Urteilsanalyse
LG Essen: Keine Entschädigung im Fall einer Corona-Betriebsschließung
Urteilsanalyse
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© Dirk-Carsten Günther / BLD

Es kann dahinstehen, ob eine betriebsinterne Gefahr vorliegen muss oder die Allgemeinverfügung der Stadt wirksam war: Eine Betriebsschließung wegen COVID-19 bzw. SARS-CoV-2 ist nicht vom Versicherungsschutz der Betriebsschließungsversicherung umfasst, wenn eine Klausel in den Versicherungsbedingungen eine abschließende Aufzählung der versicherten Krankheiten und Krankheitserreger enthält. Dies hat das Landgericht Essen entschieden.

2. Dez 2020

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther
BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB, Köln

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 23/2020 vom 12.11.2020

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VVG § 1 S. 1; VB-BSV 2009 § 1 Nr. 2; BGB §§ 305 II307 I 2, II310 III

Sachverhalt

Die Klägerin ist Inhaberin eines Cafés und macht gegen die Beklagte Ansprüche wegen einer coronabedingten Betriebsschließung geltend. Mit der beklagten Versicherung hatte sie am 10.10.2018 einen Vertrag über eine Betriebsschließungsversicherung geschlossen, wobei ein Schließungsschaden von 500 EUR täglich für 30 Schließungstage sowie ein Warenschaden von 10.000 EUR vereinbart wurden.

Dem Vertrag liegen Versicherungsbedingungen gegen Schäden wegen behördlicher Schließungen nach dem Infektionsschutzgesetz zugrunde. Die Bedingungen enthalten unter Bezugnahme auf das IfSG – in welchem das Coronavirus allerdings erst seit dem 23.05.2020 als Krankheit bzw. Krankheitserreger geführt wird – eine Katalogisierung derjenigen Krankheiten/Erreger, für die Deckungsschutz besteht, wobei das Coronavirus dort nicht genannt war. Gleichzeitig enthalten die Bedingungen eine Regelung, die einen Ausschluss der Haftung für Schäden infolge von Prionenerkrankungen enthält.

Mit Blick auf eine vollständige Schließung des Betriebes wegen des neuartigen Corona-Virus verlangt die Klägerin von der beklagten Deckung aus dem Vertragsverhältnis.

Rechtliche Wertung

Das Landgericht Essen hat die Klage abgewiesen. Es hat der Klägerin einen Anspruch aus § 1 S. 1 VVG in Verbindung mit dem Betriebsschließungsvertrag versagt, da die Betriebsschließung wegen der Coronavirus-Krankheit (COVID-19) bzw. des Krankheitserregers Severe-Acute-Respiratory-SyndromeCoronavirus-2 (SARS-CoV-2) nicht vom Versicherungsschutz der Betriebsschließungsversicherung umfasst sei.

Die in Frage stehende Klausel in den AVB, die besagt, dass «Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger sind:…» sei als abschließend und wirksam zu bewerten. Die Auslegung der Versicherungsbedingungen – insbesondere anhand des Wortlautes der Regelung – ergäbe, dass die Formulierung «namentlich genannt» klar erkennen ließe, dass es sich nicht lediglich um eine beispielhafte Aufzählung handele, da diese üblicherweise vielmehr durch Begriffe wie «insbesondere» oder «beispielsweise» eingeleitet würden. Die Formulierung «namentlich genannt» stelle auch kein Synonym für den Begriff «insbesondere» dar, vielmehr bedeute es, dass die maßgeblichen Krankheiten und Erreger mit Namen benannt werden.

Insbesondere durch das Wording «folgenden» Krankheiten/Erreger sei deutlich erkennbar, dass nur die dann tatsächlich aufgelisteten Krankheiten und Erreger auch versichert werden sollten und gerade nicht – etwa im Sinn einer statischen Verweisung – alle zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses in den §§ 6 und 7 des Infektionsschutzgesetztes namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger. Um eine «dynamische» Verweisung dergestalt, dass auch nach Vertragsschluss neu aufgetretene Krankheiten und Krankheitserreger vom Versicherungsschutz umfasst werden sollten – von denen offensichtlich weder der Versicherungsnehmer noch der Versicherer zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses Kenntnis hatten – handele es sich also keinesfalls.

Zudem könne ein in AVB aufgenommener Ausschluss für Schäden in Folge von Prionenerkrankungen (z.B. BSE) nicht dafür sprechen, dass alle sonstigen nicht ausdrücklich ausgeschlossenen Krankheiten/Erreger mitversichert sein sollten, welche zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch völlig unbekannt seien. Etwas anderes könne lediglich dann gelten, wenn die AVB überhaupt keine eigene Auflistung, sondern lediglich einen Verweis auf die Aufzählung im Infektionsschutzgesetz, enthielten. Nach dem Zweck der Vorschrift sei auch für den Versicherungsnehmer erkennbar, dass es dem Versicherer – insbesondere aufgrund der Versicherungssumme – möglich sein müsse, nicht alle eventuell zukünftig auftretenden Risiken zu versichern.

Im Ergebnis beurteilt das Gericht daher die Klausel als insgesamt wirksam und nicht als unangemessene Benachteiligung im Sinn von § 307 Abs. 1 und 2 BGB, da insbesondere kein Verstoß gegen das Transparenzgebot im Sinn von § 307 Abs. 1 S. 2 BGB vorliege. Die Klausel sei aus sich heraus klar und verständlich und für den Versicherungsnehmer sei bei aufmerksamer Lektüre der Versicherungsbedingungen erkennbar, welche Krankheiten/Erreger versichert würden, ohne dass ein Vergleich mit dem IfSG notwendig sei.

Praxishinweis

Der Autor geht bereits in einer vorangegangen Urteilsbesprechung (LG München I, Urteil vom 01.10.2020 - 12 O 5895/20, mit kritischer Besprechung Günther in FD-VersR 432978) ausführlich auf die coronabedingten Betriebsschließungen ein (näher hierzu bereits Günther/Piontek, r+s 2020, 241 ff.).

Nachfolgend werden - Stand 24.11.2020 - alle bisher bekannten Gerichtsurteile im Zusammenhang mit Betriebsschließungen und der Deckung für Covid-19  zusammengestellt, und zwar unterteilt in die Fallgruppen, zu denen bereits Urteile vorliegen:

-       AVB mit tabellarischer Auflistung der Krankheiten/Krankheitserreger und Hinweis auf das IfSG (hierzu Ziff. 1)

-       AVB mit tabellarischer Auflistung der Krankheiten/Krankheitserreger und der Besonderheit, dass dort das Wort «nur» enthalten ist (hierzu Ziff. 2)

-       AVB ohne tabellarische Auflistung der Krankheiten/Krankheitserreger und Hinweis auf die «namentlich» im IfSG aufgeführten (hierzu Ziff. 3).

1. Bei AVB mit tabellarischer Auflistung von erfassten Krankheiten/Krankheitserregern ist die Tendenz recht klar und erstmalig kann nunmehr wohl von einer h.M. gesprochen werden.

1.1. Anspruch verneint:

  • LG Stuttgart, Urteil vom 02.11.2020 - 18 O 264/20, BeckRS 2020, 29760, Leitsätze unter FD-VersR 2020, 434123
  • LG Bayreuth, Urteil vom 15.10.20200 - 22 O 207/20, BeckRS 2020, 29045

1.2. Anspruch bejaht:

  • LG Hamburg, KfH, Urteil vom 04.11.2020 - 412 HKO 91/20, BeckRS 2020, 30449, Leitsätze unter FD-VersR 2020, 434124

Bemerkenswert erscheint, dass die Versicherungskammer des LG München II hingegen eine Deckung verneint (so Hinweisbeschluss vom 12.11.2020 - 10 O 3811/20), ebenso die Versicherungskammer des LG Hamburg (Hinweis vom 04.11.2020, 306 O 256/20).

2. AVB mit tabellarischer Auflistung von erfassten Krankheiten/Krankheitserregern mit der Besonderheit, dass die AVB-Klausel den Begriff «nur» enthalten. Hierzu sind Entscheidungen bekannt, die noch im Rahmen einstweiliger Verfügungsverfahren ergingen und bei denen eine Deckung verneint wurde:

3. Bei der Konstellation der AVB, bei denen die Krankheiten/Krankheitserreger nicht in den AVB tabellarisch aufgelistet sind, sondern wo auf die IfSG verwiesen wird, liegt eine gleichfalls noch im Rahmen eines Verfügungsverfahrens ergangene Entscheidung vor:

  • LG Mannheim vom 29.04.2020 – 11 O 66/20, VersR 2020, 904 (Anspruch bejaht)

Das LG Mannheim hat sich unter anderem darauf gestützt «dass in diesen Bedingungen gerade keine enumerative Aufzählung von verschiedenen Erregern beziehungsweise Krankheiten erfolgte», so dass offen ist, ob das Gericht bei einer solchen Konstellation der h.M. unter Ziff. 1.1. folgt oder nicht.

LG Essen, Urteil vom 21.10.2020 - 18 O 167/20, BeckRS 2020, 31149