NJW-Editorial
Leverage-Effekt im Mietrecht
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Unter dem Leverage-Effekt wird in der Wirtschaft eine Situation verstanden, bei der verhältnismäßig kleine Änderungen aufgrund einer Hebelwirkung zu großen Veränderungen auf der Folgenseite führen. Das ist zurzeit an zwei Stellen im Wohnraummietrecht zu beobachten: bei der Indexmiete und der Mietspiegelfortschreibung. Ausgangspunkt ist die Inflation und damit ein massiver Anstieg des Verbraucherpreisindex (VPI).

16. Feb 2023

Indexmieten fristeten in der Vergangenheit ein Mauerblümchendasein. Früher waren sie nur Mietverträgen mit einer Laufzeit von mehr als zehn Jahren vorbehalten. Das gilt zwar nicht mehr, trotzdem führten sie in der Regel nicht dazu, dass der Vermieter an der allgemeinen Mietenentwicklung teilnahm. Sie erlaubten nur eine Wertsicherung. Dementsprechend wenig verbreitet waren solche Verträge. Seit dem russischen Angriffskrieg und der damit einhergehenden Energiekostenexplosion hat sich das aber dramatisch verändert. Nach Veröffentlichungen des Deutschen Mieterbundes soll es deshalb zu Mieterhöhungen von bis zu 15 % gekommen sein. Die Anzahl der Indexmietverträge sei sprunghaft gestiegen und soll in einzelnen Städte bei 70 % der Neuverträge liegen. Reflexartig gefordert wird ein Verbot solcher Verträge und eine Kappung bei Bestandsverträgen. Die rechtspolitisch zu beantwortende Frage ist, ob man den Leverage-Effekt, der bei Derivatehändlern so beliebt ist und einige Städte fast in den Ruin getrieben hat, im Mietrecht will. Der Hebel besteht hier darin, dass der Vermieter in einem Maße von einer Kostenexplosion profitiert, die ihn selbst nur eingeschränkt, den Mieter aber doppelt trifft. Er hat nicht nur die aufgrund des Index erheblich höhere Grundmiete, sondern auch die Ursache dieser Steigerung, nämlich die höheren Energiepreise zu tragen. Diese Verdoppelung passt nicht zusammen. Natürlich hat der Vermieter inflationsbedingt höhere Bewirtschaftungskosten, aber ist es in Zeiten, in denen die ­hohen Wohnkosten schon die Mitte der Gesellschaft zu überfordern drohen, gerechtfertigt, die Mieter dafür doppelt zu belasten?

Weitere Belastungen drohen. Mietspiegel dürfen mittels VPI einmal fortgeschrieben werden – und werden dies auch wegen des geringen Aufwands. Während der Vermieter bei der Indexmiete von sich aus eine geringere Mieterhöhung als zulässig verlangen darf, würde jeder qualifizierte Mietspiegel sofort seine Qualifikation verlieren, wenn ein anderer Maßstab als der VPI gewählt wird. Zwar dürfte die Vermutungswirkung auf diese Weise abweichend von der tatsächlichen Entwicklung des Mietenniveaus fortgeschriebener Mietspiegel gering und leicht zu widerlegen sein, aber wie viele Mieter lassen sich darauf ein? Also weg mit dem Leverage-Effekt! Der Hebel gehört abgeschafft. Nicht so radikal wie der Mieterbund meint, aber so wie es der Freistaat Bayern (BR-Drs. 571/22) fordert. Statt des VPI ist ein Mietenindex der richtige Anknüpfungspunkt.

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Prof. Dr. Ulf Börstinghaus ist weiterer aufsichtführender Richter am AG Dortmund a. D.​und Honorarprofessor an der Universität Bielefeld.