Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther
BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB, Köln
Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 3/2020 vom 22.02.2020
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BGB §§ 199 I Nr. 2, 242, 254, 278, 280 I 2, 611, 675; VVG §§ 86 I 1, 126 II; ZPO §§ 138 III, 256 I; HGB §§ 128 S. 1, 129; StGB § 356 I; BRAO § 43a IV; ARB 2010 § 17 IX
Sachverhalt
Klägerin ist in beiden Verfahren eine Rechtsschutzversicherung, die aus übergegangenem Recht ihrer Versicherungsnehmer Ansprüche wegen anwaltlicher Pflichtverletzung verfolgt.
Im Verfahren vor dem LG Gera geht die Klägerin davon aus, dass die Beklagten haften, weil sie eine von Anfang an aussichtslose Klage ergriffen haben. Die klageweise geltend gemachten Forderungen seien erkennbar verjährt gewesen.
Im Verfahren vor dem OLG Nürnberg hatte die Vorinstanz der Klage überwiegend stattgegeben. Die für den Versicherungsnehmer der Klägerin erhobene Klage sei wegen Ansprüchen aus einer Hausratsversicherung von Anfang aussichtslos gewesen, soweit ein Anspruch von mehr als 1.000 EUR geltend gemacht worden sei. Die Klausel in Ziff. 10.3.5 VHB 2010 sehe für die im Vorprozess gegenständliche Entwendung von Bargeld einen derartigen Erstattungshöchstbetrag vor. Die Wirksamkeit dieser Klausel sei in der obergerichtlichen Rechtsprechung mehrfach bestätigt worden. Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung.
Rechtliche Wertung
Im Verfahren vor dem LG Gera wurden der Klägerin die Ansprüche teilweise zugesprochen. Die Pflichtverletzung der Beklagten bestehe darin, dass sie die Mandantschaft nicht auf das Risiko hingewiesen haben, dass die mit der Klage verfolgten Ansprüche nicht wirksam gehemmt und daher verjährt sind und die Rechtsverfolgung demnach aussichtslos gewesen ist.
Weiterhin habe der Rechtsanwalt die Beratung an der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung im Zeitpunkt der Beratung auszurichten. Dies sei jedoch nicht geschehen. Die Beklagten seien verpflichtet, die Mandantschaft so zu stellen, wie sie bei rechtzeitiger und ordnungsgemäßer Beratung gestanden hätte. Die Vermutung beratungsgemäßen Verhaltens spreche dafür, dass die Mandantschaft den Prozess nicht weitergeführt hätte. Es sei zwar anerkannt, dass dieser Anscheinsbeweis ausscheiden könne, sofern die Rechtschutzversicherung eine Deckungszusage erteilt habe und diese nicht durch falsche Angaben erlangt worden sei.
Dies gelte aber nicht, wenn die Prozessführung aussichtslos sei. Dem werde entgegnet, dass es Sache der Rechtsschutzversicherung sei, die Erfolgsaussichten ordnungsgemäß zu prüfen. Eine Aufklärung über das Prozessrisiko schulde der Anwalt nur dem Mandanten. Eine Anfrage «auf gut Glück» bei der Rechtsschutzversicherung sei nicht vertrags- oder treuwidrig. Es bestehe lediglich die Verpflichtung des Versicherten gemäß § 17 Abs. 3 ARB 2000, den Versicherer in tatsächlicher Hinsicht vollständig und wahrheitsgemäß zu informieren.
Die Kammer ging davon aus, dass trotz Deckungszusage ein Anscheinsbeweis dafür besteht, dass die Mandantschaft den Prozess nicht weitergeführt hätte. Dafür sprächen die die mit einer Prozessfortsetzung verbundene (zeitliche) Belastung, das erhöhte Risiko der Kündigung der Rechtsschutzversicherung durch den Versicherer und die wirtschaftlichen Risiken. Es bestehe die Gefahr, dass die Mandantschaft die weiteren Prozesskosten selbst tragen muss.
Denn der vom Rechtsanwalt über die Aussichtslosigkeit der Klage bzw. Berufung informierte Mandant verletze seine Obliegenheiten gegenüber der Versicherung, wenn er von den mangelnden Erfolgsaussichten Kenntnis habe und die Versicherung dennoch um Deckungsschutz bitte. Ein solches Verhalten sei rechtsmissbräuchlich, sodass es dem Versicherungsnehmer nach § 242 BGB verwehrt sei, sich auf das in der Deckungszusage zu sehende deklaratorische Schuldanerkenntnis der Versicherung zu berufen. Gemäß § 82 Abs. 1 VVG bzw. § 62 Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. bestehe für den Versicherungsnehmer die Obliegenheit, bei Eintritt des Versicherungsfalls nach Möglichkeit für die Abwendung und Minderung des Schadens zu sorgen. Bei ordnungsgemäßer Belehrung über diese Obliegenheit habe das Risiko bestanden, trotz Deckungszusage die weiteren Prozesskosten selbst aufbringen zu müssen, sodass die Mandantschaft vernünftigerweise von der weiteren Prozessführung abgesehen hätte.
Dem Zweck des § 82 VVG/ § 62 VVG a.F., die Finanzierung sinnloser rechtlicher Maßnahmen auszuschließen, widerspreche es, wenn der Mandant den Prozess trotz des Wissens fortsetze, dass seine Klage keine Erfolgsaussicht hat. Dass die Klägerin durch Prüfung der Erfolgsaussicht und Deckungsverweigerung den Schadenseintritt selbst hätte verhindern können, könne im Verhältnis zum Versicherungsnehmer ggf. zu einer Anspruchskürzung (§ 254 BGB) berechtigen. Der Versicherungsnehmer könne aber nicht davon ausgehen, dass die Versicherung die weiteren Kosten allein tragen müsse. Auf das Bestehen dieser Obliegenheit und das beschriebene Risiko, müsse der Rechtsanwalt zumindest dann hinweisen, wenn er - wie hier - bereits mit der Einholung der Deckungszusage beauftragt gewesen sei.
Die Belehrung des Rechtsanwalts sei auch nicht deswegen entbehrlich, weil die Mandantschaft erst hierdurch bösgläubig im Sinne von § 82 Abs. 3 VVG bzw. § 62 Abs. 2 VVG a.F. werde und der Rechtsanwalt mit diesem Verhalten einen Parteiverrat im Sinn von § 356 Abs. 1 StGB zugunsten der Rechtsschutzversicherung begehe oder entgegen § 43a Abs. 4 BRAO widerstreitende Interessen vertreten würde. Denn als Organ der Rechtspflege bestehe die Verpflichtung, den Mandanten auch über eine für ihn nachteilige Rechtslage zu belehren.
Dem widerspreche nicht, dass die Klägerin sich nicht auf Leistungsfreiheit berufen hat. Dies habe sie nicht gekonnt, denn der Obliegenheitsverstoß der Mandantschaft sei wegen unterbliebener Belehrung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig begangen worden. Im Übrigen hätten die Beklagten bis zu den BGH-Entscheidungen davon ausgehen dürfen, dass die strittigen Güteanträge die Verjährung gehemmt hätten, weswegen diesbezüglich kein Anspruch bestehe. Ansonsten könne dem Gebührenanspruch der Beklagten der dolo-agit-Einwand des § 242 BGB entgegenhalten werden, denn die Beklagten seien verpflichtet, die Gebühren aus Schadensersatzgesichtspunkten unmittelbar wieder herauszugeben.
Im zweiten Verfahren vor dem OLG Nürnberg beabsichtigt der Senat, die Berufung gegen das Urteil des LG Ansbach zurückzuweisen. Das LG habe zu Recht einen Schadensersatzanspruch des Versicherungsnehmers gegen den Beklagten aus §§ 280 Abs. 1, 675 Abs. 1, 611 Abs. 1 BGB angenommen, der gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG und § 17 Abs. 9 ARB 2010 auf die Klägerin als Rechtsschutzversicherer übergegangen sei.
Liege noch keine höchstrichterliche Entscheidung vor, müsse ein Rechtsanwalt die obergerichtliche Rechtsprechung auswerten und die daraus folgenden Prozessrisiken erkennen. Dass die oben genannte Klausel zulässig sei, sei beispielsweise durch das OLG Hamm (NJW-RR 2014, 146) entschieden worden. Aus diesem Grund sei ein Prozessverlust in hohem Maße wahrscheinlich gewesen, worauf der Beklagte hätte ausdrücklich hinweisen und von einer Klage abraten müssen.
Entgegen der Ansicht des Beklagten stehe dem Regress des klagenden Rechtsschutzversicherers kein deklaratorisches Schuldanerkenntnis entgegen. Der Beklagte könne sich nicht darauf berufen, dass die Klägerin für die außergerichtliche Geltendmachung und für das Klageverfahren eine Deckungszusage (§ 17 Abs. 2 S. 1 ARB 2010) erteilt hatte. Seine Pflichten aus dem Anwaltsvertrag erfülle der Beklagte nicht bloß dadurch, dass er eine Deckungszusage einhole. Die Anforderungen an die Aufklärung und Risikobelehrung des Mandanten seien nicht deshalb geringer, weil der Mandant rechtsschutzversichert ist. Die Deckungszusage sei - zum Schutz des Versicherungsnehmers - ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis, das spätere Einwendungen und Einreden des Versicherers ausschließe, die er bei Abgabe der Deckungszusage zumindest für möglich hielt oder halten musste. Im Verhältnis zu den Versicherungsnehmern trage die Rechtsschutzversicherung zwar das Kostenrisiko, wenn sie eine Deckungszusage erteilt habe.
Dies heiße aber nicht, dass die Rechtsschutzversicherung einen Rechtsanwalt, der seine Vertragspflichten nicht erfüllt, von seinem Haftungsrisiko entlasten müsse. Die Rechtsschutzversicherung sei keine Schadensversicherung zugunsten des Rechtsanwalts. Soweit im Rahmen der Erteilung einer Deckungszusage Prüfungspflichten der Rechtsschutzversicherung anzunehmen sein sollten, bestünden diese grundsätzlich nur gegenüber ihrem Versicherungsnehmer und nicht gegenüber einem Rechtsanwalt, um diesen davor zu bewahren, für die Kostenfolgen einer Pflichtverletzung aus dem Mandatsvertrag einstehen zu müssen. Da der Mandant die vom Beklagten bejahte Erfolgsaussicht der Klage nicht eigenständig zu hinterfragen habe, müsse er sich die Deckungszusage trotz Erkennbarkeit der fehlenden Erfolgsaussichten nicht nach §§ 254 Abs. 2 Satz 2, 278 BGB entgegenhalten lassen.
Nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist behauptete der Beklagte, er habe vor Einreichung der Klage darauf hingewiesen, dass ein «erhebliches Prozessrisiko» bestehe. Hierbei sei jedoch nicht klar geworden, welche Person mit welchem konkreten Inhalt über die Prozessrisiken aufgeklärt worden sein sollte.
Praxishinweis
Ist sicher oder in hohem Maße wahrscheinlich, dass der Mandant den Prozess verliert, muss der Rechtsanwalt hierauf nachdrücklich hinweisen und von Klage oder Rechtsmittel abraten (BGH, NJW 2001, 3543). Diese Pflicht zur Risikobelehrung endet nicht mit der Klageerhebung, sondern besteht während des laufenden Prozesses fort. Dies gilt auch dann, wenn sich im Prozess neue Gesichtspunkte ergeben, die den Erfolg der Klage in Frage stellen (zur Klageerwiderung: BGH, BeckRS 2011, 23719).
Nach der Rechtsprechung des BGH kann die Vermutung bestehen, dass derjenige, der einen anderen wegen seiner besonderen Sachkunde um Rat fragt, sich beratungsgemäß verhalten hätte, wenn er von diesem zutreffend aufgeklärt worden wäre. Diese Vermutung greift immer dann, wenn bei sachgerechter Aufklärung im Hinblick auf die Interessenlage oder andere objektive Umstände aus der Sicht eines vernünftig urteilenden Menschen eindeutig eine bestimmte Reaktion nahegelegen hätte (BGH, VersR 2016, 727, 728).
Weiterhin muss sich der Mandant ein etwaiges unsorgfältiges Verhalten seines Rechtsschutzversicherers deswegen nicht nach §§ 254 Abs. 2 S. 2, 278 BGB entgegenhalten lassen, weil der Versicherer nicht als Erfüllungsgehilfe des Versicherungsnehmers in dessen Pflichtenkreis aus dem mit dem Anwalt geschlossenen Vertrag tätig wird (vgl. OLG Koblenz, NJW-RR 2011, 761).
LG Gera, Urteil vom 15.05.2020 - 6 O 581/17, BeckRS 2020, 12365
OLG Nürnberg, Beschluss vom 28.04.2020 - 8 U 3839/19 (LG Ansbach), BeckRS 2020, 12282