Ausland aufhalten, wenn man in angemessener Zeitspanne das Jobcenter bzw. eine Integrationsmaßnahme erreichen kann. Neu ist auch die Einführung eines Schonzeitraums von zwei Jahren für zu hohe Wohnungskosten und Vermögen bis zu 60.000 Euro pro leistungsberechtigter Person und 30.000 Euro für jede weitere Person der Bedarfsgemeinschaft. Zudem gibt es im Vermögensbereich einige Verbesserungen bei der Freistellung.

Weiterhin nicht angegangen wurden einige offene Problemstellungen, etwa im Hinblick auf die Entscheidung des BSG zur Anrechnung später zurückgeforderten Kindergeldes (NJOZ 2012, 825) sowie der Einkommensanrechnung erstatteter Fahrtkosten (NZS 2022, 552). Gerade in ländlichen Gegenden mit weiten Fahrstrecken zehren die Kosten hierfür den Grundfreibetrag weitgehend auf. Der Deutsche Anwaltverein hat hierauf ausdrücklich aufmerksam gemacht.

Schließlich steht noch die politisch viel debattierte Regelsatzerhöhung im Raum. Der DAV fordert hier insbesondere, dass nicht nur einmal im Jahr der Regelsatz erhöht wird, sondern auch eine unterjährige Korrektur möglich wird. Unbefriedigend bleibt auch der Regelsatz für Kinder in temporären Bedarfsgemeinschaften: Die genaue Teilung geht hier häufig an der Realität vorbei. Situationen, in denen Kinder bei einem Elternteil nur die vordere und beim anderen nur die hintere Hälfte einer Hose effektiv nutzen ­konnten, sind der Autorin jedenfalls nicht bekannt. Zu guter Letzt: Auch alte und erwerbsun­fähige Menschen dürfen jetzt ein angemessenes Auto fahren!

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Lara Heitmann ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Sozialrecht in Berlin.